Libanon: So viel Rückhalt hat Hisbollah in der Bevölkerung

Am Dienstag flog Israel erneut Angriffe auf Hisbollah-Ziele im Libanon. Ein weiteres Mal zieht die Hisbollah den Libanon in einen Konflikt. Naiv könnte man fragen, warum sich das Land und seine zahlreichen Parteien und Bevölkerungsgruppen das gefallen lassen?

Tatsächlich ist die Macht der Terrormiliz auch mit Blick auf die schiitische Bevölkerung weniger allumfassend als noch vor einigen Jahren, und trotzdem gibt es wenig Aussicht auf Veränderung. Der Überblick, wie die Hisbollah im politischen System des Libanon aufgestellt ist - und welche Fraktionen es noch gibt.

Trotz seiner geringen Größe ist der Libanon ein Staat mit einer riesigen Vielfalt unterschiedlichster religiöser und weltanschaulicher Gruppierungen. Von katholischen Maroniten über Drusen, Armenier, libanesische Sunniten und Schiiten, Syrer, Palästinenser ist alles dabei - politisch oft auch in unterschiedlichen Spielarten von rechtsextrem bis sozialistisch.

Auf dem Papier leben sie alle in einer Demokratie - die aber so von einem religiösen Proporzsystem und dysfunktionalen Institutionen gelähmt ist, dass sie mehr einem gescheiterten Staat entspricht. Der wird gerade so von den Feudalinteressen einer Handvoll einflussreicher Familien und ihrer Parteien zusammengehalten. Diese Familien sind jedoch gleichzeitig ein zentraler Grund für den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stillstand des Landes seit Jahrzehnten.

Bei den Parlamentswahlen 2022 gewann die Hisbollah 15 der 128 Sitze, an der Regierung ist sie wie in den Kabinetten der nationalen Einheit zuvor in kleiner Rolle beteiligt.

Ihre Macht stützt sie darauf, dass sie wie keine andere Gruppierung quasi als Staat im Staat agiert, mit einer eigenen zivilen Infrastruktur neben der mit iranischem Geld hochgerüsteten und zehntausende Kämpfer umfassenden Miliz. Zur Hisbollah gehören Immobilienunternehmen, Schulen und Sozialeinrichtungen. Ihre kriminellen Netzwerke, auch getrieben von der riesigen libanesischen Diaspora, reichen bis nach Lateinamerika und Europa.

"Sie ist die am besten organisierte Partei im Libanon", sagt Robert Chatterjee, stellvertretender Chefredakteur des Nahost-Fachmagazins "Zenith". "Mit ihrem größten innerschiitischen Rivalen, der Amal-Bewegung, teilt sie sich in einem informellen Arrangement die Herrschaft über schiitische Siedlungsgebiete sowie den Großteil der den Schiiten zugewiesenen Parlamentssitze."

Dabei habe sie sich lange als vermeintlich "integre Alternative" zu den zutiefst korrupten sonstigen Parteien inszeniert, so Chatterjee. Nach Protesten im Land 2019, an deren gewaltsamer Niederschlagung sich die Hisbollah beteiligte, und der Explosion im Beiruter Hafen sei aber der Widerstand gegen die Hisbollah gewachsen. "Nun wurde sie zunehmend als integraler Teil des Parteienkartells gesehen, das den Libanon an den Abgrund gewirtschaftet hat", sagt Chatterjee ZDFheute.

Auch außerhalb der schiitischen Bevölkerung ist die Haltung zur Hisbollah gespalten. Und die Angriffe auf Israel seit dem 7. Oktober und die israelische Reaktion haben diese Gefühle eher noch verstärkt.

Eine Situation wie während des libanesischen Bürgerkriegs in den 1980ern, wo sich die christlichen Lebanese-Forces-Milizen teils mit Israel verbündeten, wäre heute undenkbar. Man ist trotz allem auf eine gewisse Kooperation angewiesen, etwa wenn es um politische Ämter geht. Der Posten des libanesischen Präsidenten kann etwa seit fast zwei Jahren nicht besetzt werden. Laut gängiger Praxis steht das Amt einem maronitischen Christen zu, doch über das Wahlverfahren gibt es Streit. In solchen und anderen Fragen sind die christlichen Parteien dann auch auf Unterstützung der Hisbollah angewiesen.

Aus früheren Konflikten mit Israel konnte die Hisbollah innenpolitisch gestärkt hervorgehen. Danach sieht es aktuell nicht aus. Das liegt auch an der wirtschaftlichen Lage: "Tatsächlich stehen der Hisbollah viel weniger Mittel aus Teheran zur Verfügung als früher, allein dadurch ist sie geschwächt. Auch der Einsatz in Syrien hat die Ressourcen geschröpft", berichtet Chatterjee.

Ohne grundlegende politische Reformen, insbesondere im Wahlrecht, kann der Libanon seine Probleme und auch die Hisbollah aber kaum in den Griff bekommen. Zwar gibt es eine starke nationale libanesische Identität unter allen rivalisierenden Fraktionen, doch erst, wenn die politische Willensbildung nicht mehr primär entlang ethno-religiöser Bruchlinien geschieht, kann die Schiiten-Miliz von innen heraus Schranken auferlegt bekommen.

Nach Ende des Bürgerkriegs 1990 wurden die verschiedenen libanesischen Parteimilizen weitgehend entwaffnet - mit Ausnahme der Hisbollah. Sie konnte sich ihren Sonderstatus erhalten, indem sie stets auf eine Bedrohung aus Israel verwies.

Die offiziellen Streitkräfte des Libanon wären nicht ansatzweise in der Lage, die Hisbollah zu entwaffnen. Ihr Kriegsgerät besteht aus einer bunten Mischung verschiedener Fahrzeuge und Waffensysteme, der Großteil davon veraltet. "Weder die Zusammenstellung, noch die Ausrüstung der libanesischen Armee sind dafür geeignet. Auch dienen viele schiitische Hisbollah-Anhänger in der Armee", betont Chatterjee. Ein solcher Schritt ist nicht realistisch und wäre wohl ein direkter Weg in einen neuen Bürgerkrieg.