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Interview
Oppositioneller Chodorkowski:"Niemand lebt ewig, auch nicht Putin"
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Michail Chodorkowski saß einst in Russland im Gefängnis, heute ist er eine der einflussreichsten Stimmen der Opposition. Im ZDF-Interview äußert er sich zur Zukunft Russlands.
Viele russische Oppositionelle leben im Exil und kämpfen von dort aus gegen das Regime. Und doch ziehen sie nicht an einem Strang.15.01.2025 | 6:39 min
ZDFheute: Herr Chodorkowski, Sie waren Geschäftsmann, politischer Gefangener und jetzt ein Oppositioneller. Als was würden Sie sich selbst bezeichnen?
Michail Chodorkowski: Ich mag den Begriff Opposition nicht wirklich, weil er nicht ganz dem entspricht, was wir tun. Ich würde uns eher als Widerstand gegen Putin bezeichnen.
ZDFheute: Was bedeutet das?
Außerdem besteht die Hauptaufgabe des Widerstandes darin, den Krieg zu beenden, denn ohne eine Beendigung des Krieges ist das andere Ziel nicht möglich.
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ZDFheute: Was sind Ihre politischen Ambitionen?
Chodorkowski: Ich bezeichne mich nicht gerne als Politiker. Ein Politiker ist eine Person, die danach strebt, eine Machtposition zu erlangen, in ein bestimmtes Amt gewählt zu werden. Ich habe in meinem Leben noch nie danach gestrebt. Es ist für mich wahrscheinlich auch zu spät, damit jetzt noch anzufangen. Ich bin jedoch ein Gegner des Putin-Regimes. Ich engagiere mich für Menschenrechte, denn mir wurde geholfen, als ich im Gefängnis saß. Ich glaube, dass ich heute etwas zurückgeben kann.
ZDFheute: Putin scheint im Moment fest im Sattel zu sitzen.
Chodorkowski: Leider haben Sie recht. Als dieser Krieg begann, hätte Putins Macht sehr ernsthaft untergraben werden können, wenn der Westen sofort die Entscheidungen getroffen hätte, die er einige Jahre später traf. In diesem Fall hätte Putin diesen Krieg verloren und die Veränderungen in Russland wären viel schneller vonstattengegangen. Nun haben wir vielleicht noch fünf bis zehn Jahre Weg vor uns, aber niemand lebt ewig. Auch nicht Putin, selbst wenn er das hofft.
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ZDFheute: In russischen Oppositionskreisen wird die Frage heiß diskutiert, was man in einem Russland nach Putin mit den Mitarbeitern im Staatsapparat und im Militär macht, die ihn gestützt haben. Viele fordern eine Art Säuberung. Einen kompletten personellen Neuanfang.
Meiner Meinung nach ist das nicht wahr. Ich kenne eine sehr große Zahl von Menschen, darunter auch Angehörige der Geheimdienste, die ihrem Land ehrlich dienen und gedient haben.
ZDFheute: In Ihrem Buch "Wie man einen Drachen tötet" fordern sie eine Revolution in Russland. Wie stellen Sie sich das vor?
Chodorkowski: Man sollte nicht Revolution und Bürgerkrieg verwechseln. Ich verstehe unter Revolution eine über bestehende Grenzen hinausgehende Veränderung von etwas im politischen Leben, in der Technik, in der Technologie, in der Wissenschaft.
In Russland herrscht ein Autoritarismus, der bereits in eine Diktatur umgeschlagen ist. Man wird also auf jeden Fall Grenzen überschreiten müssen. Das bedeutet für mich Revolution. Ob diese Revolution gewalttätig sein wird, ob es eine Revolution mit Androhung von Gewalt sein wird oder ob sie etwas viel Friedlicheres sein wird, hängt von der Situation ab.
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ZDFheute: In der russischen Opposition herrscht Streit. Sie haben Differenzen mit dem Team des gestorbenen Oppositionellen Alexej Nawalny.
Chodorkowski: Wir haben eine grundlegende Meinungsverschiedenheit: Wenn wir über die Zukunft Russlands sprechen, dann ist es die Meinung des Team Nawalny, dass anstelle des schlechten Autokraten Putin ein guter demokratischer Führer treten wird, der nur Gutes tun wird. Das glaube ich grundsätzlich nicht.
Um das zu ändern, ist es notwendig, Koalitionen zu bilden und auf Gewaltenteilung zu setzen. Das muss jetzt schon passieren, vor einer Phase des Wandels und nicht erst, wenn die Veränderungen bereits stattgefunden haben.
ZDFheute: Die liberale Opposition sagte oft, dass das in der Ukraine Putins Krieg ist. Mittlerweile sieht es aber so aus als würde eine große Zahl an Russen den Krieg mittragen.
Chodorkowski: Ich denke der Krieg war am Anfang ausschließlich Putins Krieg und der seines innersten Zirkels. Drei Jahre später hat sich die Lage dramatisch verändert. Heute gibt es in Russland viele, die diesen Krieg bis zum Sieg unterstützen. Ich weiß nicht, ob diese Leute in der Mehrheit sind. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass es einer Mehrheit am liebsten wäre, wenn dieser Krieg beendet würde.
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ZDFheute: Sollte Russland, die annektierten ukrainischen Gebiete aufgeben?
Chodorkowski: Die Antwort darauf ist hier sehr einfach. Die russischen Liberalen können in Russland nur dann an die Macht kommen, wenn sich die russische Gesellschaft darüber einig ist, dass eine Wiederherstellung der Beziehungen zum Westen notwendig ist. Und die Beziehungen zum Westen können erst nach der Lösung dieser territorialen Probleme vollständig wiederhergestellt werden.
Das Interview führte Sebastian Ehm, Korrespondent für Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
Quelle: ZDF
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