Wahlen im Iran: Auch ein neuer Präsident bringt keine Reform

    Interview

    Stichwahl im Iran:Warum die Reformer keinen Wandel bringen

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    Kaum jemand glaube an Reformversprechen, noch an eine Wahl - sagt der im Iran lebende Bürgerrechtler Hossein Ronaghi, der für seinen Aktivismus mehrmals verurteilt wurde.

    Frauen jubeln auf einer Wahlkampfveranstaltung des Kandidaten Masoud Pezeshkian.
    Die historisch schlechte Wahlbeteiligung im Iran spiegelt die Stimmung der Bevölkerung wider: Der Glaube an eine "Reform" schwindet.
    Quelle: AFP

    Die Wahlbeteiligung im Iran war historisch schlecht. In der Stichwahl geht Masoud Pezeshkian, ein als Reformer geltender Kandidat, ins Rennen gegen den Hardliner Said Jalili. Für den Dissidenten Hossein Ronaghi, der sechs Jahre im Gefängnis verbrachte, ist die Wahl eine Inszenierung eines um sein Überleben kämpfenden Regimes.
    ZDFheute: Haben die Wahlen dem Regime neues Leben eingehaucht, neue Legitimität?
    Hossein Ronaghi: Das ist ein völlig falscher Eindruck. Wie kann man von "Wahlfieber" sprechen, wenn man die Zahl der Nichtwähler sieht - allein laut offiziellen Angaben bei 60 Prozent? Wenn man sich an die Proteste der letzten Jahre erinnert und an die seit 2019 wachsende Zahl der getöteten Kritiker und Demonstranten? Die meisten politischen Gefangenen, viele unabhängige politische Aktivisten, Universitätsprofessoren, religiöse Figuren im Land, die Familien der getöteten Demonstranten haben zum Wahlboykott aufgerufen. Warum gibt es kein Bewusstsein im Ausland darüber?

    Ich denke, unser Problem sind die Informationskrieger des Regimes im Westen, die manchmal im Gewand eines kritischen Experten in westlichen Medien auftauchen und falsche Bilder vermitteln.

    Hossein Ronaghi, Bürgerrechtler

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    Zum Beispiel so jemand wie Seyyed Hossein Mousavian: Ehemaliger Botschafter in Deutschland, in dessen Amtszeit etliche Morde an Exiloppositionellen verübt wurden - und der nichtsdestotrotz jüngst von der Körber-Stiftung eingeladen wurde, um vor politischen Entscheidungsträgern zu sprechen.
    Im Gegenteil: Diese Wahlen haben all jenen neues Leben eingehaucht, die das Regime konfrontieren. Sie waren eine Art Referendum, ein überwältigendes "Nein" der Mehrheit gegen dieses System.
    Eine iranische Frau hält ihren rot gefärbten Finger in die Kamera - das Zeichen dafür, dass sie ihre Stimme abgegeben hat.
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    Ronaghi: Es gibt keinen politischen Wettbewerb. Alle politischen Programme werden durch den Obersten Führer, Seyyed Ali Khamenei, und dessen Revolutionsgarden bestimmt. Der Präsident ist in diesem System nur ein Schaufenster. Eine demokratische Illusion. Beide Kandidaten stimmen überein, die Befehle dieses Führers ohne Wenn und Aber umzusetzen, sie sind überzeugt davon, dass die islamischen Gesetze ausgeführt werden müssen. Frauenrechte respektieren beide nicht. Die Raketenprogramme und Kriegstreiberei der Revolutionsgarden unterstützen beide.
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    ZDFheute: Kandidat Masoud Pezeshkian, der bislang vorne liegt, wird in westlichen Medien oft als Reformer und moderat gelabelt…
    Ronaghi: Man kann ihn so einordnen. Aber das Problem ist woanders: Die Reformer sind der Führung und den Revolutionsgarden gegenüber so loyal und so verpflichtet wie keine andere politische Gruppierung im Land. Und sind bereit, dafür über Leichen zu gehen.

    Diese Vorstellung, dass hier 'Reformen' eine Alternative zur Führung sind, ist falsch.

    Hossein Ronaghi, Bürgerrechtler

    Nehmen sie den ehemaligen Außenminister Jawad Zarif, die Lieblingsfigur der Reformer, der dafür bekannt ist, missliebige Fakten zu beschönigen. Zarif ist stets bereit, die Verbrechen und die Repression des Regimes und das zerstörerische Treiben der Revolutionsgarden vor dem kritischen Blick der Welt zu verstecken. Die Reformer verstehen unter Reformen die Verheimlichung der Wahrheit.
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    ZDFheute: Passt das Reform-Versprechen des Kandidaten Pezeshkian zu seiner bisherigen Politik, ist das konsistent?
    Ronaghi: Während der Revolution war er islamischer Fundamentalist, verantwortlich für Säuberungen an Universitäten, von Uni-Professoren und Studenten, er gehörte zu jenen, die die Zwangsverschleierung durchsetzten oder die Frauenabteilungen in Kliniken schlossen. Nach und nach verblasste dieser Fundamentalismus - aber er sieht sich immer noch als Soldat des Obersten Führers Ali Khamenei und dessen islamischer Gesetze. Das hat er in Debatten und Interviews immer wieder betont. Diese Reformversprechen, das sind nur Slogans, um Menschen zu den Wahlurnen zu locken.
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    ZDFheute: Sind die Labels "Reformer" und "Hardliner" noch passende Labels für die Beschreibung iranischer Politik?
    Ronaghi: Nein, das funktioniert nicht mehr. In manchen Zeiten gab es unter den Reformern weitaus extremere Politik, die zu mehr Unterdrückung und Tötung gewöhnlicher Iraner führte.

    Die scheinbaren Gegensätze sind in Wahrheit die zwei politischen Flügel der Islamischen Republik, deren beider Ziel das Überleben des Systems ist.

    Hossein Ronaghi, Bürgerrechtler

    Ich kann mit Gewissheit und auf Grundlage von Belegen sagen, dass die Bilanz von Reformer-Regierungen in punkto Unterdrückung, Töten von Kritikern, Abschaltung des Netzes und Verletzung der Meinungsfreiheit viel dunkler ist, als die anderer politischer Gruppierungen.
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    ZDFheute: Vor Jahren hatte der Oberste Führer Khamenei Wahlbeteiligungen von 35 bis 50 Prozent bei Wahlen im Westen als beschämendes Zeichen einer Vertrauenskrise gedeutet. Heute interpretiert er die geringe Beteiligung im Iran nicht als Regime-Ablehnung. Wie sehen Sie die Zukunft?
    Ronaghi: Diese Wahlen haben gezeigt: Die Mehrheit der Iraner möchte diese Islamische Republik nicht. Es ist egal, wer Präsident wird.

    Wir beobachten den Kollaps des Systems.

    Hossein Ronaghi, Bürgerrechtler

    Und in so einer Lage hoffe ich, dass westliche Regierungen, statt mit dem Regime zu kooperieren, die Stimme des Volkes hören und in dessen Sinne handeln. Ich denke, dass dieses System bald sein Ende erreichen wird. Dass es die Macht an das Volk abgeben muss, weil es sonst kollabiert.
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