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Gegen Netanjahu und Hamas-Führer:Haftbefehl-Anträge empören Israel und Hamas
von Jan Schneider
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Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Regierungschef Netanjahu und mehrere Hamas-Anführer beantragt. Beide Seiten zeigen sich empört.
Als Reaktion auf den Krieg in Gaza hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen Anführer der Hamas und Israels Ministerpräsidenten beantragt.20.05.2024 | 2:22 min
Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hat am Montag Haftbefehle gegen Netanjahu, Galant und mehrere Hamas-Führer, darunter Anführer Jihia al-Sinwar, beantragt. Es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass sie für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich seien, erklärte Ankläger Karim Khan in Den Haag.
Der Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu ist groß. Forderungen zur Befreiung der Geiseln und kritische Stimmen innerhalb der Regierung werden immer lauter.19.05.2024 | 1:44 min
Kritik an Gleichsetzung von Hamas und demokratischer Regierung
Der israelische Präsident Itzchak Herzog erklärte, jeder Versuch, Parallelen zwischen den Terroristen der und der demokratisch gewählten Regierung Israels zu ziehen, könne nicht akzeptiert werden. Benny Gantz, ein ehemaliger Militärchef und mit Netanjahu und Galant Mitglied des israelischen Kriegskabinetts, schrieb auf X: "Die Führer eines Landes, das zum Schutz seiner Bürger in die Schlacht gezogen ist, auf eine Stufe mit blutrünstigen Terroristen zu stellen, ist moralische Blindheit."
Netanjahu selbst erklärte: "Ich weise mit Ekel den Vergleich des Anklägers in Den Haag zwischen dem demokratischen Israel und den Massenmördern der Hamas zurück."
Von der Seite der Terrorgruppe Hamas hieß es in einer Stellungnahme zum Antrag des Chefanklägers: "Seine Entscheidung vergleicht das Opfer mit einem Henker und ermutigt die (israelische) Besatzung, den genozidalen Krieg fortzusetzen."
USA nennen Vorgehen empörend
US-Präsident Joe Biden bezeichnete das Vorgehen des IStGH-Chefanklägers gegen Israel als "empörend". Israel und die islamistische Hamas dürften nicht gleichgestellt werden.
Michael Bewerunge, ZDF-Korrespondent in Tel Aviv, erklärt: "Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen ist das natürlich schon jetzt ein massiver Schaden für die internationale Reputation Israels."
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hat Haftbefehl gegen Netanjahu beantragt. ZDF-Reporter Florian Neuhann und Michael Bewerunge ordnen die Situation ein.20.05.2024 | 2:20 min
Welche Folgen hat die Beantragung des Haftbefehls?
Sollte der Haftbefehl gegen Netanjahu erlassen werden, hätte dies zur Folge, dass er in seiner Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wäre. Zwar kann der IStGH seine Haftbefehle nicht selbst durchsetzen. Allerdings wären die 124 Staaten, die die Statuten des Gerichtshofs unterzeichnet haben, zur Festnahme und Auslieferung nach Den Haag an den IStGH verpflichtet.
Die Beantragung des Haftbefehls hat politisch enorme Sprengkraft. Der Großteil der westlichen Unterstützer Israels - mit Ausnahme der USA - ist Mitglied des IStGH. Für diese stellt sich die brisante Frage, wie sie mit dem Haftbefehl umgehen würden. Es ist schwer vorstellbar, dass die Bundespolizei den israelischen Ministerpräsidenten an einem deutschen Flughafen festnimmt.
Quelle: dpa
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist ein unabhängiger Gerichtshof mit Sitz in Den Haag, Niederlande. Seit 2003 hat er die Aufgabe, besonders schwere Straftaten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression zu verfolgen. Der IStGH soll dazu beitragen, das humanitäre Völkerrecht und das internationale Völkerstrafrecht wirksamer durchzusetzen und gravierende Lücken bei der Strafverfolgung zu schließen.
Der Gerichtshof wird nur dann tätig, wenn die nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, entsprechende Verbrechen zu verfolgen. Einige Staaten äußern Bedenken hinsichtlich möglicher Eingriffe in ihre eigene staatliche Souveränität. Die USA, Russland und China erkennen die Legitimität des Gerichtshofs nicht an. Auch Israel erkennt das Gericht nicht an, die palästinensischen Gebiete sind aber Vertragsstaat. Daher darf der Ankläger auch ermitteln. Deutschland spricht sich für eine universelle Anerkennung des IStGH aus.
