Kreml-Kritiker Ilja Jaschin berichtet nach Freilassung

    Interview

    Ilja Jaschin nach Freilassung:Wie ein Regimekritiker gegen Putin kämpft

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    Ilja Jaschin kam beim größten Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg aus Lagerhaft frei. Im ZDF spricht der Kreml-Gegner darüber, warum er seinen Platz eher in Russland sieht.

    Auf dem Bild ist der russische Oppositionelle Ilja Jaschin zu sehen.
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    Der prominente Kreml-Kritiker Ilja Jaschin hatte eine achteinhalbjährige Haftstrafe bekommen, weil er den Krieg in der Ukraine kritisierte. Nach dem Gefangenenaustausch hat ZDFheute den 41-Jährigen in Berlin getroffen, wo er über seine Zeit in russischer Lagerhaft und die anstehende Oppositionsarbeit im Exil erzählt.
    ZDFheute: Wie haben Sie in russischer Lagerhaft versucht, das Regime Putin zu kritisieren?
    Ilja Jaschin: Ich habe versucht, junge Häftlinge davon zu überzeugen, nicht in den Krieg zu ziehen. Ein junger Mann, gerade mal 18 Jahre alt, verbrachte die Nacht im Nebenbett, er hatte einfach nur eine Wurst geklaut in einem Geschäft. Ein sehr freundlicher guter Junge. Er wollte lieber in den Krieg ziehen und an einem Abenteuer teilnehmen, als im Gefängnis zu sitzen. Jeden Abend habe ich Gespräche mit ihm geführt und ihm erklärt, dass dies kein Spiel, sondern ein echter Krieg ist. Dort töten sie wirklich, sie sterben wirklich, es gibt Blut, Eingeweide, Dreck.
    Ich war kurz davor, ihn zu überzeugen, dann wurde ich in eine Strafzelle gebracht. Er zog an die Front. Und ein paar Monate später erfuhr ich, dass er von einer Granate buchstäblich in Stücke gerissen wurde. Sie konnten mehrere Leichenfragmente finden, die in einem Sarg begraben wurden. Das ist mein Trauma. Ich erinnere mich sehr gut an sein Gesicht.

    Ich bedaure sehr, dass ich ihn nicht retten konnte. Aber ich habe es auch geschafft, einige davon zu überzeugen, nicht in Putins Krieg zu ziehen.

    Ilja Jaschin, russischer Oppositioneller

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    ZDFheute: Warum haben Sie nach dem Gefangenaustausch gesagt, dass Sie gegen Ihren Willen freigelassen worden sind?
    Ilja Jaschin: Weil meine Kameraden weiterhin in der Strafzelle sitzen und im Gegensatz zu mir ihre Verwandten nicht umarmen können, kein normales Essen zu sich nehmen und keinen Spaziergang machen können. Und es gibt viele solcher Kameraden. Ich habe das Gefühl, als wäre ich ein blinder Passagier, der im Flugzeug den Platz eines anderen eingenommen hat.

    Ich war bereit, für meine Überzeugungen weiter in Gefangenschaft zu bleiben.

    Ilja Jaschin

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    Und es gibt Menschen hinter Gittern, die jederzeit sterben können, weil sie gesundheitliche Probleme haben, weil sie älter sind und sie eher gerettet werden müssen. Das Gefühl, dass meine Kameraden im Gefängnis gefoltert oder misshandelt werden, geht mir nicht aus dem Kopf. Ich weiß nicht, was ich in Deutschland tun kann, weil ich nie Oppositioneller im Exil war.
    ZDFheute: Haben Sie Angst davor, dass der lange Arm des Kreml auch im Ausland gegen Sie vorgehen wird?
    Ilja Jaschin: Ich gehe seit Jahren das Risiko ein, ums Leben zu kommen. Vor neun Jahren wurde Boris Nemzow in Moskau umgebracht. Ich wusste damals schon, dass sie weiter töten würden. Und ich verstehe jetzt, warum Alexej Nawalny nicht mehr da ist. Aber wenn man immer darüber nachdenkt, wird man verrückt. Du wirst in jedem, dem du begegnest, einen potenziellen Mörder sehen, du wirst dich verstecken, du wirst das Haus nicht verlassen und du wirst nutzlos sein.
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    ZDFheute: Wer oder was kann Putin überhaupt gefährlich werden?
    Ilja Jaschin: Im Moment wirkt Putins Macht stabil. Aber in Wahrheit können solche Regime wie das Putins völlig unerwartet zusammenbrechen. Ich weiß, dass es in Putins Machtebene, in den Streitkräften, im Geheimdienst, viele unzufriedene Menschen gibt. Diese unzufriedenen Eliten könnten ähnlich handeln, wie es Prigoschin vor einem Jahr getan hat.

    Es gibt viele Widersprüche in Putins Machtstrukturen.

    Und in dem Moment, in dem sich diese Widersprüche häufen und eine kritische Masse erreichen, könnte das für Putin gefährlich werden. Ich will dafür sorgen, dass Putin Probleme mit unserem Volk bekommt, denn die Menschen müssen ihre Augen für das öffnen, was passiert:

    Ich möchte den Russen die Wahrheit über diesen Krieg erzählen.

    Ilja Jaschin, russischer Oppositioneller

    Das Interview führte Oleg Prokhorov, ZDF-Producer, zusammengefasst und bearbeitet von Manuela Conrad, ZDF-Redakteurin in der Hauptredaktion "Politik und Zeitgeschehen".

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