Nach Bidens Rückzug: Ist der Kandidatenwechsel angreifbar?
FAQ
Nach Bidens Rückzug:Ist der Kandidatenwechsel angreifbar?
von Oliver Klein und Jan Schneider
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Der Rückzug Bidens kommt für die Republikaner ungelegen. Dürfen die Demokraten ihren Kandidaten überhaupt kurzfristig austauschen? Und was bedeutet das für Trumps Kampagne?
Joe Biden steht nicht wieder zur Wahl - was bedeutet das für die Kampagne der Republikaner?
Quelle: AFP
Donald Trump und seine Republikaner sind sauer. Die Demokraten hätten die Öffentlichkeit mit dem Wechsel im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur "belogen und in die Irre geführt", schreibt Trump auf seinem eigenen Netzwerk Truth Social. Auch die Republikanische Partei sei damit getäuscht worden, "wodurch sie viel Zeit und Geld verschwendet hat". In einem früheren Beitrag forderte Trump sogar eine Entschädigung für seine Partei für die Ausgaben im Wahlkampf gegen Joe Biden.
Nachdem Biden aus dem Präsidentschaftswahlkampf ausgestiegen ist, gilt es als sicher, dass Harris gegen Trump antreten wird. Sie beginnt nun den Wahlkampf. 23.07.2024 | 2:32 min
Dürfen die Demokraten ihren Präsidentschaftskandidaten überhaupt so kurzfristig austauschen oder ist der Schachzug am Ende angreifbar? Und was bedeutet der Wechsel für Trumps Kampagne? ZDFheute mit einem Überblick.
Ist der Kandidatenwechsel der Demokraten angreifbar?
Der ehemalige Berater von Donald Trump, Stephen Miller, nannte den Kandidatenwechsel bei Fox News einen "brutalen Angriff auf die amerikanische Demokratie, wie wir ihn in der Geschichte der großen amerikanischen Parteien noch nie erlebt haben."
Nach Bidens Rücktritt übernimmt Kamala Harris die Wahlkampfzentrale im US-Bundesstaat Delaware. Donald Trump schießt sich bereits auf seine neue Gegnerin ein.23.07.2024 | 2:26 min
Tatsächlich gibt es allerdings keinerlei Rechtsanspruch der Republikaner, sich bei der US-Wahl mit dem amtierenden Präsidenten Biden zu messen. Man könne diese Äußerungen als "politische Meinungsmache" einstufen, meint der Politikwissenschaftler und USA-Experte Johannes Thimm von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit ZDFheute.
Der Kandidatenwechsel sei zwar eine "ungewöhnliche Situation" im Wahlkampf, es gebe aber keine Regelungen, die ihn untersagen. Offiziell nominiert werden sollte auch Biden erst beim Parteitag der Demokraten vom 19. bis 22. August.
Möglicherweise findet die Abstimmung über den Kandidaten nun schon vor dem Parteitag in digitaler Form statt, um ein mögliches rechtliches Problem im wichtigen Bundesstaat Ohio vermeiden: Es steht im Raum, dass dort eine Frist bis zum 7. August für die Benennung der Präsidentschaftskandidaten gilt, damit am Ende der richtige Kandidat oder die richtige Kandidatin auf dem Stimmzettel steht - die Gesetzeslage dazu ist aber nicht ganz eindeutig.
Nach eigenen Angaben hat Kamala Harris genug Unterstützung für eine Präsidentschaftskandidatur. Ihre Kampagne konnte Spendengelder von mehr als 80 Millionen Dollar verbuchen.23.07.2024 | 1:29 min
Welche Bedeutung hat das Ergebnis der Vorwahlen?
In den USA ist es üblich, dass die Parteien sogenannte Vorwahlen abhalten, um die jeweiligen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl zu bestimmen. Joe Biden gewann bei den Vorwahlen der Demokraten die große Mehrheit der Delegierten: fast 3.900. Diese waren bisher eigentlich verpflichtet, für Biden zu stimmen.
Mit seinem Rückzug sind die Delegierten jedoch nicht mehr an Biden gebunden. Sie sind frei, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie in der sogenannten "Open Convention", dem offenen Parteitag, stimmen.
Jeff Rathke von der Johns Hopkins University analysiert die Situation nach Joe Bidens Rückzug als Präsidentschaftskandidat und die Chancen für Vizepräsidentin Kamala Harris.22.07.2024 | 5:28 min
Experte Thimm gibt zu bedenken, dass es sich bei den Vorwahlen auch nicht wirklich um eine kompetitive Wahl gehandelt hat. Gegenkandidaten, wie der Abgeordnete Dean Phillips aus Minnesota, schafften es nicht in allen Bundesstaaten auf den Wahlzettel. Aussichtsreichere Herausforderer verzichteten, da Biden als Amtsinhaber traditionell das Vorrecht auf die Kandidatur eingeräumt wurde.
Dass Kamala Harris nun "nachrückt", sei rechtlich unproblematisch: Sie ist als Vize-Präsidentin die direkte Nachfolgerin von Biden, sollte er aus irgendwelchen Gründen aus dem Amt ausscheiden. Und wenn sie die Mehrheit der Delegierten für sich gewinnt, ist ihre Nominierung formal einwandfrei.
Nach Bidens Rücktritt übernimmt Kamala Harris die Wahlkampfzentrale im US-Bundesstaat Delaware. Donald Trump schießt sich bereits auf seine neue Gegnerin ein.23.07.2024 | 2:26 min
Was passiert mit den Wahlkampfspenden für Biden?
