Israel und Hamas empört über Haftbefehl-Antrag in Den Haag

    Gegen Netanjahu und Hamas-Führer:Haftbefehl-Anträge empören Israel und Hamas

    ZDFheute Update - Jan Schneider
    von Jan Schneider
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    Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Regierungschef Netanjahu und mehrere Hamas-Anführer beantragt. Beide Seiten zeigen sich empört.

    Den Haag, 20.05.2024: Internationaler Strafgerichtshof
    Als Reaktion auf den Krieg in Gaza hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen Anführer der Hamas und Israels Ministerpräsidenten beantragt.20.05.2024 | 2:22 min
    In Israel wird der Antrag auf Haftbefehl gegen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant heftig kritisiert. Die islamistische Hamas reagierte ebenfalls verärgert auf den Antrag auf Haftbefehle gegen mehrere ihrer Anführer.
    Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hat am Montag Haftbefehle gegen Netanjahu, Galant und mehrere Hamas-Führer, darunter Anführer Jihia al-Sinwar, beantragt. Es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass sie für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich seien, erklärte Ankläger Karim Khan in Den Haag.
    Protesters and families of Israeli hostages held by Hamas in Gaza gather during a protest calling for the war cabinet to sign a deal to release the hostages, outside the Kirya military headquarters in Tel Aviv, Israel, 18 May 2024.
    Der Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu ist groß. Forderungen zur Befreiung der Geiseln und kritische Stimmen innerhalb der Regierung werden immer lauter.19.05.2024 | 1:44 min

    Kritik an Gleichsetzung von Hamas und demokratischer Regierung

    Der israelische Präsident Itzchak Herzog erklärte, jeder Versuch, Parallelen zwischen den Terroristen der und der demokratisch gewählten Regierung Israels zu ziehen, könne nicht akzeptiert werden. Benny Gantz, ein ehemaliger Militärchef und mit Netanjahu und Galant Mitglied des israelischen Kriegskabinetts, schrieb auf X: "Die Führer eines Landes, das zum Schutz seiner Bürger in die Schlacht gezogen ist, auf eine Stufe mit blutrünstigen Terroristen zu stellen, ist moralische Blindheit."
    Netanjahu selbst erklärte: "Ich weise mit Ekel den Vergleich des Anklägers in Den Haag zwischen dem demokratischen Israel und den Massenmördern der Hamas zurück."

    Mit welcher Dreistigkeit vergleichen Sie die Hamas, die gemordet, verbrannt, geschlachtet, enthauptet, vergewaltigt und unsere Brüder und Schwestern entführt hat, mit den Soldaten, die einen gerechten Krieg kämpfen.

    Benjamin Netanjahu, israelischer Ministerpräsident

    Von der Seite der Terrorgruppe Hamas hieß es in einer Stellungnahme zum Antrag des Chefanklägers: "Seine Entscheidung vergleicht das Opfer mit einem Henker und ermutigt die (israelische) Besatzung, den genozidalen Krieg fortzusetzen."

    USA nennen Vorgehen empörend

    US-Präsident Joe Biden bezeichnete das Vorgehen des IStGH-Chefanklägers gegen Israel als "empörend". Israel und die islamistische Hamas dürften nicht gleichgestellt werden.
    Michael Bewerunge, ZDF-Korrespondent in Tel Aviv, erklärt: "Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen ist das natürlich schon jetzt ein massiver Schaden für die internationale Reputation Israels."
    ZDF-Korrespondenten Florian Neuhann aus Brüssel und Michael Bewerunge aus Tel Aviv
    Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hat Haftbefehl gegen Netanjahu beantragt. ZDF-Reporter Florian Neuhann und Michael Bewerunge ordnen die Situation ein.20.05.2024 | 2:20 min

    Welche Folgen hat die Beantragung des Haftbefehls?

    Sollte der Haftbefehl gegen Netanjahu erlassen werden, hätte dies zur Folge, dass er in seiner Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wäre. Zwar kann der IStGH seine Haftbefehle nicht selbst durchsetzen. Allerdings wären die 124 Staaten, die die Statuten des Gerichtshofs unterzeichnet haben, zur Festnahme und Auslieferung nach Den Haag an den IStGH verpflichtet.
    Die Beantragung des Haftbefehls hat politisch enorme Sprengkraft. Der Großteil der westlichen Unterstützer Israels - mit Ausnahme der USA - ist Mitglied des IStGH. Für diese stellt sich die brisante Frage, wie sie mit dem Haftbefehl umgehen würden. Es ist schwer vorstellbar, dass die Bundespolizei den israelischen Ministerpräsidenten an einem deutschen Flughafen festnimmt.



