Kenia: Gewalt gegen Protestierende - Polizei beschuldigt
Betroffene beschuldigen Polizei:Kenias Jugend protestiert - und erfährt Gewalt
von Verena Garrett und Lukas Rosenberg
|
Im Juni eskalierten in Kenia Proteste gegen die Regierung: Es gab Tote, Dutzende junger Menschen sind seither verschwunden. Von demokratischen Werten ist in Kenia wenig zu spüren.
Im Juni eskalierten die Proteste in Kenia. Seitdem sind Jugendliche verschwunden.
Quelle: dpa
Es war an einem Mittwoch, erzählt Dyline Sabine, als der Anruf kam. Ihr Sohn Frankline sei in Nairobi während der Proteste festgenommen worden. Sie hat noch am Telefon mit ihm sprechen können, am Folgetag sollte er aus dem Gefängnis entlassen werden. Das war das letzte Lebenszeichen von Frankline Ondwari. Was dann kam, war eine verzweifelte Suche - sie endete in einer Leichenhalle.
"Er trug Kleidung, die ich nicht kannte. Sie haben gesagt, er hat sich erhängt, aber das Seil lag ganz locker um seinen Hals", sagt Dyline Sabine.
"Ich bin mir sicher, er ist von der Polizei ermordet worden. Warum wurde er nicht entlassen? Ich glaube, er soll für die, die jetzt weiter protestieren wollen, eine Abschreckung sein. Niemand hilft mir, die Wahrheit rauszufinden", sagt sie. Auf einem Feld neben ihrem Haus hat sie Frankline begraben.
Kenias Jugend droht Hunger und Perspektivlosigkeit. Denn die Regierung ist verschuldet, Steuern werden erhöht. Die Jugendlichen gehen auf die Barrikaden, die Lage eskaliert.02.07.2024 | 6:09 min
Kenia: Härte und Gewalt des Staates
Es war eine Welle des Jugend-Protests, die es in diesem Maße zuvor noch nie in Kenia gegeben hat: Im Juni ging die Gen Z auf die Straße - junge Erwachsene, die genug hatten von ausufernder Korruption und einer Regierung, die sich selbst bereichert. Auf Grundnahrungsmittel und Benzin sollten Steuern angehoben werden, das war der Auslöser.
Sie gingen auf die Barrikaden, forderten den Rücktritt von Kenias Präsidenten William Ruto. Die Lage eskalierte, als Hunderte das Parlamentsgebäudes stürmten. Sicherheitskräfte schossen mit scharfer Munition in die Menge. Der Staat reagierte mit Polizeigewalt und ging mit aller Härte gegen die Demonstrierenden vor. Martin Mavenjina, kenianischer Menschenrechtler, sagt:
Mit einem Rechtsstaat habe das nichts gemein. Nach Angaben der kenianischen Menschenrechtskommission - einer Nichtregierungsorganisation - sind seit Beginn der Proteste Mitte Juni mindestens 65 Menschen ums Leben gekommen. Weit über 600 wurden verletzt. Noch immer gelten über 60 Personen als vermisst.
In Kenia sind Proteste gegen ein geplantes Steuergesetz eskaliert. Einige Demonstranten stürmten das Parlament und setzten Teile davon in Brand. Jetzt hat der Präsident reagiert.
27.06.2024 | 2:20 min
Wie viel Substanz hat Kenias Demokratie?
Kenia ist eines der wenigen Länder auf dem afrikanischen Kontinent, die in Europa und den USA noch als stabiler Partner gelten. Auf dem Papier ist das Land eine bürgerliche Demokratie, präsentiert sich nach außen demokratisch. Doch die blutigen Proteste haben gezeigt: Von einer echten Demokratie, die sich auf aktive Bürgerbeteiligung, Gleichheit und materiellen Wohlstand für alle beruft, ist Kenia weit entfernt.
Der Internationale Tag der Demokratie wurde 2007 von den Vereinten Nationen eingeführt. Er bietet die Gelegenheit, den Stand der Demokratie in der Welt zu überprüfen. Demokratie ist sowohl ein Prozess als auch ein Ziel, und nur mit der vollen Beteiligung und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, der nationalen Regierungsorgane, der Zivilgesellschaft und des Einzelnen kann das Ideal der Demokratie zu einer Realität werden.
Die Werte der Freiheit, die Achtung der Menschenrechte und der Grundsatz regelmäßiger und echter Wahlen nach allgemeinem Wahlrecht sind wesentliche Elemente der Demokratie. Die Demokratie bietet ihrerseits das natürliche Umfeld für den Schutz und die wirksame Verwirklichung der Menschenrechte.
Quelle: UNESCO
Wirtschaft stagniert, hohe Jugendarbeitslosigkeit
Präsident Ruto sei blind gegenüber den Forderungen seiner Landsleute, befürchten gerade die Jungen - und wehren sich. Ihnen droht Perspektivlosigkeit: Die Regierung ist verschuldet, Steuern werden ständig erhöht. Die Wirtschaft des Landes stagniert, die Arbeitslosigkeit liegt bei den 20- bis 24-Jährigen bei fast 14 Prozent, so Angaben des nationalen Statistikamts (KNBS).
"Insgesamt gab es in dem Land in mehr als 30 Städten Proteste. Es ist nicht klar absehbar, dass es sich schnell beruhigen könnte", so ZDF-Reporter Glodzinski.
26.06.2024 | 3:07 min
Sie sind sich der Gefahr bewusst und nehmen sie in Kauf. Das sei neu in Kenia, sagt Politikexperte Dr. Kamau Wairuri, das Wichtigste, das die Proteste bewirkt hätten, sei, den Politikern Angst einzujagen:
Plötzlich spurlos verschwunden
Die Proteste sind abgeflaut, noch immer aber verschwinden Menschen: Salo Mohamed sitzt auf dem Sofa und weint. Seit dem 19. August hat sie nichts mehr von ihrem Mann Jamal und ihrem Schwager Aslam gehört. Mitten am Tag wurden die Beiden gezwungen, in einen weißen SUV zu steigen. Zeugen haben das bestätigt. Seitdem sind sie weg. "Ich bin schwanger. Das Verschwinden meines Mannes schmerzt so sehr. Ich drehe fast durch, weil ich nicht weiß, ob er noch lebt", sagt Salo Mohamed.
Nach den Unruhen mit mehr als 20 Toten kommt das ostafrikanische Kenia nicht zur Ruhe. Vor allem die junge Generation fordert einen radikalen Politikwechsel.
von Alexander Glodzinski, Tim-Tih Kost
FAQ
Die, die ihn verschleppt haben, waren von der Polizei, zumindest das sei mittlerweile bekannt, sagt auch der Bruder der Beiden, Razzak. Überall hätten sie nachgefragt, sie hätten um Unterstützung der Regierung gebeten, aber nichts sei passiert. Jamal und Aslam Longton sind bekannte Aktivisten, die sich gegen die Politik von Präsident Ruto aufgelehnt haben. Seit fast einem Monat sind sie verschwunden.
Verena Garrett Studioleiterin im ZDF-Studio Johannesburg und berichtet als Korrespondentin aus den Ländern des südlichen Afrikas.
Quelle: ZDF
Sie wollen stets auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie bei unserem ZDFheute-WhatsApp-Channel genau richtig. Egal ob morgens zum Kaffee, mittags zum Lunch oder zum Feierabend - erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Mini-Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Melden Sie sich hier ganz einfach für unseren WhatsApp-Channel an: ZDFheute-WhatsApp-Channel.