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Wahl in Frankreich:So soll Bardella seine Partei "entteufeln"
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Das Rassemblement National hat Macrons Bündnis bei der Europawahl übertrumpft. Jetzt will ihr Chef Jordan Bardella die Parlamentswahlen gewinnen. Wofür steht er?
Jordan Bardella - stets geschniegelt - tritt aus Marine Le Pens Schatten und sucht die große Bühne.
Quelle: AFP
In seiner Kindheit schätzte der französische Rechtspopulist Jordan Bardella "Europa": das Restaurant seines Onkels in Turin nämlich, wo er sich alljährlich in den Ferien in der Küche herumtrieb. Der 28 Jahre alte Sohn italienischer Einwanderer könnte nach der bevorstehenden Wahl Frankreichs erster Premierminister einer europafeindlichen Rechtsaußenpartei werden.
Bardella passt zu LePens Strategie der "Entteufelung"
Der stets geschniegelt auftretende Bardella hat in den vergangenen Jahren eine Blitzkarriere hingelegt. Mit 16 Jahren trat er dem damaligen Front National bei. Die damalige Chefin Marine Le Pen traute Bardella sehr früh sehr viel zu. Mit 22 war Bardella Sprecher der Partei und Chef ihrer Jugendorganisation, mit 23 Spitzenkandidat bei der Europawahl. "Die haben mich alle für verrückt gehalten", sagte Le Pen später.
Jordan Bardella passte hervorragend zu Le Pens Strategie der "Entteufelung", wie sie den Versuch nannte, der von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen und einem Mitglied der Waffen-SS gegründeten Partei ein weniger radikales Image zu verpassen. Und er passte zu ihr - hier die Matriarchin, die nach drei Präsidentschaftswahlkämpfen den vierten endlich gewinnen will, dort der redegewandte Polit-Jungstar.
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Vorstadtjunge mit 1,7 Millionen Abonnenten bei TikTok
Bardella stammt aus bescheidenen Verhältnissen einer Pariser Vorstadt. Seine Siedlung war Drogenumschlagplatz, seine strenge, alleinerziehende Mutter haben ihn vor dem Abrutschen bewahrt. Einen Uni-Abschluss hat er nicht. Wäre er nicht in die Politik gegangen, hätte er Soldat werden wollen.
Stattdessen wurde er Parteisoldat und kletterte unter Le Pens Kommando im Rassemblement National (RN) unaufhaltsam nach oben. Wissenslücken und Widersprüche lächelt er ungerührt weg.
Bei TikTok hat er inzwischen 1,7 Millionen Abonnenten - obwohl er selbst dort selten die Krawatte ablegt und sich oft im schwarzen Ledersessel vor der französischen Flagge sitzend zeigt.
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Bardella tritt auf wie der künftige Regierungschef
Schon im Wahlkampf für die Europawahl erklärte Le Pen, dass sie 2027 als Tandem die Macht übernehmen wollten: sie als Präsidentin, er als Regierungschef. Dieses Ziel rückte völlig unerwartet in greifbare Nähe, als Präsident Emmanuel Macron Neuwahlen ausrief. Bardella tritt seitdem auf, als sei seine Übernahme des Postens des Regierungschefs so gut wie sicher.
Aus dem "Wir" wurde in seinen Wahlkampfreden ein "Ich": Le Pen verschwindet zunehmend in seinem Schatten. Auch im Privatleben distanzierte sich Bardella vom Le Pen-Clan: Nach Berichten der Klatschpresse trennte er sich von seiner bisherigen Partnerin, einer Nichte von Le Pen.
Bardella vertritt weiterhin euroskeptische Haltung
Sein größter politischer Coup war das Überlaufen des bisherigen Parteichefs der Republikaner Eric Ciotti. Ein gemeinsamer Auftritt beim Unternehmerverband könnte der Versuch gewesen sein, die Unternehmer zu beruhigen.
So geschliffen und konsensbereit Bardella im Wahlkampf auch auftritt - inhaltlich steht er weiter für die euroskeptische, einwanderungs- und islamfeindliche Haltung, die der RN schon immer vertreten hat. So warnte er bei der Vorstellung seines Programms ausdrücklich davor, "dass die französische Identität auf ihrem eigenen Boden auf beispiellose Weise verdrängt" werden könne.
Nach dem Triumph der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National von Marine Le Pen bei der Europawahl hat Frankreichs Präsident Macron Neuwahlen für die Nationalversammlung ausgerufen. Mima-Reporterin Anne Arend berichtet über die politische Stimmung. 20.06.2024 | 4:44 min
Und er bedient sich des klassischen Schemas des Sündenbocks: Schuld seien in vielen Fällen die Einwanderer, seien es die Staatsfinanzen oder die innere Sicherheit.
Sollte Bardella das Ziel verfehlen, Premierminister zu werden - wenn Macron etwa einen Technokraten zum Regierungschef ernennt - dann dürfte das Bardella in die Hände spielen. Er würde sich im Regierungsalltag nicht aufreiben und könnte 2027 selber als Präsidentschaftskandidat antreten - was Frankreich das Spektakel eines "politischen Muttermords" einbringen würde.
Quelle: AFP
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