Migration in Europa: EU-Staaten diskutieren in Brüssel

    Migration in Europa:EU-Staaten setzen auf Alleingänge

    von Clara Andersen, Brüssel
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    Viele Mitgliedstaaten üben Druck aus, die Migration in der EU zu begrenzen - tun sich jedoch schwer mit einer gemeinsamen Lösung. Das ist die Ausgangslage vor dem EU-Gipfel.

    EU-Gipfel: Schwerpunkt Migration
    Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich heute zu Beratungen über den Ukraine-Krieg, die Krise in Nahost und die Migration, bei der es wenig Einigkeit gibt.17.10.2024 | 2:33 min
    Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt, Wettbewerbsfähigkeit: Es waren diverse Themen, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung am Mittwoch anlässlich des anstehenden EU-Gipfels angesprochen hatte. Doch das entscheidende habe gefehlt, kritisiert Friedrich Merz (CDU) scharf: "Zu dem Thema Migrationskrise in Europa haben Sie kein einziges Wort gesagt!"
    Dabei wird das Thema beim EU-Gipfel in Brüssel der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung sein.

    Erst im Mai 2024: Reform des Asylsystems

    Erst im Mai 2024 hatten die EU-Mitgliedstaaten sich mühsam auf eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt, die ab 2026 gelten soll.

    Durch die vereinbarte Reform (GEAS) sollen unter anderem erstmals schnellere Asylverfahren direkt an den EU-Außengrenzen möglich werden. Dieses Vorhaben sorgt für laute Kritik von Migrationsexperten und Organisation wie Amnesty International. Ihre Befürchtung: Die geplanten Lager an den EU-Außengrenzen könnten Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit in der EU verletzen. Sie gehen davon aus, dass Migranten dort gegen ihren Willen eingesperrt werden, bis die Behörden über ihren Asylantrag entschieden haben.

    Einigen EU-Ländern gehen die geplanten Änderungen jedoch nicht weit oder schnell genug. Um gegen illegale Migration vorzugehen, ergreifen mehrere Länder deshalb vorzeitige Maßnahmen - und setzen dabei auf nationale Alleingänge, wohl um mit schnellen Lösungen bei der eigenen Bevölkerung zu punkten.
    Auf dem Bild ist ein Boot mit geflüchteten Personen auf dem Mittelmeer zu sehen.
    Kaum ein Thema spaltet Europa so sehr wie die Migration. 2015 herrschte Willkommenskultur, seitdem schwenkt die EU zu einem härteren Umgang mit Geflüchteten.16.05.2024 | 45:19 min

    EU-Mitgliedstaaten verschärfen Umgang mit Migration

    So auch Deutschland: Seit September werden wieder Kontrollen an den Grenzen zu allen EU-Nachbarstaaten durchgeführt und das soll auch vorerst so bleiben.

    Wir werden die Grenzkontrollen in Deutschland so lange vornehmen müssen, bis wir europäische Lösungen haben, damit die Außengrenze stärker geschützt ist.

    Nancy Faeser, SPD, Bundesinnenministerin

    Und auch andere EU-Mitgliedstaaten wollen in Sachen Migration nachschärfen. Die Niederlande und Ungarn forderten etwa von den gemeinsamen Asylregeln ausgenommen zu werden und der polnische Regierungschef Donald Tusk plant, das Asylrecht vorübergehend auf Eis legen zu wollen.
    Das begründet er damit, dass Belarus und Russland Migranten nach Polen und damit in die EU schleuse. Das Asylrecht werde in "diesem Krieg instrumentalisiert" und habe nichts mit Menschenrechten zu tun, hatte Tusk dazu erklärt.
    Polish Prime Minister Donald Tusk (C) speaks during the Civic Coalition convention at the OSIR Sports Hall in Warsaw, Poland, 12 October 2024.
    Regierungschef Donald Tusk hat eine zumindest vorläufige Aussetzung des Rechts auf Asyl angekündigt. An Polens Grenze zu Belarus kommt es immer wieder zu illegalen Einreisen. 12.10.2024 | 1:47 min

    Frontex verzeichnet 2024 mehr irreguläre Grenzübertritte

    Tatsächlich verzeichnet die europäische Grenzschutzagentur Frontex in 2024 bereits mehr als 13.000 irreguläre Grenzübertritte an der östlichen Außengrenze der EU. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist das ein Plus von 192 Prozent. Auf anderen Routen, zum Beispiel über das zentrale Mittelmeer, waren die Zahlen mit minus 64 Prozent hingegen stark rückläufig.

    Mehr Druck nach Rechtsruck in Europa

    Die EU-Länder drängen insgesamt auf schnellere und härtere Maßnahmen. Der Rechtsruck in Europa und innenpolitischer Druck in den Gemeinden scheinen sich bemerkbar zu machen, meint Svenja Niederfranke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

    Und da möchte man aktuell auch Handlungsfähigkeit zeigen, indem man Vorschläge in die Öffentlichkeit bringt, die, wenn überhaupt, eine kurzfristige Wirkung zeigen können.

    Svenja Niederfranke, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    Die EU-Kommission reagiert auf diesen Druck der EU-Mitgliedstaaten nun mit der Ankündigung, das Asylrecht in der Europäischen Union weiter verschärfen zu wollen.
    Meloni und Krah vor Europaflagge
    Europas Rechtspopulisten wollen die EU schwächen. Mit ihren Feindbildern gewinnen sie Unterstützer, aber sie sind auch zerstritten. Haben die Rechten einen Plan?31.05.2024 | 14:28 min

    Ursula von der Leyen formuliert Brief zu Asylfragen

    In einem Brief an alle Mitgliedstaaten führt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zehn Punkte an, die dazu beitragen sollen, die Zahl der in Europa ankommenden Migranten zu vermindern und "den Rückführungsprozess wirksam zu straffen".
    Für Diskussion sorgt dabei vor allem die Idee, Abschiebezentren - sogenannte "Return hubs" - in Drittstaaten einzurichten, um abgelehnte Asylbewerber schneller zur Ausreise zu zwingen. In dem Schreiben heißt es:

    Wir sollten weiterhin mögliche Wege in Bezug auf die Rückkehrzentren außerhalb der EU erkunden, insbesondere im Hinblick auf einen neuen Gesetzesvorschlag zu Rückführungen

    Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

    Asylsuchende stehen oder sitzen auf einer Bank (Archivbild)
    Berlin legt bei der Umsetzung der EU-Asylreform vor, gleichzeitig kommen neue Vorschläge aus Brüssel. Experten sind skeptisch, ob sich in der Asylpolitik so Tempo machen lässt.16.10.2024 | 2:33 min

    Abkommen zwischen Italien und Albanien

    Italien und Albanien machen es bereits vor: Sie unterzeichneten 2023 ein Abkommen, das die Einrichtung von Aufnahmezentren für Migranten im Drittland und EU-Beitrittskandidaten Albanien vorsieht. Dort will Rom die Asylanträge exterritorial und im Schnellverfahren prüfen.
    Sollte ein Antrag negativ beschieden werden, werden die Menschen direkt von Albanien aus abgeschoben. Ansonsten sollen sie nach Italien einreisen dürfen. Solche sogenannten "Return Hubs" in großem Stil einzuführen, bezeichnet Svenja Niederfranke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in der rechtskonformen Umsetzung jedoch als "extrem schwierig bis fast unmöglich".
    Einig sind sich die EU-Staaten, dass sie Migration besser kontrollieren und den gerade erst beschlossenen Migrationspakt beschleunigen wollen. Doch über das "Wie" wird weiter gestritten, vermutlich auch beim anstehenden EU-Gipfel.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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