Pristina: So leben queere Menschen im muslimischen Kosovo

    Regenbogen über Pristina:Kosovo: Muslimisch und queer-freundlich?

    von Michael Sommer und Zana Cimili
    |

    Kosovo könnte der erste mehrheitlich muslimische Staat der Welt werden, der homosexuelle Paare rechtlich anerkennt. Der Premierminister ist dafür, der Großmufti dagegen.

    Man sieht den Schriftzug des "Bubble", der ersten queeren Bar in Pristina, Kosovo.
    Seit 2 Jahren gibt es das "Bubble" schon und immernoch ist es die einzige queere Bar im ganzen Land.
    Quelle: ZDF

    Als 2005 der internationale Tag gegen Homophobie eingeführt wurde, war Kosovo noch kein eigener Staat. Es hatte gerade einen Krieg mit dem ehemaligen jugoslawischen Bruderstaat Serbien hinter sich und strebte nach Unabhängigkeit.
    Fast 20 Jahre später will Kosovo in die EU und hat sogar in seiner jungen Verfassung stehen, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht diskriminiert werden dürfen.

    Kosovo ist eine Republik in Südosteuropa im westlichen Teil der Balkanhalbinsel mit knapp 2 Millionen Einwohnern auf dem Gebiet der ehemaligen Republik Jugoslawien.

    2008 erklärte das kosovarische Parlament die Unabhängigkeit von der Republik Serbien. Allerdings wird das Kosovo nur von 115 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen als unabhängiger Staat anerkannt. Bis heute belastet das schwierige Verhältnis zwischen Serbien und dem Kosovo alle Bemühungen einer Annäherung an die Europäische Union.

    Zwar stellte das Kosovo Ende 2022 einen offiziellen Antrag auf Aufnahme in die EU. Der Weg in die EU gilt aber als weit und steinig, so erkennen 5 der 27 Mitgliedsstaaten der EU das Kosovo nicht als unabhängig an. So gilt Kosovo bisher auch nur als potenzieller Beitrittskandidat.  

    Laut Verfassung ist Kosovo ein säkularer Staat, die kosovarische Gesellschaft ist ebenfalls stark säkularisiert, dennoch sagen fast 90% der Kosovaren, dass Religion eine große Rolle in ihrem Leben spielt. 95% der Kosovaren sind Muslime.  

    Kosovo ist zwar ein kleines Land, hat dafür aber eine für europäische Maßstäbe sehr junge Bevölkerung. Wegen seiner bewegten Geschichte seit der Auflösung Jugoslawiens in den frühen 90er Jahren und dem danach folgenden Krieg haben viele Kosovaren das Land verlassen. Schätzungen sagen, dass bis zu 800.000 Menschen ins meist europäische Ausland gezogen sind.  

    Neuwahlen Kosovo
    In Serbien stehen am 17. Dezember vorgezogene Neuwahlen an. Dabei geht es auch um die Spannungen im Kosovo, das von Serbien nicht vollständig anerkannt wird.14.12.2023 | 6:06 min

    Queer sein im Kosovo

    Die Gesellschaft in Europa und der westlichen Welt hat sich in den letzten 20 Jahren extrem verändert, traditionelle Werte haben sich gelockert, gesellschaftliche Normen sind toleranter und offener geworden. Gerade vergangenes Wochenende gewann der non-binäre Nemo aus der Schweiz den Eurovision Song Contest. Die Themen Gender und Identität sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
    Wie schaut die Situation im Kosovo aus? Dem jüngsten Land Europas, das auch 16 Jahre nach seiner Unabhängigkeit mit vielen Problemen zu kämpfen hat.
    Man sieht den Filmemacher Erblin Nushi.
    In "I love you more" erzählt der Filmemacher Erblin Nushi autobiografisch eine queere Geschichte.
    Quelle: ZDF

    Filmemacher Erblin Nushi hat das am eigenen Leib erfahren: In seinem Spielfilm "I love you more" erzählt darin seine eigene Geschichte als schwuler Teenager irgendwo im ländlichen Nachkriegskosovo. Er verliebt sich zum ersten Mal, aber alles kommt anders, als er es sich vorgestellt hat. Seine Eltern gewinnen plötzlich die Greencard-Lotterie in den USA und wandern mit ihm aus. Seitdem pendelt er zwischen zwei komplett verschiedenen Welten: Amerika und Kosovo. "Hier im Kosovo gibt es noch viel zu tun", sagt Nushi. Alles andere als die "normale" heterosexuelle Orientierung verstoße gegen die herrschende traditionelle Mentalität.

