Umweltzone und City-Maut: So wird Autofahren in London teuer

    Interview

    Für weniger Verkehr und Abgase:Wie London Autofahrer zur Kasse bittet

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    Autofahrer in London müssen tief in die Tasche greifen, wenn sie ins Zentrum fahren oder ein altes Auto besitzen. Ein Ziel: Autofahrer aus ihren Wagen locken.

    Fußgänger laufen über eine vielbefahrene Straße in London.
    Autos, Busse und Fußgänger: Die Straßen in London sind voll. Eine City-Maut und Umweltzone sollen die Verkehrswende bringen.
    Quelle: dpa

    Wer in London mit dem Auto fahren möchte, wird zur Kasse gebeten - manchmal sogar zweimal, je nach Auto. In der Stadt gelten sowohl eine City-Maut für die Innenstadt als auch eine kostenpflichtige Umweltzone im gesamten Stadtgebiet. Die Stadt will so einerseits Autofahrer aus ihren Fahrzeugen locken und andererseits die Abgase in der Luft reduzieren.
    Transport-Experte Ben Clatworthy erklärt im Interview, wie die Maßnahmen funktionieren, ankommen und wieso er glaubt, London müsste und könnte noch weiter gehen.
    ZDFheute: Wie würden Sie die aktuelle Situation für Autobesitzer in London beschreiben?
    Ben Clatworthy: Für Menschen, die im Zentrum leben, sind die Kosten seit langem hoch. 2003 wurde die City-Maut eingeführt, um die Leute aus dem Auto zu locken. Sie gilt parallel zur Umweltzone, die 2019 im Zentrum eingeführt wurde - vor allem für ältere Autos, typischerweise solche, die vor 2006 registriert wurden. Das sind insgesamt nicht viele Autos, aber doch eine beträchtliche Anzahl. Die Kosten für diese Besitzer sind unerschwinglich hoch.

    Ben Clatworthy ist Korrespondent der "The Times" in London. Dort berichtet er über die Themen Transport und Reisen. Clatworthy ist auch für "Times Radio" tätig.

    ZDFheute: Was beabsichtigt die Stadt mit diesen Maßnahmen?
    Clatworthy: Die City-Maut kostete erst fünf Pfund pro Tag, mittlerweile sind es 15 Pfund. Es war wirklich eine Abschreckung: "Nutzt nicht eure Autos, nehmt öffentliche Verkehrsmittel!" Die Umweltzone ist was anderes. Sie hat das Ziel, schädliche Abgase zu reduzieren.
    Aber das ist sehr umstritten. Die einen sagen, es sei eine reine Umweltentscheidung. Die anderen behaupten, es handele sich um eine weitere Anti-Auto-Maßnahme, eine Art doppelte Steuer zusätzlich zur City-Maut. Aber die Umweltzone betrifft eben nur ältere Fahrzeuge.
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    ZDFheute: Trotzdem hat die Ausweitung der Umweltzone für Wut gesorgt, die auch kriminell geäußert wurde. Wie sah das konkret aus?
    Clatworthy: Als die Umweltzone auf die Außenbezirke ausgeweitet wurde, wurden neue Kameras aufgestellt, um die Autos zu erkennen, die Zahlen müssen. Die Gegenreaktion war beträchtlich, vor allem im eher rechten Milieu.
    Wir haben viel Kriminelles gesehen, die Leute haben die Kameras sabotiert. Teilweise wurde berichtet, dass Kameras genau so schnell wieder unten waren, wie sie aufgebaut waren.

    Die City-Maut ("Congestion Charge Zone") muss zahlen, wer mit dem Auto in die Londoner Innenstadt fahren möchte. Die Regelung gilt bereits seit 2003. Wer tagsüber in die Maut-Zone fährt, muss pro Tag und Auto 15 Pfund zahlen. Motorräder sind ausgenommen, für E-Autos gilt eine Sonderregelung.

    Die Umweltzone ("Ultra Low Emission Zone", kurz ULEZ) gilt zusätzlich für Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß, also ältere Benziner und Diesel. Die Regelung gilt seit 2019, zunächst für das Zentrum. Seit 2023 gilt die Umweltzone in allen Londoner Bezirken. Kostenpunkt: 12,50 Pfund pro Tag. Die ULEZ gilt rund um die Uhr.

    Kameras scannen im Stadtgebiet die Nummernschilder der Fahrzeuge, die sich online registriert haben müssen. Ist ein Fahrzeug nicht registriert oder eine Abgabe nicht bezahlt, müssen die Halter ein Bußgeld zahlen.

