"Moi aussi": Me Too-Debatte beim Filmfestival Cannes
Sexuelle Gewalt in Filmbranche:"Me Too"-Debatte beim Filmfestival Cannes
von Carolin Auen, Cannes
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Mit "Moi aussi" bringt die französische Schauspielerin Judith Godrèche Tausende Betroffene sexueller Gewalt auf die Leinwand. Ein Kurzfilm, der bewegt.
In Cannes brechen Betroffene von sexualisierter Gewalt ihr Schweigen. Missbrauchsopfer erzählen im Film "Moi aussi" ihre Geschichten - und fordern mehr juristische Aufarbeitung.17.05.2024 | 2:20 min
Die Menschen auf der Leinwand bewegen sich gemeinsam, wiegen sich mit der Musik, verschließen den Mund mit den Händen. Die Stimme aus dem Off erzählt die Erlebnisse derjenigen, die auf der Leinwand zu sehen sind:
Ich war 11. Er fragte mich nach der Uhrzeit, dann vergewaltigte er mich.
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"Ich traf sie mit 8 oder 9, sie war 29, eine Freundin meiner Tante", "Ich war 15, er war ein guter Freund meines Vaters."
Schauspielerin Judith Godrèche hat Tausende Geschichten wie diese gesammelt, hat selbst sexuelle Gewalt erfahren. Daraus entstand das Filmexperiment "Moi aussi", französisch für "me too", ich auch. Eine Choreographie aus sanften Bewegungen zu ruhiger Musik, dem Verschmelzen hunderter Körper zu einer Masse. In Cannes wird das Ergebnis erstmals präsentiert. Zuerst im Kinosaal, anschließend öffentlich am Cinéma de la Plage, dem Open-Air-Kino des Festivals.
Judith Godrèche, 52, ist eine französische Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin. Mit 13 spielte sie ihre erste Rolle in "Die Familienpyramide" (1985), für die Hauptrolle in "Die Entzauberte" (1990) wurde sie für den französischen Filmpreis César nominiert. International bekannt wurde sie unter anderem mit "Der Mann mit der eisernen Maske" (1998) und "L’auberge espagnole" (2002).
In der Arte-Miniserie "Icon of French Cinema"(2023) arbeitet Godrèche die Beziehung mit dem 25 Jahre älteren Filmregisseur Benoît Jacquot Ende der 1980er Jahre auf. Im Februar 2024 erstattet sie Anzeige wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen gegen Jacquot und sexueller Gewalt gegen den Regisseur Jacques Doillon.
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"Es ist nicht in Ordnung, dass wir so viele sind"
Neben den Zuschauer*innen sind auch einige Mitwirkende gekommen, um sich ihren Film anzusehen. "Ich bin Opfer, aber ich verstecke mich nicht mehr. Ich spreche darüber, ich habe diesen Film gemacht und bin mit denjenigen in Cannes, die Ähnliches erlebt haben." In Claire Ninis Fall liegen die Ereignisse mehr als 20 Jahre zurück, die Untersuchungen wurden eingestellt. Der Film ist für sie eine Möglichkeit der Anerkennung.
Wie Nini ist auch die Schauspielerin Angèle Baux-Godard extra nach Cannes gereist, auch ihre Geschichte ist Teil des Filmes: "Es ist mächtig, aber auch beängstigend", beschreibt sie das Erlebnis der Produktion.
Wenn man so zusammenkommt, fällt nochmal auf: Es ist wirklich nicht Ordnung, dass wir so viele sind.
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Angèle Baux-Godard, Schauspielerin
"Me too"-Bewegung kommt in Frankreich an
Die Hauptrolle des Kurzfilms spielt Godrèches Tochter, Tess Barthélémy. "Es war mir wichtig, auch die Zukunft darzustellen", erklärt Godrèche diese Entscheidung. Sie habe jemanden einbinden wollten, der auf die Frage "Wurdest du missbraucht?" mit Nein antworten könne. Der Wunsch ihrer Tochter, auch Schauspielerin zu werden, hat Godrèche dazu gebracht, sich zu ihrer eigenen Vergangenheit zu äußern. "Ich wollte nicht, dass ihr das passiert, was mir passiert ist."
Godrèche wirft zwei Regisseuren vor, sie als Jugendliche sexuell misshandelt zu haben. In wenigen Monaten wurde sie Symbol einer zweiten Welle der "Me too"-Bewegung, diesmal in Frankreich. Ende Februar sprach sie bei der Preisverleihung des französischen Filmpreises César, appellierte im März vor der französischen Nationalversammlung für eine Untersuchungskommission des Missbrauchs und der Gewalt in der Filmbranche. Mit Erfolg: Anfang Mai stimmen die Abgeordneten für die Bildung des Ausschusses.
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Untersuchungsausschuss für branchenübergreifende Bestandsaufnahme
Über sechs Monate hinweg werden Anhörungen einen Überblick über die Situation von Frauen und Kindern in verschiedenen Branchen, unter anderem Film und Mode, ermöglichen. "Wir möchten eine Bestandsaufnahme machen, Missstände erkennen und dann Lösungen vorschlagen", erklärt Francesca Pasquini, Sprecherin der Kommission. Ab dem 22. Mai finden die ersten Anhörungen statt. Im Herbst sollen dann Empfehlungen vorgelegt werden, aus denen Gesetze formuliert werden könnten.
Frankreich hinkt in Sachen Schutzmaßnahmen hinterher
Dass es so lange gedauert hat, bis "Me too" von New York nach Cannes kommt, hat laut Scott Roxborough verschiedene Gründe. Seit 23 Jahren berichtet der Journalist über das Festival. "Die Filmkultur hier in Frankreich sieht sich als freizügig, als offen und hat die "Me too"-Bewegung zuerst als eine Art puritanische amerikanische Invasion gesehen."
Dabei sei die Arbeitsweise in Frankreich sehr konservativ, Schutzmaßnahmen, die anderswo Standard seien, gebe es in hier noch kaum - vor allem aus Angst, der Kunst zu schaden und die Freiheit zu gefährden. "Bevor die französische Filmindustrie erkannt hat, dass diese Art, Filme zu machen, sehr problematisch sein kann und verändert werden muss, hat es eine Weile gedauert."
Berührend, poetisch, mutig - die Reaktionen auf "Moi aussi" am Strand von Cannes sind positiv. Der Film steht vor allem für ein Umdenken, nicht nur in der Filmbranche.
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