Indiens Digitalisierung hin zur bargeldlosen Volkswirtschaft

    Ziel bargeldlose Volkswirtschaft:Indien revolutioniert den Zahlungsverkehr

    von Johannes Hano, Singapur
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    In Indien zahlt man auch kleinste Centbeträge digital. Die Bedingung: eine digitale Identität. Das Ziel der Regierung: deutlich höhere Steuereinnahmen und weniger Korruption.

    Geldscheine
    Viele Menschen in Indien sind bitterarm. Und doch ist das Land beim Thema digitales Bezahlen anderen Ländern weit voraus.10.01.2024 | 6:16 min
    Am 22. Januar erklärte Indiens Außenminister, Subrahmanyam Jaishankar, Indien würde in einem Monat so viele bargeldlose Transaktionen abwickeln wie die USA in drei Jahren. Und tatsächlich entwickelt sich Indien mit großer Geschwindigkeit in Richtung bargeldlose Volkswirtschaft.

    QR-Code scannen für Bezahlung

    Mohamad Arif ist Frisör in Neu Delhi. Umgerechnet zehn Cent kostet eine Rasur bei ihm inklusive Hautberuhigung mit einem Kristallsalzstein. Sein Laden: Ein Stuhl auf der Straße vor einer rot getünchten Lehmmauer. An der hängt ein kleiner Spiegel, ein Handtuch aufgehängt an einem Nagel und ein QR-Code auf einer Pappe mit weißem Grund und blauem Rahmen.
    Die gleiche Pappe, anderer QR-Code, baumelt von der Heckklappe am offenen Kofferraum von Ratnesh Triveds arg mitgenommener, zerbeulter Limousine. Aus dem Kofferraum dampft es, Reis und Curry in zwei Töpfen. Um sie herum brummt ein Schaar von Fliegen. Ratnesch Trived ist Koch, verdient sein Geld am Straßenrand mit Mittagstisch für Arbeiter für 20, 30 Cent, je nach Größe der Portion.
    Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet etwa 2.200 Euro im Jahr gehört Indien noch immer zu den ärmsten Ländern der Welt. Und doch läuft Indien vielen Ländern, wie auch Deutschland, in einer zentralen Zukunftstechnologie weit voraus und Mohamad und Ratnesh haben daran ihren Anteil.

    Bargeldlos Bezahlen anstatt Suche nach Kleingeld

    "Früher haben wir Bargeld genutzt", erzählt und Ratnesh, "und es hat immer Probleme gegeben das zu handhaben. Jetzt, mit diesem System geht alles direkt auf mein Konto. Ich muss mich nicht mehr mit Bargeld rumschlagen."
    Auch Mohamad schwört auf das neue System, es habe ihm sogar mehr Kunden gebracht. Wechselgeld sei immer das Problem gewesen. Jetzt aber könnten die Kunden den exakten Betrag, egal wie klein er sei, direkt mit dem Handy in sein digitales Wallet überweisen. QR-Code scannen, den Betrag eingeben und bestätigen. Das wars. Etwa 100 Milliarden solcher Transaktionen sind 2023 in Indien abgewickelt worden, für 2026 rechnet die indische Regierung mit einer Milliarde am Tag.


    Mit Fingerabruck und Iris-Scan zur digitalen Identität

    UPI - Unified Payment Interface - nennt sich das System, das dabei ist, Bankenwelt und Zahlungsverkehr zu revolutionieren. Vor acht Jahren hatte die National Payments Corporation of India (NPCI) das System entwickelt und eingeführt mit dem Ziel, Zahlungen zu vereinfachen. Käufer und Verkäufer benötigen für die Transaktion eine sogenannte "Virtuelle Bezahl-Adresse" die ihre Identität bestätigt. Die aber gibt es nur über eine staatliche Identifikationsnummer, die durch Iris-Scan und Fingerabrücke bestätigt ist. Fast alle Inder sind mittlerweile registriert.
    Dass Indiens bargeldloses Zahlen so erfolgreich ist, hat mehrere Gründe. In kaum einem Land ist die mobile Datennutzung so billig wie in Indien, umgerechnet 17 Cent pro Gigabyte. Alle Inder, auch die, die über kein Einkommen verfügen, haben einen gesetzlichen Anspruch auf ein Konto.
    "Indiens Superreiche - Zwischen Elend und Luxus": Evan Luthra steht neben einem jungen Mann. Luthra trägt eine edle schwarze und hochgeschlossene Robe mit schwarzem Turban, den mittig über der Stirn ein goldenes Schmuckstück ziert. Der Mann neben ihm trägt einen aufwändigen goldenen Kopfschmuck. Beide lächeln.
    Indien steht heute in der Top drei der Länder mit den meisten Milliardären weltweit - überholt nur von China und den USA.23.08.2020 | 44:11 min


    Weniger Korruption durch digitale Bezahlsysteme

    Und: Das Vertrauen in Bargeld hat drastisch abgenommen, als die indische Regierung im November 2016 aus heiterem Himmel 500- und 1000-Rupienscheine für ungültig erklärt hat, offiziell um Falsch- und Schwarzgeld aus dem Markt zu nehmen und die Terrorfinanzierung zu bekämpfen. Das Projekt der Demonetisierung scheiterte kläglich und brachte Indiens Wirtschaft in große Schwierigkeiten. Indiens Bürger stürzten sich in der Folge auf digitale Bezahlsysteme.

    Der durchaus gewollte Nebeneffekt für die Regierung: Die Steuereinnahmen steigen parallel zum bargeldlosen Zahlen, denn digitale Zahlungsflüsse sind anders als Bargeldzahlungen transparent und nachvollziehbar.

    Deutschland hinkt beim digitalen Zahlen hinterher

    Noch 2019 wurde in Indien bei 71 Prozent aller Kauf- und Verkaufstransaktionen bar bezahlt. 2021/22 waren es nur noch 27 Prozent. Tendenz rapide fallend.
    Im gleichen Zeitraum gingen in Deutschland noch bei 58 Prozent aller Transaktionen Bargeld über den Tresen, so ein Bericht der deutschen Bundesbank. Der Erfolg des bargeldlosen Zahlens wird sich nicht aufhalten lassen. Die Frage ist, was Deutschland auf dem Weg von Indien lernen kann.

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