"Migrant Rescue Watch": X-Account hält Ermittler in Atem

    X-Account "Migrant Rescue Watch":Infokrieger im Einsatz gegen Seenotretter

    von Lucas Eiler und Jasmin Sarwoko
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    Ein anonymer X-Account hält Ermittler, Aktivisten und sogar die EU-Kommissionspräsidentin in Atem. Warum verbreitet er die Propaganda libyscher Milizen - und wer steckt dahinter?

    Thumbnail Die Spur - Infokrieger der libyschen Mafia
    Ein anonymer X-Account hält Ermittler, Online-Communitys und sogar die EU-Kommission in Atem. Warum verbreitet er die Propaganda libyscher Milizen – und wer steckt dahinter?21.08.2024 | 29:11 min
    Was der X-Account "Migrant Rescue Watch" im Februar diesen Jahres postet, sorgt für die Aufmerksamkeit zahlreicher selbsternannter Alternativmedien. Ein Promo-Video für einen Menschenschleuser: Migranten auf einem überfüllten Schlauchboot jubeln und rufen den Namen ihres Schleusers in die Kamera. Sie werden von der deutschen Seenotrettungsorganisation SOS Humanity an Bord geholt.
    Der Account "Migrant Rescue Watch" hat das Video exklusiv bekommen und kritisiert, eine deutsche NGO sei hier Komplize bei der Werbung für gefährlichen Menschenschmuggler. Seiten wie "Tichys Einblick", "Exxpress" und "The European Conservative" greifen den Tweet auf, die italienische Polizei stellt Ermittlungen an.
    Till Rummenhohl, Geschäftsführer der beteiligten Organisation SOS Humanity, weist den Vorwurf, mit Menschenschmugglern zu kooperieren, entschieden zurück:

    Wir gehen auf die Falschnachrichten von diesem Account grundsätzlich nicht ein. Wir haben von dem Video erst nach der Veröffentlichung auf dem Fake-News-Kanal erfahren und bedauern, dass es dazu kommen konnte.

    Till Rummenhohl, SOS Humanity

    "Migrant Rescue Watch": Exklusive Fotos und Videos gepaart mit Desinformation

    Das Video passt in das Bild, das der Account "Migrant Rescue Watch" (@rgowans) auf X, vormals Twitter, verbreitet: Seenotretter würden mit Menschenschmugglern und Schleusern zusammenarbeiten - die sogenannte libysche Küstenwache wird dagegen gelobt. Mehrmals täglich teilt der Account exklusive Fotos und Videos von Seenotrettungen auf dem Mittelmeer, gepaart mit Desinformation - ganz im Sinne der Libyer.
    Internationale Beobachter sehen die Rolle der libyschen Küstenwache deutlich kritischer: Regelmäßig setzt die libysche Küstenwache Waffen gegen Geflüchtete oder Seenotretter ein. Migranten werden vom Mittelmeer zurück nach Libyen geschleppt, wo sie in Abschiebegefängnissen Folter, Gewalt und Versklavung ausgesetzt sind. Deutsche Diplomaten schreiben im Jahr 2016 über "KZ-ähnliche Verhältnisse" in manchen Gefängnissen.

    Thumbnail Die Spur - Infokrieger der libyschen Mafia
    Quelle: Chris Petri / TAHA JAWASHI/AFP

    In der aktuellen Folge des ZDF-Dokuformats "Die Spur" gehen Lucas Eiler und Jasmin Sarwoko der Frage nach, wer hinter dem ominösen X-Account "Migrant Rescue Watch" steckt. Die Doku "Infokrieger der libyschen Mafia - Auf der Suche nach 'Migrant Rescue Watch'" finden Sie hier in der ZDF-Mediathek