    Andererseits wäre Deutschland grundsätzlich an den Haftbefehl gebunden und setzt sich laut Webseite des Auswärtigen Amts ausdrücklich für einen möglichst effektiven, funktionsfähigen, unabhängigen und damit glaubwürdigen IStGH ein. Hierzu passt auch, dass Deutschland nach Japan der größte Beitragszahler für den IStGH ist.

    Auswärtiges Amt: unzutreffender Eindruck einer Gleichsetzung entstanden

    Das Auswärtige Amt (AA) teilte am Montagabend mit, dass der Internationale Strafgerichtshof "eine elementare Errungenschaft der Weltgemeinschaft" sei, die Deutschland immer unterstützt hat. Deutschland respektiere seine Unabhängigkeit und seine Verfahrensabläufe wie die aller anderen internationalen Gerichte.

    Dazu gehört, dass die Vorverfahrenskammer nun erst einmal über die Anträge des Chefanklägers auf die Ausstellung von Haftbefehlen zu entscheiden hat.

    Stellungnahme des Auswärtigen Amts

    Durch die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Hamas-Führer auf der einen und die beiden israelischen Amtsträger auf der anderen Seite sei der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden, so das AA. "Jedoch wird das Gericht nun sehr unterschiedliche Sachverhalte zu bewerten haben, die der Chefankläger in seinem Antrag ausführlich dargestellt hat."
    Wie ZDF-Korrespondent Florian Neuhann in Brüssel erklärt, stehe man "am Anfang eines längeren Prozesses". Nun prüfe eine sogenannte Vorverfahrenskammer die Haftbefehl-Anträge: "Üblicherweise dauern diese Verfahren rund zwei Monate, aber in den meisten Fällen, so sagen Völkerrechtler, sind die Richter dann den Anträgen des Chefanklägers gefolgt."

    Seit wann laufen die Ermittlungen des IStGH?

    Der IStGH ermittelt bereits seit 2021 wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gegen die Hamas und Israel. Auch zu Gewalt israelischer Siedler im Westjordanland laufen Untersuchungen. In diesem Zusammenhang sollten nun auch die Entwicklungen seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag, an dem die Hamas etwa 1.200 Menschen in Israel tötete und rund 240 Geiseln verschleppte, sowie die israelischen Reaktionen hierauf berücksichtigt werden.
    Die Hamas-Angriffe waren Auslöser für die militärische Offensive Israels im Gazastreifen, bei der nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 35.000 Menschen getötet worden sind. Nach israelischen Angaben sind etwa 15.000 der Getöteten Hamas-Kämpfer und damit legitime Ziele im Krieg. Diese Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
    Satellitenbild des vom US-Militär im Gazastreifen installierten Pier.
    Die Deutsch-Israelin Shani Louk und zwei weitere tote Geiseln sind im Gazastreifen gefunden worden. Die humanitäre Lage in Gaza ist währenddessen weiterhin katastrophal.17.05.2024 | 1:36 min

    Gab es schon andere Anklagen gegen Staatschefs?

    Netanjahu wäre nicht der erste Staatschef, gegen den ein Haftbefehl des IStGH verhängt wird. Im März 2022 - kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine - wurde ein Haftbefehl gegen Russlands Staatschef Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen ausgestellt.
    Ihm wurde vorgeworfen, persönlich für die Entführung von Kindern aus der Ukraine verantwortlich zu sein. Auch gegen die Kommissarin für Kinderrechte im Büro des russischen Präsidenten wurde damals Haftbefehl erlassen. Später folgten noch zwei weitere Haftbefehle gegen zwei hochrangige russische Offiziere. Putin hat seit dem Erlass des Haftbefehls an mehreren internationalen Gipfeln nur per Videobotschaft oder Schalte teilgenommen, um einer Verhaftung im Ausland zu entgehen.
    Mit Material von AFP, Reuters, AP und dpa.

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