Was wird aus dem EU-Lieferkettengesetz?

    Vorentscheidung in Brüssel:Was wird aus dem EU-Lieferkettengesetz?

    von Marie Sophie Hübner
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    Unter den Botschaftern der Mitgliedstaaten gab es am Mittag keine Mehrheit. Warum das EU-Lieferkettengesetz vorerst gescheitert ist - und wie es jetzt weitergeht.

    Ulf Röller
    Unter den EU-Ländern gibt es weiter keine Mehrheit für ein europäisches Lieferkettengesetz - Ulf Röller berichtet.28.02.2024 | 1:01 min
    EU-Ratspräsidentschaften organisieren die Gesetzgebung. Seit Januar haben die Belgier die Ratspräsidentschaft inne. Gerne twittern auch sie "Deal!", wenn sich die EU-Institutionen mal wieder einig werden. Mittwochmittag kam es anders: Unter den Mitgliedsstaaten gibt es keine Mehrheit für eine EU-Richtlinie zu Sorgfaltspflichten - besser bekannt und breit diskutiert als Lieferkettengesetz.
    Für eine Verabschiedung hätten 15 von 27 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, für den Entwurf stimmen müssen. Eine Enthaltung hat damit den gleichen Effekt wie ein Nein zum Gesetz. Deutschland enthielt sich - wieder. Aufgrund von Streit in der Bundesregierung änderte Deutschland bereits bei mehreren Dossiers zu einem späten Zeitpunkt seine Position. "German Vote" wird das in Brüssel genannt.

    Ziel des Gesetzes war es, Zwangs- und Kinderarbeit zu verhindern und die Umwelt zu schützen. Das sollte entlang der gesamten Lieferkette - und nicht wie im deutschen Gesetz nur beim direkten Zulieferer - sichergestellt werden. Zudem war vorgesehen, dass Unternehmen für die Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten haftbar sind.

    Was passierte bisher?

    Im Dezember vergangenen Jahres hatten die EU-Kommission, das Europaparlament und die Mitgliedstaaten der EU einen Kompromiss für ein Lieferkettengesetz gefunden. Die finale Abstimmung der Mitgliedstaaten im Januar galt als Formsache. Doch dann zog Deutschland seine Zustimmung zum Gesetz zurück. Die FDP hielt die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf die gesamte Wertschöpfungskette für "völlig realitätsfern", das treffe den deutschen Mittelstand.
    Der Koalitionsvertrag sieht vor: Wenn sich die Partner in der Bundesregierung nicht einig sind, enthält sich Deutschland bei der Abstimmung im Rat. Damit drohte das Gesetz zu platzen. Die belgische Ratspräsidentschaft verschob die Abstimmung immer wieder - und versuchte es am Mittwoch: Ohne Erfolg, auch weil sich zwölf weitere Mitgliedstaaten enthielten.
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    Lara Wolters, niederländische Sozialdemokratin, führt auf Seiten des Parlaments die Verhandlungen zu dem Gesetz und sieht in dem Scheitern ein beunruhigendes Muster: "Wir hatten jahrelang hier im Parlament eine Art der Zusammenarbeit: Wenn wir uns die Hand gegeben haben, uns politisch einig waren, war der Rest eigentlich nur noch Formalität."

    Jetzt in den letzten Monaten ist das nicht mehr der Fall.

    Lara Wolters, EU-Abgeordnete aus den Niederlanden (Sozialdemokraten)

    Unstimmigkeit in der deutschen Wirtschaft

    Aus der deutschen Wirtschaft gab es von Anfang an unterschiedliche Einschätzungen zu dem Gesetz. Unternehmen wie Aldi Süd und IKEA begrüßten eine europäische Regelung. Das EU-Gesetz ist zwar strenger, es gilt zum Beispiel für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden - im Vergleich zu 1.000 im deutschen Gesetz. Trotzdem begrüßte beispielsweise Antje von Dewitz, Geschäftsführerin der Outdoormarke Vaude das Vorhaben: "Wir plädieren für einen europäischen Rechtsrahmen, der gleiche Wettbewerbschancen in ganz Europa verbindlich vorschreibt".
    Johanna Kusch, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz, kritisierte am Mittwoch erneut die deutsche Enthaltung: Mit dem Alleingang der FDP hat sich die Bundesregierung als verlässlicher Partner in der EU vollends diskreditiert. Deutschland habe seine internationale Glaubwürdigkeit beim Thema Menschenrechte beschädigt.
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    Kritiker indes sehen in dem Gesetz einen zu großen bürokratischen Aufwand. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin eines Verbands von Familienunternehmern, meldet sich nach dem vorläufigen Scheitern zu Wort:

    "Die Vernunft hat also doch noch gesiegt.

    Marie-Christine Ostermann, Verband der Familienunternehmen

    "Die Ablehnung dieser schlechten Version einer EU-Lieferkettenrichtlinie ist ein Erfolg", so Ostermann. Nun sei der Weg frei, um eine praktikablere und effektivere Regulierung zu erarbeiten.

    Was passiert jetzt?

    Dabei denkt Ostermann wohl an die Zeit nach der Europawahl am 9. Juni 2024. Denn wegen dieses Termins bleibt kaum noch Zeit, das Gesetz wie geplant zu beschließen. Die Sozialdemokratin Wolters hofft zwar noch: "Kurz vor den europäischen Wahlen gibt es immer noch Zeit für die Mitgliedsstaaten sich zusammenzutun, dieses Gesetz doch noch hinzukriegen." Aber: Bis zum 11. März müssten sich die Institutionen einigen, sonst fehlt die Zeit für Debatte, Abstimmung und Veröffentlichung im Amtsblatt der EU.
    Beide Gesetzgeber können den Entwurf nach der Europawahl wieder aufnehmen. Doch die Mehrheiten im Parlament könnten sich verschieben und ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene in weite Ferne rücken.

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