Ukraine-Unterstützung: Macron und Scholz ringen um Linie
Interview
Expertin zu Macron-Aussagen:"Ausmaß dieses Konflikts besser verstanden"
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Es hakt bei der Ukraine-Unterstützung - auch weil Deutschland und Frankreich um eine gemeinsame Linie ringen. Die Positionen analysiert Politikwissenschaftlerin Miard-Delacroix.
Mit Blick auf die Unterstützung für die Ukraine geht Macron einen anderen Weg als Bundeskanzler Scholz.
Quelle: AP
Emmanuel Macron geht seit Tagen verbal in die Offensive. Erst schloss Frankreichs Präsident Nato-Bodentruppen in der Ukraine explizit nicht aus, jetzt forderte er von den Verbündeten "nicht feige" zu sein. Bundeskanzler Olaf Scholz steht derweil in der Kritik, bei Waffenexporten zu zögern - etwa in der Taurus-Debatte. Dabei liefert Deutschland weit mehr Waffen an die Ukraine als Frankreich. Das Verhältnis zwischen Scholz und Macron scheint belastet.
Im Gespräch mit ZDFheute wirbt Hélène Miard-Delacroix für mehr Verständnis. Die Forscherin an der Pariser Sorbonne erinnert an die unterschiedliche Verteidigungspolitik beider Länder. Paris etwa leiste auch mit seiner atomaren Abschreckung einen Beitrag. Dass Scholz und Macron so gegensätzlich kommunizieren, habe auch viel mit der politischen Konkurrenz im Inland zu tun.
Quelle: ZDF
Ein ausführlicher Beitrag über die Unstimmigkeiten in der Ukraine-Politik ist am Sonntag bei Berlin direkt zu sehen.
ZDFheute: Emmanuel Macron hat in Prag kürzlich gesagt, man dürfe "nicht feige" sein. Eine indirekte Kritik, mit der er Scholz visiert?
Hélène Miard-Delacroix: Das muss man nicht unbedingt als direkte oder indirekte Kritik an Bundeskanzler Scholz verstehen.
Ich glaube, es ist eher ein Wille, die Öffentlichkeit aufzurütteln, wachzurütteln, und zu sagen: Wenn wir dem Gegner zeigen, dass wir nichts ausschließen, dann ist es ein Mittel, eine rote Linie zu ziehen. Und es bedeutet nicht, dass wir Kriegstreiber sind.
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ZDFheute: Wenn es aber diesen Weckruf braucht, was sagt das dann über das aktuelle deutsch-französische Verhältnis aus?
Miard-Delacroix:Es gibt strukturelle Unterschiede zwischen beiden Ländern. Frankreich ist eine Atommacht, hat als verschuldetes Land jedoch wenig Möglichkeiten, zügig Waffen zu produzieren und zu liefern. Die Bundesrepublik hingegen ist keine Atommacht, hat aber aus eigener Kraft die Möglichkeit, viel zu liefern.
Frankreich setzt auf Abschreckung: Das Ziel ist, den Gegner im Unklaren zu lassen, was für Folgen die eigenen Schritte haben könnten. Die Bundesrepublik pflegt Zurückhaltung und Berechenbarkeit. Nichtsdestotrotz haben beide Länder weiterhin die gleichen Interessen und wollen in der gleichen Schicksalsgemeinschaft bleiben.
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ZDFheute: Aber dann scheinen die europäischen Partner selbst diese Strategie nicht verstanden zu haben. Schließlich haben sich viele schnell öffentlich von Macrons Aussagen distanziert.
Miard-Delacroix: Das ist genau das Problem, das es derzeit zwischen den Europäern gibt. Speziell zwischen Deutschland und Frankreich.
Anstatt dass man in der Öffentlichkeit über Differenzen redet, müsste man versuchen, hinter den Kulissen Meinungsunterschiede auszuräumen und zu einer gemeinsamen Kommunikationsstrategie zu kommen. Dass das nicht passiert, ist wahrscheinlich ein großer Fehler beider Länder.
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ZDFheute:Welche Motivation steckt bei Macron dahinter, verbal voranzugehen?
Miard-Delacroix: Die Taktiken des französischen Staatspräsidenten und auch des Bundeskanzlers haben innenpolitische Gründe.
Und dann ist es sein Ziel, den rechtspopulistischen Rassemblement National von Marine Le Pen aus der Schweigeecke zu locken - mit der Frage: 'Sind Sie für die Ukraine und für die Unterstützung der Demokratie und der Freiheit oder sind Sie für Putin?'
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Umgekehrt ist es in der Bundesrepublik so, dass der Bundeskanzler versucht, seine Wähler nicht zu sehr zu verprellen. Also in der SPD und auf der anderen Seite die sogenannten Putin-Versteher, die bereit sind, eine rechtspopulistische oder eine sehr linksorientierte Partei zu wählen.
ZDFheute: Zuletzt hat Macron Nato-Bodentruppen in der Ukraine nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. Gleichzeitig liefert Frankreich aber weniger Waffen als Deutschland. Sehen Sie einen Widerspruch zwischen Kommunikation und Handeln?
Miard-Delacroix:Diese Erbsenzählerei führt zu nichts, ist kontraproduktiv und verursacht Missverständnisse. Man sollte eher hervorheben, welche unterschiedlichen Beiträge für die Verteidigung beide Länder leisten. Somit ist auch die französische Abschreckung als Atommacht etwas, das die geringere Waffenlieferung kompensieren kann.
Das Interview führte Luis Jachmann, ZDF-Studio Paris.
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