Italiens Aufnahmestopp: Wer ist für Flüchtlinge zuständig?

    EuGH-Urteil zu Aufnahmestopp:Dublin-Regeln gelten - auch bei Missachtung

    Birgit Franke
    von Birgit Franke
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    Seit zwei Jahren sind Überstellungen nach Italien nicht mehr möglich. 15.500 Asylbewerber waren 2023 davon betroffen. Doch Deutschland muss nicht handeln, so heute der EuGH.

    Flüchtlinge im Mittelmeer
    Der EuGH klärt, ob Deutschland zuständig wird.
    Quelle: dpa

    Für Flüchtlinge, die über die Außengrenzen der EU illegal einreisen, ist Deutschland in der Regel nicht zuständig. So steht es in den sogenannten Dublin-Regeln. Und die bleiben auch dann gültig, wenn sich andere Länder nicht dran halten, urteilt heute der Europäische Gerichtshof.
    Hintergrund: Wenn ein Flüchtling einen Asylantrag in Deutschland stellt, macht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zunächst eine Eurodac-Abfrage. Ergibt diese, dass ein Flüchtling schon in einem anderen europäischen Land zumindest registriert wurde, zum Beispiel durch einen Fingerabdruck, lehnt das BAMF meist den Asylantrag als unzulässig ab und ordnet eine Abschiebung an.

    Ausnahmen wegen EU-Grundrechtecharta

    Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn in dem zuerst betretenen EU-Land die Lage so schlecht ist, dass die Flüchtlinge nicht mehr im Sinne der EU-Grundrechtecharta versorgt werden können. Das gelte zum Beispiel für Griechenland, sagt Daniel Thym, Asylrechtsexperte der Uni Konstanz.

    Dublin-Überstellungen nach Griechenland finden praktisch nicht statt. Obwohl Griechenland den Rücknahmeersuchen aus Deutschland zugestimmt hat, wurden und werden die meisten Personen nicht überstellt. Die Lebensbedingungen sind so schlecht, dass die Überstellung gegen die EU-Grundrechtecharta verstoßen würde.

    Daniel Thym, Asylrechtsexperte Uni Konstanz

    Das sagten die deutschen Verwaltungsgerichte seit Jahren, auch wenn erste Gerichte dies für alleinstehende junge und gesunde Männer neuerdings anders sehen würden, so Thym weiter.
    Asylexperte Daniel Thym zugeschaltet via Zoom
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    Auch für die zwei syrischen Kläger, die über Italien eingereist waren, entschied das BAMF, dass es nicht zuständig sei. Es ordnete die sofortige Abschiebung an. Dagegen gingen die Kläger vor, zogen vor das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Während des gerichtlichen Verfahrens gab die italienische Dublin-Unit im Dezember 2022 zwei Rundschreiben heraus.
    Darin erklärte es, dass Italien angesichts des großen Zustroms von Drittstaatenangehörigen und mangels verfügbarer Aufnahmekapazitäten vorerst keine Dublin-Überstellungen mehr annehme. Ausnahme seien Familienzusammenführungen von Minderjährigen. Im Jahr 2023 erfolgten dann auch nur elf Überstellungen an Italien.
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    Vorheriges Urteil als Fingerzeig

    Die nächste Instanz, das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, sieht durch den Aufnahmestopp Italiens nun Deutschland in der Pflicht. Eine wichtige Frage wollte es vorab vom Europäischen Gerichtshof beantwortet haben: Wie wirkt es sich aus, dass sich Italien weigert, die Leute aufzunehmen? Liegt dadurch schon eine sogenannte systemische Schwachstelle vor, sprich - wird Deutschland dadurch automatisch der zuständige Mitgliedstaat?
    Nein, urteilten heute die Richterinnen und Richter des EuGHs. Die Tatsache an sich, dass ein Mitgliedstaat die Aufnahme von Asylbewerbern einseitig aussetzt, reiche nicht aus, um davon auszugehen, "dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, systemische Schwachstellen aufweise". Nur dann wäre Deutschland zuständig.

    Der EuGH stellt heute klar, dass die Dublin-Verordnung das geltende Recht ist, auch wenn Mitgliedstaaten diese missachten und einen Aufnahmestopp verhängen. Das könnte sich allerdings bei einem Regierungswechsel zukünftig ändern. CDU/CSU wollen die Dublin-Regeln aufgrund einer sogenannte Notlage außer Kraft setzen und die Flüchtlinge gleich an der Grenze zurückweisen.

    Prof. Dr. Daniel Thym, Asylrechtsexperte Uni Konstanz

    Unmenschliche oder erniedrigende Behandlung

    In einem ähnlichen Fall - es ging um erwerbstätige, alleinstehende Frauen aus Somalia und Syrien, die in Italien schon anerkannt waren - hatte das Bundesverwaltungsgericht schon erst Ende November diesen Jahres entschieden, dass gerade keine systemische Schwachstelle in Italien bestünde.
    Das Gericht hat für die Beurteilung - anders als der EuGH - auf die aktuelle Erkenntnislage vor Ort abgestellt. Ergebnis: Es liege keine unmenschliche oder erniedrigende Ausnahmesituation für die Rückkehrerinnen in Italien vor, damit würden auch keine entsprechenden Rechte aus der EU-Grundrechtecharta verletzt.
    Das würde auch für besonders vulnerable Gruppen gelten, so aktuell das Bundesverwaltungsgericht. Die Klägerinnen waren eine alleinerziehende Mutter mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren aus Nigeria, die über Italien eingereist waren.
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    Konsequenzen für die betroffenen Flüchtlinge

    Seit anderthalb Monaten ist das sogenannte Sicherheitspaket in Kraft. Das sieht unter anderem vor, dass Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz wie Nahrung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege gestrichen werden können, wenn ein anderes EU-Land für den Flüchtling zuständig ist und das BAMF die Abschiebung angeordnet hat.
    Allerdings muss die Ausreise auch "rechtlich und tatsächlich möglich" sein. Ob die Streichung der Leistungen also auch für Flüchtlinge gilt, die nach Italien überstellt werden sollen, ist offen, da die Ausreise "tatsächlich" nicht möglich ist.
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    Auch nach dem heutigen Urteil des EuGH ist klar: Italien reagiert seit Jahren nicht auf die Überstellungsgesuche von Deutschland; bis Ende Juni diesen Jahres wurden nur zwei Personen überstellt. Die Folge: Nach sechs Monaten geht die Zuständigkeit für die Betroffenen automatisch auf Deutschland über. Spätestens dann muss der Asylantrag vom BAMF bearbeitet werden.
    Birgit Franke ist Redakteurin in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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