Migration: Setzt sich Deutschland gegen das Asylrecht durch?
Analyse
Kein Asylgesuch in Deutschland?:EU-Asylrecht vs. deutsche Migrationspläne
von Lara Wiedeking, Brüssel
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Zurückweisung von Asylgesuchen an der deutschen Binnengrenze - ist das mit dem EU-Asylrecht konform? Welche Rolle Nachbarstaaten spielen und worauf es ankommt.
Die neue Koalition plant eine restriktivere Migrationspolitik: Verschärfte Asylverfahren, strengere Grenzkontrollen und Anpassung der Einbürgerungsregelungen. Wie blickt Sachsen auf die neuen Koalitionspläne?11.04.2025 | 1:45 min
Friedrich Merz hatte es im Wahlkampf versprochen: Asylgesuche sollen an den deutschen Binnengrenzen zurückgewiesen werden. Das Argument dahinter: Asylsuchende, die es von den EU-Außengrenzen bis nach Deutschland geschafft haben, sind bereits durch sichere EU-Staaten hindurch gereist und hätten dort aufgegriffen werden müssen, und somit dort ihren Antrag stellen müssen. Viel konjunktiv in einem Satz, denn nicht jedes EU-Außenland sieht sich in der Lage - oder in der Pflicht - alle ankommenden Migrantinnen und Migranten aufzugreifen und deren Asylverfahren durchzuführen. In Ungarn ist es beispielsweise faktisch so gut wie unmöglich, einen Asylantrag zu stellen.
Die Zahl der irregulären Grenzübertritte in die EU sei im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen, das ergibt eine vorläufige Erhebung der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Insgesamt um 38 Prozent. Vor allem über das Mittelmeer und die Weltbalkanroute seien deutlich weniger Menschen illegal in die EU gelangt. Deutlich angestiegen ist die Zahl der illegalen Grenzübertritte in die EU an der östlichen Grenze: Als Teil der hybriden Kriegsführung schleust vor allem Belarus Migrantinnen und Migranten über Polen in die EU. Insgesamt wurden 239.000 illegale Grenzübertritte festgestellt, laut Frontex.
Zurückweisung "in Abstimmung" mit Mitgliedsstaaten?
Der entsprechende Satz findet sich im Koalitionsvertrag: "Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen."
Diese "Abstimmung" entscheide über die Durchführbarkeit, erklärt Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der Wirtschaftsuniversität Wien: also ob Deutschland die dezidierte Zustimmung der Nachbarländer einholt oder sie nur über ihr Vorgehen informiert. "In jedem Fall jedoch sind solche Zurückweisungen nicht unionsrechtskonform und werden wohl, wenn ein Fall bis zum EuGH gelangt, als rechtswidrig eingestuft werden." Bis dahin können jedoch Jahre vergehen, während man diese Maßnahme im nationalstaatlichen Alleingang umsetzen könnte. Und sie brächten weitere Probleme mit sich, so Kohlenberger.
Also Österreich sagt, wir nehmen die Person nicht zurück. Deutschland sagt, sie nehmen sie aber auch nicht auf. Was passiert dann? Irgendwo muss dieser Mensch die Möglichkeit haben, den Asylantrag zu stellen.
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Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin, Wirtschaftsuniversität Wien
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Dublin-Verordnung: Welches EU-Land ist zuständig?
Wenn eine Person bereits einen Asylantrag in einem EU-Land gestellt hat, muss sie dorthin zurück. Der Mitgliedsstaat muss diese Person aufnehmen, das ist in der so genannten Dublin-III-Verordnung der EU geregelt. Darin findet sich auch ein zweiter Knackpunkt bei der Zurückweisung von Asylgesuchen, erklärt Svenja Niederfranke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die besage nämlich, dass Deutschland prüfen muss, welches Mitgliedsland für das Asylgesuch zuständig ist:
Das heißt ganz praktisch: Deutschland kann nicht einfach die Person an der Grenze zurückschieben, sondern muss sie aufnehmen und diese Prüfung vornehmen.
