Iran: Wie es um die Protestbewegung für Frauenrechte steht
Sacharow-Preis für Mahsa Amini:Wie es um die Protestbewegung im Iran steht
von Jörg Brase
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Das Europaparlament ehrt die Iranerin Jina Mahsa Amini posthum mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit. Wie es heute um die Protestbewegung für Frauenrechte im Iran steht.
Das Europaparlament hat die Iranerin Jina Mahsa Amini posthum mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit geehrt. Öffentlichen Protest gibt es auf Irans Straßen derzeit zwar nicht, die iranischen Frauen glauben dennoch weiter an einen Wandel in ihrem Land. Die Toleranz scheint bereits gewachsen zu sein.
Was hat sich seit dem Tod Mahsa Aminis im Iran verändert?
"Wenn wir früher ohne Kopftuch auf die Straße gingen, war das wie eine Mutprobe," sagt Roya Fattahpour, eine Studentin in Teheran.
Seit viele Iranerinnen und Iraner nach dem Tod Mahsa Aminis wütend gegen Kopftuchzwang und Unterdrückung durch das Mullah-Regime protestierten, hat sich die Stimmung auf den Straßen verändert. Frauen, die sich ohne Kopftuch zeigen, erfahren viel seltener Ablehnung. Es scheint als sei die Toleranz gewachsen und die Bereitschaft, sich schützend vor Frauen zu stellen, die von Regimetreuen wegen Verstößen gegen die Kopftuchpflicht angegriffen werden.
Iraner: "Das System hat die Kontrolle verloren"
"Früher hat es das System geschafft, die Frauen zu kontrollieren," sagt ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will. "Aber heute hat das System die Kontrolle verloren." Islamisch-Konservative in der Regierung des Iran und im Parlament versuchen zwar, diese Kontrolle wiederzuerlangen, und planen eine Verschärfung der Strafen. Bisher vermeiden sie jedoch, den Kopftuchzwang wie vor Mahsa Aminis Tod wieder mit Gewalt durchzusetzen. Sie belassen es meist bei der Aufforderung an Frauen, den Kopf mit einem Tuch zu bedecken.
"Die sollen sich um wichtigere Sachen als das Kopftuch kümmern," erregt sich eine Frau im schwarzen Tschador. Sie trage den Schleier aus Überzeugung, aber Frauen sollten die freie Wahl haben, sagt sie.
Aktuell erschüttert tatsächlich ein Korruptionsskandal im Zusammenhang mit Lebensmittel-Subventionen das Land. Und gerade erst lehnte das Parlament den Haushaltsentwurf der Regierung von Präsident Raisi ab. Dies sind die aktuellen Aufregerthemen im Iran. Die Wirtschaftslage und der Gaza-Krieg bestimmen die Schlagzeilen. Um die Proteste ist es ruhig geworden.
Eine vom Parlament beschlossene Verschärfung der Kopftuchregeln liegt zur Entscheidung seit einiger Zeit beim Wächterrat, dem höchsten, vor allem mit konservativen Klerikern besetzten Entscheidungsgremium. Wann es verabschiedet und wie streng es dann umgesetzt werden wird, ist unklar.
Wie steht es aktuell um die Protestbewegung im Iran?
Öffentliche Demonstrationen gibt es zurzeit nicht. Das heißt jedoch nicht, dass die Protestbewegung damit am Ende ist. "Jede Revolution hat ihr eigenes Tempo," sagt Afsoon Najafi, deren Schwester bei den Protesten getötet wurde. Najafi reiste nach Straßburg und nahm dort gemeinsam mit einer anderen Demonstrantin stellvertretend für alle iranischen Frauen den Sacharow-Preis entgegen.
Sie ist überzeugt, dass der Iran einen tiefgreifenden Wandel erleben wird. "Es geht nicht nur um das Kopftuch," sagt Najafi.
Das Regime schafft es zurzeit jedoch, jeden öffentlichen Protest im Keim zu ersticken. Vor wenigen Wochen erst brach Armita Garevand, eine 16-jährige Schülerin, in der Teheraner U-Bahn zusammen und starb kurz darauf im Krankenhaus. Viel erinnert an den Tod Mahsa Aminis.
Demonstrationen bleiben aus
Auch hier steht der Vorwurf im Raum, die junge Frau sei im Zugabteil von Sittenwächtern angegriffen worden, weil sie kein Kopftuch trug. Sie habe Kopfverletzungen erlitten und sei daran gestorben. Die Behörden jedoch sprechen - wie im Falle Aminis - von einer natürlichen Todesursache. Es tauchen zweifelhafte Zeugenaussagen auf und Beweise wie die Bilder der Überwachungskamera aus dem Zugabteil werden unterdrückt. Öffentliche Proteste, wie nach dem Tod Aminis im September vergangenen Jahres, blieben diesmal aus.
Ein anderes Beispiel: Als die Familie Mahsa Aminis zur Preisverleihung nach Straßburg reisen wollte, wurden sie am Flughafen abgefangen, ihre Pässe eingezogen. Das Regime wollte ihnen keine Bühne geben, um Kritik zu äußern. Kritik auch daran, dass es immer noch keinen offiziellen Untersuchungsbericht über die wahre Ursache des Todes ihrer Tochter gibt.
Was bedeutet die Verleihung des Sacharow-Preises für die Frauen im Iran?
Für die Studentin Roya Fattahpour ist der Sacharow-Preis, aber auch der Friedensnobelpreis für die im Iran inhaftierte Bürgerrechtlerin Narges Mohammadi, eine Ermutigung, weiter zu kämpfen. "Iranische Frauen haben die Welt beeinflusst und haben die Aufmerksamkeit auf sich gezogen," sagt Fattahpour, "und diese Aufmerksamkeit bestärkt wiederum die iranischen Frauen. Das gibt ihnen das Gefühl, dass sie wichtig sind."
Andere dagegen sind trotz der jüngsten Preisflut für iranische Frauen eher ernüchtert. "Das ist eine gute Aktion," meint eine ältere Dame ohne Kopftuch im Norden Teherans.
Preise allein würden eben nicht helfen. Zu mehr aber scheinen Europäer und Amerikaner zurzeit nicht bereit. Stattdessen verhandeln sie mit dem iranischen Regime um die Freilassung politischer Geiseln oder eine Mäßigung des Iran im aktuellen Gaza-Konflikt. Von internationaler Isolierung des Iran will zurzeit niemand sprechen. Von dieser Seite jedenfalls können sich die Unzufriedenen im Land keine Hilfe erhoffen. Allen gut gemeinten Menschenrechtspreisen zum Trotz.