Kaum ein anderes europäisches Land tut so wenig für seine Familien wie Italien. Im Schnitt bekommt hier jede Frau nur noch 1,2 Kinder. Eltern und Kinder haben es schwer.
Familienplanung in Italien ist schwierigr: Immer später entscheiden sich Familien, Kinder zu bekommen. Die Geburtenrate ist auf 1,2 Kinder pro Frau gesunken.
Quelle: dpa
Achille liebt es zu bauen. Je höher, desto besser. Mit seiner Hand wirft er lachend den Spielzeugturm um. Seine Mutter beobachtet ihn im Wohnzimmer. Sara Ciampini und ihr Mann würden die kleine Familie gerne vergrößern, doch mit ihren Gehältern kommen sie schon jetzt nur knapp über die Runden.
"Hier in Italien gibt es diesen Spruch: 'Ein Kind ist zu wenig und zwei zu viel.' Aus organisatorischer, logistischer und auch wirtschaftlicher Sicht wäre ein zweites Kind für uns unhaltbar", sagt Alessandro Di Meo, Saras Mann. Denn die Großeltern sind weit weg, Kitaplätze gibt es kaum und private Einrichtungen sind sündhaft teuer.
Immer weniger Bambini: Seit rund 15 Jahren sinkt die Geburtenrate in Italien immer weiter. Die demografische Entwicklung löst im Land eine politische Debatte aus.11.07.2024 | 2:05 min
Geburtenrate in Italien bricht eigenen Negativrekord
Die kleine Familie spiegelt ein riesiges Problem im ganzen Land. Italiens Bevölkerung schrumpft - und altert. Mit knapp 380.000 Geburten brach das Land im letzten Jahr erneut seinen eigenen Negativrekord. Ausgerechnet das Land, das einst als Inbegriff der Großfamilie galt, hat heute eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Auch, weil Familien in Italien kaum Unterstützung vom Staat bekommen.
Mangel an Kinderbetreuung
"Spanien beispielsweise hat den zu 100 Prozent bezahlten Vaterschaftsurlaub auf 16 Wochen erhöht. In Italien beträgt der Vaterschaftsurlaub nur zehn Tage", sagt der Demograf Alessandro Rosina. Im Schnitt bekommt zudem nur eines von acht Kindern einen Platz in einer öffentlichen Krippe. Andere Modelle wie etwa Tagesmütter sind in Italien noch in der Entwicklungsphase.
Was die Kinderkrippen anbelangt, sind Schweden und Frankreich längst Vorreiter. In der Altersgruppe null bis zwei Jahre liegt die Abdeckung dort bei 50 Prozent. "In Italien liegt die Abdeckung gerade mal bei 30 Prozent. Zudem sind Teilzeitmodelle in den Unternehmen viel weniger verbreitet als im Rest Europas", sagt Rosina.
Der Druck auf queere Familien in Italien wächst. Ein Grund: Die Politik der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.28.01.2024 | 1:29 min
Angst vor Armut beeinflusst Familienplanung
Die politische und gesellschaftliche Realität des einst so kinderfreundlichen Landes ist bitter für alle Eltern, die gerne noch weitere Kinder hätten. Die Angst vor Armut ist bei vielen zu groß. Das spürt etwa Gynäkologin Anna Franca Cavaliere jeden Tag in ihren Gesprächen. Auch deshalb liegt das Durchschnittsalter der Mütter in Italien bei 33 Jahren.
"Es gibt eine starke Tendenz bei den Frauen, die Geburt des ersten Kindes bis zum Ende der Ausbildung oder noch weiter hinauszuschieben", sagt Anna Franca Cavaliere.
Wie weit rechts die italienische Regierung von Giorgia Meloni steht, zeigt sich vor allem in der Familienpolitik.19.01.2024 | 2:12 min
Demografischen Wandel mit Migration umkehren?
Dass dieser demografische Wandel auch Folgen für Italiens Rentensystem und die gesamte Wirtschaft hat, liegt auf der Hand. Ökonomen und Demografen sehen da vor allem eine Lösung: "Wir müssen Migration besser steuern und Zuwanderung nicht als Notfall betrachten. Ohne Migranten ist der Trend nicht umzukehren", sagt der Demograf Alessandro Rosina.
Denn wenn dieser anhält, könnte die Bevölkerung Italiens bis zum Jahr 2030 um fast eine Million Menschen schrumpfen. Und das oft gezeichnete Bild der fröhlich lärmenden Großfamilie, die gemeinsam am Tisch um die dampfenden Spaghetti sitzt, würde endgültig der Vergangenheit angehören.
In Italien werden immer weniger Kinder geboren und die Alterung der Bevölkerung nimmt zu. Warum ringt das Land mit einem demografischen Ungleichgewicht?
Julian Degler, Rom
mit Video
Quelle: ZDF
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