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Svenja Niederfranke, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
Wenn nach Abschluss dieser Prüfung feststeht, dass zum Beispiel Österreich für diese asylsuchende Person zuständig ist, kann sie dorthin überstellt werden. Im Falle von Deutschland und Österreich funktionieren diese Dublin-Überstellungen wohl gut, so Niederfranke. Das sei nicht mit allen EU-Ländern so.
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Österreich hat Vorbehalte
Ganz generell, merken beide Expertinnen an, führe eine Zurückweisung nicht automatisch dazu, dass diese Person nie wieder versucht, in Deutschland einzureisen. "Das Bundesinnenministerium spricht von etwa 50.000 Zurückweisungen seit Oktober 2023", so Niederfranke von der DGAP, "aber das sind eben nicht Personen, sondern Fälle. Da sind Doppelungen drin, also Menschen, die es mehrfach versucht haben."
Und es ist auch nicht nachweisbar, ob es diese Personen, doch dann irgendwann nach Deutschland geschafft haben.
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Svenja Niederfranke, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
Vor allem im Falle von Österreich gibt es große Vorbehalte gegen diesen deutschen Vorschlag. Den Grund vermutet die Wiener Migrationsforscherin Kohlenberger darin, dass es im österreichischen Fall kaum möglich wäre, eine Art "Kettenzurückweisung" an den Ursprung der EU-Außengrenze durchzuführen: "Denn das Land, wo wir dann weiterhin zurückweisen müssten, wäre Ungarn. Und wir wissen alle, wie sich Ungarn im europäischen Asylwesen derzeit verhält."
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Neuer Asyl- und Migrationspakt in Europa
Für die CDU-Europaabgeordnete Lena Düpont sei dieser Schritt ein erster in Richtung der Umsetzung des neuen europäischen Asyl- und Migrationspaktes. Der soll nächstes Jahr im Sommer in Kraft treten: Damit soll die Prüfung der Asylanträge an die EU-Außengrenzen verlagert werden. Wichtig sei jedoch, dabei das Gespräch zu suchen.
Das Entscheidende tatsächlich ist, das habe ich an unterschiedlicher Stelle auch immer wieder deutlich gemacht, das muss in Abstimmung mit den Nachbarn passieren.
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Lena Düpont, CDU-Abgeordnete im Europäischen Parlament
"Im Jahr vom Schengen-Geburtstag muss man natürlich mit einer gewissen Bitterkeit sagen: Schengen war schon mal in einem besseren Zustand", erklärt Düpont und spielt darauf an, dass das EU-Abkommen zur Abschaffung der Grenzkontrollen im Sommer 40 Jahre alt wird. "Wenn wir das aber verändern wollen, dann müssen wir mit den Mitgliedstaaten gemeinsam daran arbeiten, dass die Gründe wegfallen, warum sie wieder auf temporäre Binnengrenzkontrollen zurückgreifen." Mit diesem strengeren Kurs beim Thema Asylpolitik würde Deutschland sich in die Mehrheit der Mitgliedsstaaten einfügen.
Diese Verschärfung dürfte europaweit voranschreiten, auch schon in diesem Jahr: die EU-Kommission hat vor einigen Wochen den Weg geebnet für "Rückführungszentren" in Drittstaaten, auch soll es bald eine Liste oder einen Kriterienkatalog geben, was einen "sicheren Drittstaat" ausmacht. Nur ein Teil der Asylpolitik Europas, die sich weiter verschärfen wird.
Lara Wiedeking ist Korrespondentin im ZDF-Studio in Brüssel.
Es diskutieren unter anderem Vizekanzler Robert Habeck (B'90/Die Grünen) und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: „Machtkampf um Migration - entscheidet der Asylstreit die Wahl?“30.01.2025 | 64:58 min
Quelle: dpa
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