    ZDFheute: Die Straßen in London sind immer noch voll. Haben die Maßnahmen, etwa die City-Maut, denn funktioniert?
    Clatworthy: Die City-Maut hat die Anzahl der Autos definitiv reduziert. Aber in der Tat sieht man noch immer viele Fahrzeuge im Zentrum. Das sind dann aber Busse, Taxis oder Lieferfahrzeuge. Wir sehen nach der Pandemie vermehrt Lieferwagen, die Pakete ausliefern. Es gibt also noch immer viel Stau in London.

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    ZDFheute: Gibt es also eine Verlagerung? Von privaten Autos hin zu mehr gewerblichen Fahrzeugen?
    Clatworthy: Man kann mit Sicherheit sagen, dass im Zentrum der Großteil des Verkehrs aus beruflichen Gründen durchfährt, also Laster, Lieferwagen, Taxis und Busse. Natürlich gibt es weiter eine Minderheit, die ihr Auto aus privaten Gründen nutzt. Man sieht viele Personen aus dem Ausland, die mit dem Auto kommen oder hier ihren Zweitwohnsitz haben, die die Gebühren gerne zahlen. Aber in der Regel sind es Leute, die mit dem Auto zur Arbeit pendeln.

    Der Verband der unabhängigen britischen Einzelhändler (BIRA) macht sich Sorgen. Hohe Kosten für das Autofahren an sich und Parken würden dafür sorgen, dass weniger Menschen ins Zentrum kommen, so BIRA-Geschäftsführer Andrew Goodacre im ZDFheute-Interview.

    "Nicht jeder ist gut zu Fuß, kann mit der U-Bahn oder dem Rad fahren", sagt Goodacre. Gerade aus den äußeren Bezirken kommend sei es noch schwer, auf das Auto zu verzichten. Goodacre fordert einen zusammenhängenden Plan, wie der Zugang zum Zentrum für diejenigen, die bisher auf das Auto angewiesen sind, ermöglicht wird.

    ZDFheute: Die Zahl der Radwege in der Stadt hat zugenommen. Wird London jetzt ein Amsterdam 2.0?
    Clatworthy: Es gibt "Super Cycle Highways", die die Stadt durchkreuzen und sehr beliebt sind in den Kernzeiten. Aber Fakt ist auch, dass unsere Infrastruktur immer noch hinterherhinkt. Es wird sich eher darauf konzentriert, Autobahnen instand zu halten.
    Ich denke, wir werden jetzt mit dem Labour-Bürgermeister in London und der neuen Labour-Regierung mehr klare Bemühungen in die Richtung sehen. Das Thema ist unter der letzten Tory-Regierung unter den Tisch gefallen.

    "Mehr Londonern zu ermöglichen, sich für nachhaltige Verkehrsmittel zu entscheiden, steht im Mittelpunkt der Verkehrsstrategie des Bürgermeisters", schreibt ein Sprecher des Londoner Bürgermeister Sadiq Khan auf ZDFheute-Anfrage. Bis 2041 sollen 80 Prozent der Fahrten mit nachhaltigen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden.

    Die Idee: Wenn mehr Menschen die U-Bahn nutzen, zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren, ist mehr Platz für diejenigen, die aus beruflichen oder gewerblichen Zwecken nicht auf das Auto verzichten können, so der Sprecher.

    ZDFheute: Wenn man all das berücksichtigt: Mehr Fahrrad-Infrastruktur, Gebühren für Autofahrer - ist es dann realistisch, dass wir immer weniger Autos in London sehen werden?
    Clatworthy: Im Zentrum ist die private Autonutzung deutlich gesunken, das wird sie auch in den äußeren Bezirken. Aber es gibt noch Probleme. Der Bürgermeister hat etwa ein neues Busnetz "Superloop" eingeführt. Damit wird versucht, einige Orte zu verbinden, an denen öffentliche Verkehrsmittel keine Option waren. Aber insbesondere, wenn man von Osten nach Westen oder umgekehrt fährt, nicht in die Stadt hinein, gibt es Probleme.
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    Im Zentrum sind wir darüber fast hinweg. Was wir aber tun müssen, ist, die Fahrradinfrastruktur weiter auszubauen, um aktives Vorankommen zu fördern.
    ZDFheute: Und was würden Sie jemandem sagen, der in einer Stadt lebt, die plant, diese Schritte zu unternehmen? Mehr nachhaltiger Verkehr, weniger Verbrenner…
    Clatworthy: Es ist kurzer Schmerz für langfristigen Gewinn. Der langfristige Gewinn bedeutet weniger Autos auf den Straßen. Das ist sicherer für Radfahrer und Fußgänger. Aber wenn es Veränderung gibt, gibt es auch Personen, die das nicht mögen, weil es Unsicherheit mit sich bringt.
    Das Interview geführt und bearbeitet haben Renée Severin und Joe Evans aus dem ZDF-Studio London.

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