Der Gerichtshof wird nur dann tätig, wenn die nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, entsprechende Verbrechen zu verfolgen. Einige Staaten äußern Bedenken hinsichtlich möglicher Eingriffe in ihre eigene staatliche Souveränität. Die USA, Russland und China erkennen die Legitimität des Gerichtshofs nicht an. Auch Israel erkennt das Gericht nicht an, die palästinensischen Gebiete sind aber Vertragsstaat. Daher darf der Ankläger auch ermitteln. Deutschland spricht sich für eine universelle Anerkennung des IStGH aus.
Der IStGH kann nur gegen Personen ermitteln, nicht gegen Staaten. Das ist auch der wesentliche Unterschied zum Internationalen Gerichtshof (IGH). Dieser hat zwar ebenfalls seinen Sitz im niederländischen Den Haag. Allerdings werden vor dem IGH Konflikte zwischen Staaten verhandelt. Darüber hinaus ist der IGH – im Gegensatz zum IStGH – Teil der Vereinten Nationen.
Andererseits wäre Deutschland grundsätzlich an den Haftbefehl gebunden und setzt sich laut Webseite des Auswärtigen Amts ausdrücklich für einen möglichst effektiven, funktionsfähigen, unabhängigen und damit glaubwürdigen IStGH ein. Hierzu passt auch, dass Deutschland nach Japan der größte Beitragszahler für den IStGH ist.
Auswärtiges Amt: unzutreffender Eindruck einer Gleichsetzung entstanden
Das Auswärtige Amt (AA) teilte am Montagabend mit, dass der Internationale Strafgerichtshof "eine elementare Errungenschaft der Weltgemeinschaft" sei, die Deutschland immer unterstützt hat. Deutschland respektiere seine Unabhängigkeit und seine Verfahrensabläufe wie die aller anderen internationalen Gerichte.
Durch die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Hamas-Führer auf der einen und die beiden israelischen Amtsträger auf der anderen Seite sei der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden, so das AA. "Jedoch wird das Gericht nun sehr unterschiedliche Sachverhalte zu bewerten haben, die der Chefankläger in seinem Antrag ausführlich dargestellt hat."
Wie ZDF-Korrespondent Florian Neuhann in Brüssel erklärt, stehe man "am Anfang eines längeren Prozesses". Nun prüfe eine sogenannte Vorverfahrenskammer die Haftbefehl-Anträge: "Üblicherweise dauern diese Verfahren rund zwei Monate, aber in den meisten Fällen, so sagen Völkerrechtler, sind die Richter dann den Anträgen des Chefanklägers gefolgt."
Seit wann laufen die Ermittlungen des IStGH?
Der IStGH ermittelt bereits seit 2021 wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gegen die Hamas und Israel. Auch zu Gewalt israelischer Siedler im Westjordanland laufen Untersuchungen. In diesem Zusammenhang sollten nun auch die Entwicklungen seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag, an dem die Hamas etwa 1.200 Menschen in Israel tötete und rund 240 Geiseln verschleppte, sowie die israelischen Reaktionen hierauf berücksichtigt werden.
Die Hamas-Angriffe waren Auslöser für die militärische Offensive Israels im Gazastreifen, bei der nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 35.000 Menschen getötet worden sind. Nach israelischen Angaben sind etwa 15.000 der Getöteten Hamas-Kämpfer und damit legitime Ziele im Krieg. Diese Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Die Deutsch-Israelin Shani Louk und zwei weitere tote Geiseln sind im Gazastreifen gefunden worden. Die humanitäre Lage in Gaza ist währenddessen weiterhin katastrophal.17.05.2024 | 1:36 min
Gab es schon andere Anklagen gegen Staatschefs?
Netanjahu wäre nicht der erste Staatschef, gegen den ein Haftbefehl des IStGH verhängt wird. Im März 2022 - kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine - wurde ein Haftbefehl gegen Russlands Staatschef Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen ausgestellt.
Ihm wurde vorgeworfen, persönlich für die Entführung von Kindern aus der Ukraine verantwortlich zu sein. Auch gegen die Kommissarin für Kinderrechte im Büro des russischen Präsidenten wurde damals Haftbefehl erlassen. Später folgten noch zwei weitere Haftbefehle gegen zwei hochrangige russische Offiziere. Putin hat seit dem Erlass des Haftbefehls an mehreren internationalen Gipfeln nur per Videobotschaft oder Schalte teilgenommen, um einer Verhaftung im Ausland zu entgehen.
Mit Material von AFP, Reuters, AP und dpa.
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