Intelligente Rachevögel: Warum Krähen Menschen attackieren
Intelligente Rachevögel:Warum Krähen Menschen attackieren
von Felicitas Wieder, New York
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Gefiederte Angriffe aus der Luft gibt es nicht nur in Hitchcocks Horrorfilm "Die Vögel", sondern auch in der Realität. Forscher erklären, was hinter Krähen-Attacken steckt.
Zur Brutzeit sind Krähen wegen ihres ausgeprägten Beschützerinstinkts besonders angriffslustig.
Quelle: reuters
Marienn Finnegan war auf dem Weg zur Arbeit und hörte einen Podcast, als sie plötzlich etwas am Kopf traf und sich etwas Scharfes in ihre Kopfhaut krallte: eine rabenschwarze Krähe. Sechs Monate später trifft sie der Spuk noch einmal, als sie auf dem Nachhauseweg ist - und dann am selben Tag gleich nochmal beim Gassigehen. Was die Kanadierin aus Vancouver auf TikTok schildert, ist kein Einzelfall.
Es sind Szenen, die an Hitchcocks Horrorfilm "Die Vögel" erinnern. Diverse Vogelarten waren im Film für Angst, Schrecken und brutale Morde verantwortlich. Forscherin Barbara Klump von der Universität Wien kann aber entwarnen: Eine Horror-Krähe wie in Hitchcocks Thriller gebe es in Realität nicht.
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Krähen sind kreativ und können abstrakt denken
Krähen bilden gemeinsam mit Raben die Gattung Corvus aus der Familie der Rabenvögel und werden durch die große Ähnlichkeit auch häufig mit ihnen verwechselt. In der Regel sind sie jedoch etwas kleiner als Raben und haben, statt eines leicht gewölbten Schnabels, einen geraden. Krähen sind bekanntlich höchst intelligent und auch kreativ - quasi "kräh-ativ":
Beispielsweise bauen sie sich kleine Werkzeuge, um besser an versteckte Nahrung zu kommen. Sie können, ähnlich wie Papageien, die menschliche Sprache nachahmen und sie verfügen wie wir über die Fähigkeit, abstrakt zu denken. Und: sie können sich menschliche Gesichter merken.
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Warum die Krähen Menschen attackieren
In Vancouver brüten Krähen von Frühjahr bis in den Frühsommer und bewachen ihre Jungvögel. Nadia Xenakis, Spezialistin für Wildtierschutz, erklärt, dass Krähen einen ausgeprägten Beschützerinstinkt haben und zur Brutzeit besonders angriffslustig seien:
Neben dem Beschützerinstinkt gibt es jedoch eine weitere Erklärung, die auch wissenschaftlich belegt ist. Krähen sind fähig, sich Gesichter zu merken - und sie hegen, so weiß man heute, großen Groll gegen Menschen, mit denen sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wer sich einmal ein schlechtes Image bei den Federtieren gemacht hat, wird es nicht so schnell wieder los.
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Carlotta Diederich, New York City
17 Jahre lang kann es, genauer gesagt, dauern. Zu diesem Schluss kam zumindest John Marzluff von der University of Washington. Für sein Experiment zog er sich eine Maske auf und fing sieben Krähen mit einem Netz ein, die er später wieder frei ließ. Über Jahre hinweg zog Marzluff immer wieder dieselbe Maske auf und lief über den Campus, um die Reaktionen zu beobachten. Ergebnis: Schreie und Sturzflüge. Erst nach 17 Jahren, also über die Lebensspanne einer einzelnen Krähe hinaus, klangen die Feindseligkeiten aus der Luft ab.
Nach Berichten über Krähen-Attacke melden sich andere Betroffene
Marienn Finnegan aus Vancouver ist nicht die Einzige, die von einer Krähe überrascht wurde. In einem Artikel der New York Times schildern einige Opfer ihre Begegnungen mit Krähen. Da ist zum Beispiel Gene Carter aus Seattle. Nachdem die Krähen ihm nicht nur zuhause auflauerten, sondern irgendwann sogar den Bus aufspürten, den er immer nach der Arbeit nahm, zog er um. Oder Jil Bennett, die mehrmals attackiert wurde und jetzt die Krähen präventiv mit Erdnüssen füttert, um sich gut mit ihnen zu stellen. Peanuts? In Vancouver machen sie jedenfalls einigen Menschen Angst - allerdings weniger vor körperlichen Verletzungen. Die sind selten.
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Krähen-Angriff gilt als schlechtes Omen
Viele fürchten die Angriffe aus Aberglauben. Raben und Krähen werden bei vielen Menschen mit Tod und Unglück assoziiert - vor allem wiederholte Angriffe werden als schlechtes Omen gedeutet.
Barbara Klump und ihr Forschungsteam an der Universität Wien führen die Angst vor Krähen auch auf ihr imposantes Auftreten und ihre Größe zurück. Sie merkt aber an: Rabenvögel werden in manchen Kulturen auch als Gottheiten verehrt. Ansichtssache also.
Wer auf dem Krähen-Radar gelandet ist, muss aber nicht 17 Jahre lang Attacken und Beschattung fürchten. Die Krähen-Expertinnen in Wien und Vancouver sind sich einig: Aktiv Rache suchen und ausüben würden die schwarzen Vögel nicht.
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