Indigene Völker: Warum der Nicht-Kontakt so wichtig ist

    Interview

    Politik des Nicht-Kontakts:"Kontakt mit uns" - Todesurteil für Indigene?

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    Unkontaktierte Völker leben völlig isoliert. Ein Kontakt mit unserer Gesellschaft ist lebensgefährlich. Warum sie so wichtig sind und wie sie versuchen zu überleben.

    Mitglieder einer indigenen Gemeinschaft im Amazonas-Regenwald
    Indigene Völker sind zunehmend bedroht. Dies gilt besonders für bisher unkontaktierte Gemeinschaften.
    Quelle: dpa

    Trotz ihrer reichen Geschichte und Kultur gehören viele indigene Völker nach wie vor zu den am stärksten bedrohten Gemeinschaften der Welt. Ihr Lebensraum wird immer wieder für industrielle und kapitalistische Zwecke angegriffen, der zunehmende Wettbewerb um natürliche Ressourcen gefährdet sie in Zeiten von Klimakrise und Umweltverschmutzung besonders.
    Für unkontaktierte Völker ist die Gefahr Nummer eins jedoch der "Kontakt mit uns", so Aktivistin Teresa Mayo. Ein Gespräch darüber, warum die Isolation Indigener eine Überlebenstaktik ist und warum der Kontakt mit der Zivilisation für viele einem Todesurteil gleichkommen könnte.
    ZDFheute: Das Amazonasgebiet ist Heimat der weltweit größten Anzahl unkontaktierter Völker. Warum ist es wichtig, sie zu schützen?
    Teresa Mayo: Der Schutz des Lebensraums indigener Völker im Allgemeinen stellt die beste Barriere gegen Abholzung dar. Indigene Gebiete sind oft einsame grüne Inseln inmitten eines Meeres aus Abholzung. Das umfassende Wissen der Indigenen über biologische Vielfalt, Botanik und Heilpflanzen ist unschätzbar wertvoll und sollte unbedingt bewahrt werden.
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    ZDFheute: Gibt es Gründe, die eine Kontaktaufnahme notwendig machen?
    Mayo: Lange Zeit galt in Brasilien und anderen Ländern des Amazonasgebietes die Politik der kontrollierten Kontaktaufnahme mit isolierten Völkern. Die Folgen waren desaströs, vor allem für die Gesundheit der Indigenen. Deshalb gibt es heute die sogenannte "Politik des Nicht-Kontakts". Und isolierte indigene Völker selbst nehmen nur dann Kontakt zur Gesellschaft auf, wenn sie keinen anderen Ausweg sehen. Oft wird ihr Lebensraum von Eindringlingen gefährdet und sie müssen ihn zurücklassen. Oder sie erkranken durch den Kontakt mit Invasoren und können die Krankheiten nicht aus eigener Kraft und mit ihrem eigenen Wissen über die Botanik des Waldes heilen.

    Indigene Gemeinschaften, die keinen Kontakt zur Außenwelt haben, werden von der Forschung als unkontaktierte Völker bezeichnet. Weltweit leben schätzungsweise rund 200 indigene Gruppen in Isolation. Die Indigene und ihr Lebensraum werden oft bedroht, von Holzfällern, Viehzüchtern und Drogenschmugglern oder auch Missionaren und Touristen.

    Quelle: Survival international

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    ZDFheute: Wie läuft so eine Kontaktaufnahme in der Regel ab?
    Mayo: Das ist ganz unterschiedlich und häufig teilen sie uns eher mit, dass sie den Kontakt ablehnen. Es gibt Situationen, in denen sie die gleiche Sprache sprechen wie eine Nachbargemeinde und sich so mitteilen, aber in der Regel kommunizieren sie nicht mit Sprache, sondern mit Aktionen. Es gibt ganz berühmte Bilder, die gekreuzte Pfeile im Wald zeigen, mit denen die Indigenen mitteilen, dass hier kein Durchgang erwünscht ist. Ein anderes berühmtes Bild zeigt isoliert lebende Indigene, die mit Pfeil und Bogen auf einen Hubschrauber zielten, der ihr Gebiet überflog.

    Teresa Mayo ist eine spanische Menschenrechtsaktivistin. Für die Nichtregierungsorganisation Survival International koordiniert sie Kampagnen zum Schutz von unkontaktierten Völkern in Peru. In diesem Monat, am 09. August, fand der Welttag der indigenen Völker statt. Ein Gedenktag, den viele NGOs und Aktivisten zum Anlass nehmen, um auf die Bedeutung Indigener hinzuweisen.

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    ZDFheute: Welche konkreten Gefahren birgt eine solche Kontaktaufnahme für indigene Völker?
    Mayo: Sie sind epidemiologisch besonders anfällig für Krankheiten unserer Gesellschaft. Eine einfache Grippe, Masern oder Verdauungs- und Atemwegserkrankungen können für sie tödlich sein. Es gibt zahlreiche Beispiele indigener Völker, die nach dem Kontakt mit uns durch Krankheiten ausgelöscht wurden. Im Laufe der Geschichte haben Indigene außerdem Landraub, Versklavung und Misshandlungen erlitten. Sie haben also traumatische Erinnerungen an die verheerenden Folgen des Kontakts und allen Grund, diesen zu vermeiden und in Isolation zu leben. Es ist daher wichtig, die Selbstbestimmung der Völker zu wahren und sie vor unserer Zivilisation zu schützen.
    ZDFheute: Vor Kurzem hat Survival International Bilder des unkontaktierten Volks Mashco Piro in Peru veröffentlicht. Wie bekommt man solche Bilder?
    Mayo: Die Mashco Piro suchten Kontakt zu einer nahegelegenen Gemeinde und baten um Bananen und andere Nahrung - so ist das Bildmaterial dort zufällig entstanden. Wir sind immer sehr vorsichtig mit den Bildern, die wir verbreiten, und sehen davon ab, es sei denn sie stehen in engem Zusammenhang mit einer Kampagne.

    Die Mashco Piro gelten mit rund 750 Mitgliedern als das größte isoliert lebende indigene Volk der Welt. Sie leben in der Grenzregion zwischen Brasilien und Peru im Amazonas-Regenwald und sprechen ihre eigene Sprache. Ihr Lebensraum wird von Holzfällern bedroht. Kürzlich veröffentlichte Bilder, die eine Gruppe von Mascho Piro am Flussufer zeigten, gingen um die Welt.

    Quelle: Survival international

    ZDFheute: Warum hat man das Bildmaterial der Mashco Piro veröffentlicht?
    Mayo: Das Territorium der Mashco Piro wird vom Staat nicht gegen Holzfäller oder andere Eindringlinge geschützt, was sie in akute Gefahr bringt. In der Vergangenheit haben wir bereits erlebt, dass so ganze Dörfer zerstört wurden. Wir glauben, dass diese Bilder die Macht haben, etwas zu verändern und sie deshalb veröffentlicht.
    Das Gespräch führten Eva Riedmann und Alana Becker.

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    Quelle: ZDF

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