Italien: Hohe Mietpreise bringen Studenten auf die Straße

    Bezahlbar in Mailand wohnen:Studentin sagt dem Mietmarkt den Kampf an

    Autorenfoto Renée Severin
    von Renée Severin, Mailand
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    Mieten ist in Mailand ist teuer: 23 Euro den Quadratmeter kein Einzelfall. Einer jungen Italienerin reicht’s. Aus Frust tritt sie eine Bewegung los.

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    Die Wohnungssuche kann vielerorts zur Verzweiflung führen. Gerade in Großstädten treffen viele Interessenten auf wenig bezahlbaren Wohnraum, europaweit. Eine junge Italienerin hat die Nase voll davon. Frustriert hat sie einen Protest gestartet und damit eine Bewegung losgetreten.

    Protest gegen hohe Mietpreise

    Im Mai 2023 schlägt Ilaria Lamera ihr Zelt auf - direkt vor ihrer Uni in Mailand. Dort studiert sie Umwelttechnik und findet keine Unterkunft. "Ich habe mir 100 Wohnungen in Uni-Nähe angesehen, alle hatten verrückte Preise", erinnert sie sich.

    Natürlich kannten alle das Problem, aber sie haben nicht darüber gesprochen. Sie haben nichts gemacht.

    Ilaria Lamera, Studentin aus Italien

    Ilaria und ihr Zelt bleiben eine Weile. Nach wenigen Tagen stehen neben ihr sechzig weitere, andere Studierende haben sich angeschlossen. Ilaria trifft mit ihrem Protest einen Nerv.
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    Wohnen in Mailand wie vielerorts teuer

    Wer in Mailand zentral wohnen will, muss teils tief in die Tasche greifen. Eine führende Immobilienplattform in Italien zeigt: Ein Quadratmeter in Mailand kostete dort im April 2024 im Schnitt 23,35 Euro Miete.
    Aber Ilarias Protest zündet auch in anderen italienischen Städten. Landesweit ziehen Studierende auf die Straßen und fordern das Ende der hohen Mietpreise - unter anderem in Florenz oder Rom.

    Andere Studierende von anderen Unis haben ihre Zelte aufgestellt. Es hat sich so angefühlt, als würden sie sich unserer Bewegung anschließen.

    Ilaria Lamera, Studentin aus Italien

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    Mietpreise in der EU gestiegen

    Laut Europäischer Kommission sind die Mietpreise in der EU zwischen 2010 und 2023 um 22,8 Prozent gestiegen. Igor Costarelli ist Soziologe an der Universität Mailand-Bicocca, forscht zur Wohnkrise in Europa. Für junge Menschen oder solche mit geringem Einkommen werde das Problem immer herausfordernder. "Das Problem gibt es allgemein, auch in anderen europäischen Städten und Ländern", so Costarelli.

    In Italien ist das Problem, dass es an Unterstützung für junge Menschen mangelt, etwa durch öffentliche Maßnahmen zur Förderung von Mietwohnungen.

    Igor Costarelli, Soziologe Universität Mailand-Bicocca

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    Wegen hoher Mieten: Pendeln zur Uni

    Ilaria hat nach langer Suche ein WG-Zimmer gefunden: Insgesamt kostet das Zimmer 600 Euro, für rund 15 Quadratmeter. Ihre Eltern können das Zimmer zahlen. Das geht nicht bei allen. Ein Freund, Lorenzo, muss bei seinen Eltern wohnen bleiben, pendelt täglich eine Stunde in die Stadt: "Ich lebe tagsüber in Mailand, abends fahre ich in meine Heimatstadt und schlafe nur dort", berichtet er. Vor der Zukunft hat er Angst.

    Mein Lebensstandard wird sinken, ich werde weniger als meine Eltern haben. Du fühlst dich ängstlich, hast Probleme mit deiner mentalen Gesundheit.

    Lorenzo

    Zukunftsängste der jungen Generation

    Mit seinen Zukunftsängsten ist Lorenzo nicht allein. Die TUI Jugendstudie 2023 hat 16- bis 26-jährige in ausgewählten EU-Staaten gefragt. 52 Prozent der Befragten denken demnach, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern, bezogen auf das Einkommen und den Lebensstandard. In Italien sind es 57 Prozent.
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    Brain Drain: Hoffnung auf Chancen im Ausland

    Lorenzo überlegt, das Land zu verlassen. Hohe Mieten, magere Jobchancen und geringe Gehaltsaussichten treiben immer wieder junge Menschen ins Ausland. Das Phänomen hat einen Namen: Brain Drain.

    Natürlich ist der Brain Drain ein echtes Problem für die italienische Gesellschaft. Es wird geschätzt, dass rund eine Million junge Italiener im letzten Jahrzehnt das Land verlassen haben.

    Igor Costarelli, Soziologe

    Hinzu komme, dass junge Menschen aus dem wirtschaftlich schwächeren Süden des Landes in den Norden kommen, wie etwa nach Mailand. Das verstärke dann die den Druck auf dem Wohnungsmarkt, so Costarelli.

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    Ilaria Lamera: EU soll Lösung finden

    Ilaria hat mit einigen Politikern gesprochen, fühlt sich aber alleingelassen, denn das Problem sei unverändert. "Ich glaube, es gibt nur sehr wenige Politiker, die verstehen, was wir durchmachen", meint Ilaria.
    Ilaria wünscht sich, dass die EU das Thema in Angriff nimmt.

    Jedes Land macht Regelungen für sich, aber ich wünschte, es wäre mehr ein europäisches Ding. Denn das Problem ist doch das gleiche, also sollte es auch gleich behandelt werden.

    Ilaria Lamera, Studentin

    Bezahlbarer Wohnraum liegt bei EU-Mitgliedstaaten 

    Bezahlbaren Wohnraum zu regulieren, liegt in der Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission gibt auf ZDF-Anfrage an, die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt genau zu verfolgen. Zudem unterstütze man die Mitgliedstaaten durch Initiativen und Finanzierungsinstrumente. 
    Ilaria will das Thema nicht aufgeben. Sie will, dass auf einer höheren Ebene darüber gesprochen wird – bis hin zur Europäischen Kommission. „Wir haben aber noch nicht darüber gesprochen, wie wir das anstellen“, sagt sie. Aber die Leute haben sie schon mal für verrückt gehalten, erzählt sie, als sie damals ihr Zelt aufgestellt hat: „Aber als ich gesehen habe, dass andere sich anschließen, habe ich gemerkt, dass es gar nicht so verrückt war und es eine gute Sache war.“  

    In der EU leben etwa 73 Millionen junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren. Das zeigen offizielle Zahlen der Europäischen Union aus 2021. Darunter solche, die ihre Zukunft auf politischer, sozialer und gesellschaftlicher Ebene mitgestalten. Renée Severin und Alicia Berthel haben fünf junge Europäerinnen und Europäer getroffen und mit ihnen über ihre Sorgen, Wünsche und Motivationen gesprochen.

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    In Großbritannien schützen Menschen als Immobilienwächter leerstehende Gebäude und wohnen gleichzeitig darin. Das Konzept verspricht Vorteile für alle Beteiligten.
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