    Ich finde das traurig, weil die Jugend auch hier so viel aufgeschlossener und fortschrittlicher ist. Kosovo würde es viel mehr bringen als Land, wenn es offener und toleranter wäre.

    Erblin Nushi, Filmemacher

    Aleksandar Vucic begrüßt Xi Jinping auf dem Flughafen in Belgrad
    Chinas Präsident Xi Jinping hat Serbien besucht und dabei demonstrativ die enge Partnerschaft zum EU-Beitrittskandidaten betont. Dieser erntet dafür vielseitige Kritik.08.05.2024 | 2:50 min

    Große Fortschritte - aber noch viel zu tun

    Vor zwei Jahren eröffnete in Pristina das "Bubble"- die erste queere Bar des Landes. Ein Treffpunkt für die Community. Donjeta Bajrami ist 25 Jahre alt, Modeschöpferin und hier gerne Gast.

    In den letzten Jahren merke ich schon große Fortschritte, wir sitzen hier ja zum Beispiel in der ersten queeren Kneipe in ganz Kosovo. Viele junge Leute kommen her, hier ist es egal wer du bist und wo du herkommst.

    Donjeta Bajrami, Modeschöpferin

    Dort fühle man sich willkommen, akzeptiert und könne sein, wie man wolle. "Ich sehe also schon Hoffnung und auch Fortschritt", sagt Bajrami. Barkeeper Eden Peka, 24 Jahre alt, ist ein bisschen pessimistischer: "Kosovo hat doch so viele andere Probleme als sich um LGBTQ- Belange zu kümmern. Ich meine, es ist gut, dass es diesen Platz hier gibt, das ist ja die einzige Bar im ganzen Land."

    Hier können die Leute offen zu ihrer sexuellen Orientierung stehen, das geht aber wirklich nur hier in Pristina, in anderen Städten im Kosovo ist das quasi undenkbar.

    Eden Peka, Barkeeper

    Bild in einer Ausstellung: Herz und Regenbogen auf Handinnenfläche
    Queer zu sein ist auf dem Balkan noch immer gefährlich. Ivan Dimov betreibt in Sofia ein Jugend- und Begegnungszentrum. Seine Ziele: Sicherheit, Sichtbarkeit und Akzeptanz.08.07.2021 | 2:07 min

    Premier will Partnerschaftsgesetz überarbeiten

    Dabei versucht der Premierminister Albin Kurti sich für LGBTIQ-Belange einzusetzen. Ende April erklärte er in Berlin, dass er noch im Mai versuchen werde, ein neues, überarbeitetes Partnerschaftsgesetz ins kosovarische Parlament einbringen zu wollen.

    Wir tun das, weil es richtig ist. Weil es ein Recht ist. Weil es in unserer Verfassung steht. Und weil wir wissen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Urteile gefällt hat, die das verlangen.

    Albin Kurti, Ministerpräsident des Kosovo

    2022 hatte er das schon einmal probiert, damals war er aber auch an Gegenstimmen seiner eigenen Partei gescheitert. 92 von 120 Abgeordneten stimmten dagegen. Zu groß war die Angst vor einem "moralischen Verfall des Landes" - so propagierte es der Großmufti, der oberste muslimische Führer des Kosovos und wurde sogar vom serbisch-orthodoxen Patriarch in seltener Einigkeit unterstützt.
    Neuen Auftrieb bekam Premier Albin Kurti von der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die in Straßburg Kosovo noch einmal dazu aufforderte, schnellstmöglich die Bedingungen für eine Aufnahme in den Europarat zu erfüllen.
    Bleibt abzuwarten, wie das kosovarische Parlament entscheiden wird.

    Weitere Nachrichten aus dem Kosovo

    Mehr zu LGBTQIA+