Friedensforscherin: "Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand"
Interview
Politische Weichenstellungen:"Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand"
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Deutschland steht vor Neuwahlen, die USA vor einer weiteren Amtszeit von Trump: Was bedeuten diese Zeiten für die Ukraine? Ein Gespräch mit Friedensforscherin Nicole Deitelhoff.
Die ukrainischen Streitkräfte stehen geraten immer mehr unter Druck.
Quelle: Imago
Deutschland wählt im Februar 2025 einen neuen Bundestag. Egal, wer dann regiert: Die Ukraine-Politik - wie auch die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik - wird eine Herausforderung bleiben.
Womit die Ukraine und ihre westlichen Bündnispartner rechnen sollten mit Donald Trump im Weißen Haus und Wladimir Putin im Kreml analysiert Professor Nicole Deitelhoff, Direktorin des Instituts für Friedens- und Konfliktforschung Frankfurt PRIF, im Interview.
ZDFheute: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation in der Ukraine?
Nicole Deitelhoff:Die Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand: Die russischen Streitkräfte machen über die letzten Wochen verstärkt Gebietsgewinne, die Infrastruktur ist zu großen Teilen zerstört, während die Ukraine mit Mobilisierungsproblemen kämpft und zu lange auf Nachschub Gerät, Waffen und Munition warten muss.
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ZDFheute: Donald Trump ist gewählt, es ist offen, ob die USA dann die Ukraine weiter in diesem Umfang unterstützen. Mit was müssen die Nato-Mitglieder rechnen?
Deitelhoff: Meine Sorge ist nicht, dass Trump tatsächlich die Nato verlassen könnte. Aber es reicht ja, wenn er mit seiner schon bekannten Rhetorik weitermacht, zum Beispiel, wer verteidigt werden will, der soll auch dafür bezahlen. Oder europäische Probleme sollen europäisch gelöst werden.
ZDFheute: Zweifeln Sie, dass alle Nato-Mitglieder zum Beistandsversprechen stehen, wenn es darauf ankommt?
Deitelhoff: Russland arbeitet genau darauf hin durch Desinformation und hybride Angriffe. Der nächste Schritt ist: Mit kleinen Nadelstichen, etwa gegen die Balten oder Polen auszutesten, ob tatsächlich alle Nato-Mitglieder zur Verteidigung zusammen stehen.
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ZDFheute: Was will Putin erreichen?
Deitelhoff: Putin selbst hat größtes Interesse an einer Globalisierung dieses Konflikts. Er versucht, diesen Konflikt eigentlich seit Ausbruch des Krieges nicht als einen mit der Ukraine hinzustellen, sondern als einen, in dem er sich als das umzingelte Opfer des aggressiven Westens versteht. Dass Nordkoera nun Soldaten nach Kursk entsandt hat, zeigt, dass er erste Erfolge damit hat.
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ZDFheute: Wie soll oder wie kann der Westen darauf reagieren?
Deitelhoff: Der Westen sollte, wie schon bei Putins Nukleardrohungen und den hybriden Angriffen, nicht in diese Falle zu tappen und selbst globalisieren, indem etwa Südkorea nun ebenfalls Soldaten schickt oder ähnliches.
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ZDFheute: Welche Wege zum Frieden halten Sie für die Ukraine für möglich?
Deitelhoff: Vieles steht und fällt mit belastbaren Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Eine Nato-Mitgliedschaft ist unwahrscheinlich. Eine Alternative wäre ein schneller EU-Beitritt. Aber schon da müsste es irgendwie eine Art vorgezogene Kandidaten-Mitgliedschaft geben, das hat man aber so in der EU nie vorgesehen.
Aber dann hätte man natürlich den Artikel 4a, das ist die Beistandspflicht in den EU-Verträgen - und die würde faktisch den Artikel 5, also das Nato-Beistandsversprechen mit einkaufen.
Wenn der EU-Beitritt nicht klappt, weil nicht alle Staaten dafür sind, dann läuft es doch wieder auf die bilateralen oder multilateralen Sicherheitsgarantien hinaus, die dann aber von der Festigkeit wie in Artikel 5 sein müssen.
Quelle: ZDF und Svea Pietschmann
"Krieg, Inflation, Abschwung - Deutschland vor der Wahl": Bei Maybrit Illner diskutieren Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (B'90/Die Grünen), IW-Direktor Michael Hüther, die Politologin Nicole Deitelhoff und der Wirtschaftshistoriker Adame Tooze.
Zu sehen am 5. Dezember 2024 um 22:30 Uhr im ZDF.
ZDFheute: Was hat denn Ihrer Meinung nach die deutsche Regierung bisher versäumt?
Deitelhoff: Man hätte sicher früher beherzter unterstützen sollen, keine Frage. Ich würde aber auch hinzufügen, dass das auch mit fehlender Strategie zu tun hat, bis heute: Mit welchem Ziel unterstützt man?
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat beim US-Sender Fox um Unterstützung im Krieg gegen Russland gebeten. Er mahnt, dass man den Krieg ohne Unterstützung verlieren wird.20.11.2024 | 0:20 min
Ein anderes Versäumnis ist, den Friedensbegriff liegen gelassen zu haben. Man hat öffentlich zu viel über militärische Unterstützung gesprochen, die mess- und greifbar ist. Und zu wenig über diplomatische Initiativen, über die offenen Kanäle, die man eben nicht anfassen oder gut zählen kann.
Das hat dazu geführt, dass Rechtsaußen und Linksaußen, dass AfD und BSW dieses Thema und vor allem aber die Ängste in der Bevölkerung für sich genutzt und sich selbst zu Friedensparteien erklärt haben. Obwohl das, was sie fordern, natürlich wenig mit Frieden zu tun hat.
Das Interview führte "maybrit illner"-Redakteurin Berit Suhr.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.