    Libyen: Partner der EU gegen Migration

    Und trotzdem ist das Bürgerkriegsland Libyen schon seit Langem das zentrale Land auf den Fluchtrouten aus Afrika nach Europa - und einer der wichtigsten Partner der EU im Kampf gegen Migration über das Mittelmeer. Um Migranten von der Flucht abzuhalten, schloss die EU 2016 und 2017 mit dem gescheiterten Staat mehrere Deals: Training für die Küstenwache, Ausstattung mit Patrouillenbooten - und: finanzielle Unterstützung mit Millionen-Paketen.
    Doch was hat der X-Account "Migrant Rescue Watch" damit zu tun? Migrationsforscher Marc Tilley sieht den Account als zentral für das Image der libyschen Seite an: "Er ist sehr wichtig für den Ruf der Libyer und deren Wahrnehmung - und wahrscheinlich zu einem gewissen Grad auch für die strukturelle Unterstützung durch europäische Staaten."

    Das ist kein harmloser Twitter-Account, sondern Teil eines viel weitreichenderen Informationsmechanismus, der die Politik beeinflusst.

    Marc Tilley, Migrationsforscher

    Menschen auf einem Schiff
    Unterwegs mit Flüchtlingsrettern auf dem Mittelmeer. Wir zeigen den Alltag auf hoher See. Und wie die EU in der Migrationsfrage um Lösungen ringt.16.11.2023 | 28:51 min

    Arbeitet mutmaßlicher Betreiber für Frontex-Vertragspartner?

    Weil der Account auch vor bedrohlichen Botschaften nicht zurückschreckt, ermittelt die italienische Polizei. Eine Gruppe italienischer Ermittler hat den mutmaßlichen Betreiber des anonymen Accounts ausfindig gemacht: Robert B. [Anm. d. Red.: voller Name ist der Redaktion bekannt], ein ehemaliger Unteroffizier der kanadischen Küstenwache. Er lebt offenbar in Deutschland und Polen. 2004 war er Assistent für zwei Abgeordnete.
    Was den Fall hochpolitisch macht: Ein Mann mit diesem Namen arbeitet auch für ein polnisches Unternehmen, das IT-Systeme für die EU-Grenzschutzagentur verbreitet. Weil der Account auch vertrauliche Bilder von Frontex-Drohnen teilte, fürchten Beobachter, der Account könne dadurch an sensibles Material kommen.

    Ursula von der Leyen: Online-Aktivitäten "besorgniserregend"

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schreibt daher in einem Brief an EU-Parlamentarier, die Online-Aktivitäten des Accounts seien "besorgniserregend". Eine interne Untersuchung habe aber ergeben, dass die Person, die hinter dem Account zu stehen scheint, nie Mitarbeitender von Frontex gewesen sei.
    Dokumente, die dem ZDF-Dokuformat "Die Spur" vorliegen, zeigen jedoch: Den zentralen Vorwurf, der mutmaßliche Betreiber arbeite für ein Subunternehmen von Frontex, hat die Grenzschutzagentur nie geprüft. Diese verteidigt sich mit Datenschutz: "Wir verlassen uns darauf, dass unsere Vertragspartner die Datenschutzbestimmungen einhalten […] Daher haben wir weder Zugang noch die Kapazitäten, die persönlichen Daten der für sie tätigen Mitarbeiter zu prüfen."
    "Die Spur" hat deshalb bei dem polnischen Unternehmen nachgefragt, ob Robert B. bei ihnen arbeite und ob es sich bei ihm um denselben Robert B. handelt, der mutmaßlich hinter "Migrant Rescue Watch" steckt. Nach einem Besuch bei dem Unternehmen verneinte Robert B. per E-Mail, etwas mit dem Account zu tun haben.

    Weitere Spur führt nach Bautzen

    Eine weitere Spur führt nach Deutschland, nach Bautzen in der Lausitz. Das Autorenteam der ZDF-Dokumentation "Infokrieger der libyschen Mafia" ist ihr gefolgt. Noch immer sind internationale Ermittler nicht an die Öffentlichkeit gegangen, was ihre Erkenntnisse über den mutmaßlichen Betreiber von "Migrant Rescue Watch" betrifft. Und der Account postet weiter.

    Doku
    :Die Spur

    Reporter-Teams rekonstruieren Missstände und spüren Verantwortliche auf
    ZDFzoom - Die Spur

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