Historiker Mendel: Deutschland soll Palästina anerkennen

    Interview

    Historiker zum Nahost-Konflikt:Mendel: Deutschland soll Palästina anerkennen

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    Der Historiker Meron Mendel spricht sich für die Anerkennung Palästinas aus. Deutschland solle dem Beispiel aus Spanien, Irland und Norwegen folgen, sagt er im ZDF-Interview.

    Meron Mendel im Talk bei Volle Kanne
    Das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern ist zerrüttet. Meron Mendel erläutert die Probleme und gibt Anregungen zur Verbesserung der Situation.24.05.2024 | 7:44 min
    Der deutsch-israelische Historiker und Pädagoge Meron Mendel spricht sich für die Anerkennung des Staates Palästina durch Deutschland aus. Die einzige langfristige Lösung im Nahost-Konflikt sei die Existenz zweier Staaten, sagte der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank am Freitag in der ZDF-Sendung "Volle Kanne".

    Meron Mendel im Talk bei Volle Kanne
    ... ist ein israelisch-deutscher Pädagoge und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Mendel ist Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und veröffentlichte die Bücher: "Muslimisch-jüdisches Abendbrot" und "Über Israel reden". Der 48-Jährige ist mit der Politologin Saba-Nur Cheema verheiratet. Das Paar publiziert gemeinsam und schreibt die Kolumne Muslimisch-jüdisches Abendbrot im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

    ZDFheute: Einige Länder wie Spanien, Irland und Norwegen erkennen Palästina als Staat an. Welche Haltung haben Sie dazu?
    Meron Mendel: Ich war immer für die Gründung eines palästinensischen Staates in den internationalen Grenzen von 1967. Insofern unterstütze ich die Entscheidung und hoffe, dass auch Deutschland diesem Vorbild folgt.

    Die Bundesregierung plant nach Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) derzeit keine Anerkennung Palästinas als eigenen Staat. Es gebe "keinen Anlass", die Anerkennung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) als eigenen Staat zu vollziehen, erklärte Scholz. "Es gibt keine Klarheit über das Staatsgebiet, über alle anderen Fragen, die damit zusammenhängen", so der Kanzler weiter. Es sei "noch nicht so weit". Was stattdessen gebraucht werde, sei "eine verhandelte Lösung zwischen Israel und den Palästinensern, die auf eine Zwei-Staaten-Lösung hinausläuft", bekräftigte Scholz. Dazu gehöre auch eine palästinensische Autonomiebehörde, die für die Westbank und Gaza zuständig sei.

    ZDFheute: Wie hat sich die Debatte seit dem 7.Oktober verändert?
    Mendel: Der Israel-Palästina-Konflikt fungierte schon vorher als identitätsstiftender Faktor für Gruppen weltweit. Das bedeutet, dass die Identifikation mit der einen oder anderen Seite als Teil der Gruppenidentität als Linke, Migrant, Muslim oder Jude verstanden wird. Das kann man auch bei Menschen sehen, die keine unmittelbare persönliche Verbindung mit der Region haben.

    Seit dem Massaker der Hamas und dem Ausbruch des Gaza-Krieges wird die Debatte noch deutlich emotionaler geführt.

    Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank

    Jedes Lager proklamiert für sich die einzig richtige moralische Position zu vertreten, was eine konstruktive Diskussion erheblich erschwert.
    ZDFheute: Wie würden Sie die Lager, die sich gegenüberstehen, beschreiben?
    Mendel: Man kann die Situation mit einem Fußballstadion vergleichen. Auf der einen Seite sind die Israel-Fans, auf der anderen Tribüne stehen die Palästina-Ultras. Egal was auf dem Fußballfeld passiert, die Fans stehen zu ihrer Mannschaft und beschimpfen den Gegner. Das Tragische daran ist, dass in der Realität die Menschen vor Ort, sei es in Gaza oder in Israel, keine Fanclubs brauchen. Vielmehr geht es darum, friedliche Kräfte auf beiden Seiten zu unterstützen.
    Auf dem Bild ist ein trauernder Mann am Grab zu sehen.
    Wie geht es weiter mit Israel? Begleitet von ZDF-Reporterin Jenifer Girke reist der Historiker Meron Mendel in seine Heimat, trifft jüdische und arabische Israelis und fragt, ob Frieden noch möglich ist.11.12.2023 | 39:15 min
    ZDFheute: Sie sind mit einer Muslima verheiratet. Das heißt, die Filterblase geht mitten durch das Eheleben. Wie kann man sich den Abend des 7. Oktobers bei Ihnen vorstellen?
    Mendel: Ich erinnere mich gut, wie wir an diesem Abend auf dem Sofa saßen und unsere Timelines miteinander verglichen. Während es in meinem Feed nur Äußerungen von Schock und Trauer gab, sah ich auf dem Handy meiner Frau, dass Menschen sich über das Massaker freuten. Ich las dort Sprüche wie "Gaza just broke out of jail" oder "poetic justice" als freudige Kommentare.
    ZDFheute: Wie können wir verhindern, dass sich die Unversöhnlichkeit im Nahen Osten auch auf Deutschland überträgt?
    Mendel: Es ist an sich völlig normal, dass es unterschiedliche Positionen zum Nahost-Konflikt gibt.

    Es wird erst dann zum Problem, wenn die Radikalen am lautesten sind.

    Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank

    Ich glaube, dass die Mehrheit der Menschen kein Interesse an Polarisierung und Polemik hat. Trotzdem erhalten radikale Positionen sehr viel Aufmerksamkeit. Stattdessen brauchen wir mehr Diskursräume, in denen auch Platz für Zwischentöne ist. Deshalb haben meine Frau und ich vom 13.-16. Juni Thementage für die Berliner Festspiele kuratiert, bei denen auch Israelis und Palästinenser gemeinsam auf der Bühne sitzen.
    Mit Meron Mendel durch Israel
    Meron Mendel ist Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt. Zum ersten Mal seit dem Terrorangriff der Hamas ist er in seine Heimat Israel zurückgekehrt, um Familie und Freunden beizustehen. 13.12.2023 | 2:26 min
    ZDFheute: Sie bekommen täglich Hassmails und werden wechselnd als Rassist und Antisemit bezeichnet. Wie gehen Sie mit diesen Anfeindungen um?
    Mendel: Ziemlich gelassen. Der Ton in den sozialen Medien ist harsch, oft dominieren radikale Stimmen den Diskurs. Ich nehme es nicht persönlich, weil ich sehe, dass es nicht nur mich betrifft. Vielmehr beschäftigt mich die Frage, was diese Diskussionsunkultur für unsere Gesellschaft bedeutet. Ich befürchte, dass diese Art der öffentlichen Kommunikation langfristig unsere Demokratie gefährdet.
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