Kriegsverbrechen vor Gericht:Was ist der internationale Strafgerichtshof?
von Pauline Fikowski und Lara Wiedeking, Brüssel
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Nach dem Haftbefehl gegen Israels Netanjahu und der US-Forderung nach Sanktionen steht der Internationale Strafgerichtshof im Fokus. Wichtige Fakten zum "IStGH" im Überblick.
Der Sitz des Internationalen Strafgerichtshof (ICC) ist in Den Haag/Niederlanden.
Quelle: dpa
Bereits 2020 hatte US-Präsident Donald Trump Sanktionen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshof (Englisch: International Criminal Court) erhoben. Damals wollte der IStGH Kriegsverbrechen in Afghanistan untersuchen, auch gegen die USA und Israel. Trumps damaliger Außenminister Mike Pompeo nannte ihn einen "kangaroo court". Jetzt hat Trump die Sanktionen, die unter Joe Biden aufgehoben wurden, wieder erneuert.
Doch was ist das für ein Strafgericht, das aus der Idee der Nürnberger Prozesse in Deutschland entstand, dem 125 Staaten angehören, der schon "europäisches Gericht gegen Afrikaner" genannt wurde - und warum gehören die USA nicht dazu?
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Was ist der Internationale Strafgerichtshof und wie arbeitet er?
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) sitzt in Den Haag und ist für vier Straftaten zuständig: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Verbrechen der Aggression. Er ermittelt gegen und verfolgt nur Einzelpersonen.
Nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Gerichtshof (IGH), ein Organ der Vereinten Nationen, dass sich mit Konflikten zwischen zwei Staaten beschäftigt.
Heute sind 125 Staaten Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs, darunter beispielsweise alle EU-Länder, viele südamerikanische und afrikanische Länder. Große und wichtige Staaten wie die USA, China, Russland und Israel sind bis heute nicht Mitglieder und erkennen den IStGH nicht an. Professor Florian Jeßberger ist unter anderem auf Internationales Strafrecht spezialisiert, lehrt an der Humboldt Universität in Berlin und weiß, warum:
Von Seiten der USA bestand die Sorge unter anderem darin, dass der Gerichtshof auch gegen US-amerikanische Staatsangehörige, zum Beispiel Soldaten, ermitteln könnte, ohne dass die USA die Kontrolle darüber inne hätten.
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Prof. Florian Jeßberger, Humboldt-Universität zu Berlin
Gegen eine Person kann nur dann ermittelt werden, wenn die Straftat entweder in einem Mitgliedsstaat stattgefunden hat oder von einem Staatsbürger eines Mitgliedstaats verübt wurde. Aktiv wird der Strafgerichtshof nur dann, wenn Staaten selbst nicht vorgehen möchten oder können.
Im Grunde ist der Gerichtshof als eine Art Reserve- oder Ersatzinstitution konzipiert, die immer und nur dann tätig wird, wenn die Staaten selbst, die eigentlich vorrangig zuständig sind, ihre Aufgabe, die schwersten Verbrechen gegen die Völkergemeinschaft zu verfolgen und zu bestrafen, nicht erfüllen.
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Prof. Florian Jeßberger, Humboldt-Universität zu Berlin
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Wie viel Macht hat der IStGH?
Der IStGH hat ein großes Problem, das viele internationale Organisationen haben, nämlich "dass dieser Gerichtshof keine eigenen Vollzugs-, Ermittlungs- und Polizeibehörden hat", so Prof. Jeßberger. Für das Hauptverfahren und die Verurteilung müssen die Angeklagten beim Gericht in Den Haag anwesend und somit vorher aufgegriffen worden sein.
Der Gerichtshof kann den Haftbefehl nicht selbst vollstrecken, sondern ist dabei auf die Unterstützung der Staaten angewiesen, insbesondere der 125 Vertragsstaaten.
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Prof. Florian Jeßberger, Humboldt-Universität zu Berlin
Eigene Gefängnisse hat der IStGH ebenfalls nicht, aber verschiedene Vereinbarungen mit den Mitgliedsstaaten, zum Beispiel Deutschland, die verurteile Straftäter in Haft nehmen.
Darum sei es besonders besorgniserregend, wenn die Unterstützung für den IStGH unter den Mitgliedsstaaten bröckele, ergänzt Jeßberger. So hat Ungarns Premier Viktor Orbán vergangenen Herbst angekündigt, den Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu zu ignorieren. Deutschland hat sich dazu bisher nicht festgelegt.
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Was für Kritik gibt es am IStGH?
"European Court against Africans" - ein europäisches Gericht gegen afrikanische Bürgerinnen und Bürger. Diese Kritik hat vor allem die Afrikanische Union geäußert, da ein Großteil der Angeklagten die afrikanische Staatsbürgerschaft haben.
"Das ist richtig und das kann man durchaus kritisch sehen", so Jeßberger, "Aber es gibt auch Gründe, weshalb es zu dieser Häufung von Verfahren mit Bezug zu Afrika kam. Zum Beispiel, weil die Tatortstaaten zum Teil die Verfahren selbst an den Gerichtshof überwiesen und mit diesem kooperiert haben, was in anderen Situationen eben nicht der Fall war."
Aus der Zivilgesellschaft und von NGOs gibt es häufiger Kritik, das Gericht sei zu langsam. 2002 hat es die Arbeit aufgenommen, erst 2012 wurde das erste Verfahren wirklich abgeschlossen. Und viele teilen die Kritik der Afrikanischen Union: "Die Kritik der Doppelstandards - dass man zwar Warlords im Kongo verfolgt.
Aber deutsche oder europäische Unternehmen, die etwa durch Ankauf und Verwertung von Bodenschätzen oder die Lieferung von Waffen und Ausrüstung in die lokalen Konflikte verstrickt sind und damit auch eine Verantwortung für die Begehung der Verbrechen tragen, die bleiben verschont", so Jeßberger.
Quelle: dpa
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