Trumps Wahlkampfteam hat am Dienstag eine Beschwerde bei der Wahlaufsichtsbehörde (FEC) eingelegt und argumentierte, dass Harris die von Präsident Bidens Wiederwahlkampagne gesammelten Gelder nicht rechtmäßig übernehmen könne. Auf den Konten waren laut der Nachrichtenagentur Reuters Ende Juni rund 95 Millionen Dollar. Auch hier bedient sich das Trump-Wahlkampfteam einiger Superlative und "größten Verstoß gegen die Wahlkampffinanzierung in der amerikanischen Geschichte".
Etliche Rechtsexperten argumentieren nun, dass Harris' Zugriff auf das Geld rechtmäßig sei. Saurav Ghosh, Anwalt beim Campaign Legal Center, einer überparteilichen Überwachungsgruppe, sagte etwa, Harris sei bereits als Vizepräsidentschaftskandidatin Teil von "Biden for President", sodass ihr Anspruch auf das Geld gesichert sein sollte. Andere hingegen kommen zu dem Schluss, dass Harris nicht so einfach auf das Geld zugreifen kann. Der Streit dürfte sich nicht bis zum Wahltag am 5. November klären lassen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, ob die Wahlaufsichtsbehörde das Problem vor der Präsidentschaftswahl am 5. November lösen wird.
Harris' Wahlkampfteam hat erklärt, es habe seit Sonntag, als Biden aus dem Wahlkampf ausstieg und sie unterstützte, 100 Millionen Dollar gesammelt - und damit Bidens verbleibendes Gesamtvolumen in nur wenigen Tagen übertroffen.
Bei ihrem ersten Wahlkampfauftritt in Wisconsin hat Kamala Harris Trump scharf kritisiert und warf ihm vor, die USA zurückzuentwickeln. In ersten Umfragen liegen beide gleichauf.24.07.2024 | 0:26 min
Was bedeutet Bidens Rückzug für die Trump-Kampagne?
Der Wahlkampf der Republikaner muss nun völlig neu ausgerichtet werden. Bisher wendete die Partei enorme Ressourcen auf, um Joe Biden als zu alten und senilen Präsidentschaftskandidaten darzustellen. Es sollte "ein Kontrast von Stärke und Schwäche" inszeniert werden, wie es die US-Zeitschrift "The Atlantic" nannte - Trump voller Energie, Biden als "bemitleidenswerter alter Kerl, weniger als Bösewicht, vielmehr als Zielscheibe eines sehr schlechten Witzes". Die Trump-Wahlkampfmanagerin Susie Wiles nannte Biden sogar "ein Geschenk" für die Republikaner.
Nun wird Kamala Harris vermutlich die Kandidatin der Demokraten. Für die Trump-Kampagne würde das bedeuten: Sie muss in kurzer Zeit eine Strategie für eine Gegnerin entwickeln, die fast zwei Jahrzehnte jünger ist als ihr eigener Kandidat Donald Trump. Während die Wahlkämpfer monatelang erfolgreiche Botschaften gegen Biden getestet und verfeinert hatten, müssen jetzt neue Angriffspunkte gefunden und Slogans umformuliert werden.
Der bisherige US-Wahlkampf habe gedroht, "als einer der langweiligsten" in die Geschichte einzugehen, so Politologin Liana Fix.22.07.2024 | 4:21 min
Eine erwartbare Taktik: Die Republikaner werden wohl versuchen, Kamala Harris als Politikerin darzustellen, die mit Joe Biden all das falsch gemacht hat, was aus Sicht der Republikaner in den letzten Jahren falsch gelaufen ist, erklärt die Politologin Liana Fix im ZDF.
Wie stellt sich der Wahlkampf der Republikaner auf Kamala Harris ein und welche Chancen hat die Vizepräsidentin gegen Donald Trump? Eine Zusammenfassung hier:
Joe Biden ist im US-Wahlkampf nicht mehr Donald Trumps Gegner. Die Frau, mit der er es wahrscheinlich zu tun bekommt: Kamala Harris. Hat die Vizepräsidentin eine Chance gegen ihn?
von Katharina Schuster
FAQ
Waren die Republikaner auf den Wechsel vorbereitet?
Völlig unvorbereitet traf Bidens Entscheidung die Trump-Kampagne nicht: Bereits Ende Mai kursierte im republikanischen Wahlkampf-Team offenbar ein vertrauliches Dokument, das Szenarien skizziert, bei denen Biden nicht mehr als demokratischer Präsidentschaftskandidat zur Wahl antritt. Darüber berichtet aktuell das Magazin "Politico". Das Dokument erklärt demnach beispielsweise detailliert, wie Delegierte beim Konvent der Demokraten einen Aufstand starten und Biden die Nominierung verweigern könnten.
In einem weiteren Dokument der Republikaner werden Namen potenzieller Alternativ-Kandidaten erwähnt, darunter Vizepräsidentin Harris. Die Trump-Kampagne bereitete dem Bericht zufolge bereits Angriffe gegen andere demokratische Kandidaten vor. Es sei schon Material gegen potenzielle Rivalen gesammelt und sogar Videos produziert worden. Nach Bidens Rückzug veröffentlichten die Republikaner sofort eine Werbekampagne gegen Harris.