Schiiten-Miliz im Libanon:So schuf die Hisbollah ihren Terror-Staat
von Nils Metzger
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Ein toter Hamas-Führer in Beirut bringt Libanons Terrorgruppe Hisbollah an den Rand des Krieges mit Israel. So beherrscht die Miliz ihre Viertel seit Jahrzehnten mit eiserner Hand.
Von Iran gestützt, ist die Hisbollah im Libanon militärisch und politisch aktiv. 03.01.2024 | 0:53 min
Eine Apotheke, ein Süßwarengeschäft, ein Handyladen, darüber Wohnungen - die Adresse, an dem allem Anschein nach die israelische Luftwaffe am Dienstagabend den Vize-Chef des Hamas-Politbüros mit einer Drohne ausschaltete, war ein unscheinbarer Ort. Ein Wohn- und Geschäftsblock, wie es zigtausende in Beiruts südlichem Vorort Haret Hreik gibt.
Punktgenau fielen zwei Raketen auf eine Wohnung im Obergeschoss und ein Auto auf der belebten Straße davor. Gleich, ob Israel tatsächlich hinter der gezielten Tötung von Saleh al-Aruri und mehrerer weiterer Hamas-Kommandeure steckt - der Vorfall kommuniziert eine klare Botschaft: Niemand ist sicher, egal, wo er sich versteckt.
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Ein Angriff im Herzland der Hisbollah
So unscheinbar der Ort des Luftangriffs ist, desto größer ist seine politische Bedeutung - was nun die Spannungen zwischen Israel und dem Libanon deutlich verschärft. Denn Haret Hreik ist Teil der sogenannten Dahiya, des Kerngebiets der schiitischen Terrororganisation Hisbollah, im Süden der Hauptstadt des Libanon.
Hier ist die Hisbollah ein Staat im Staat. Es ist naheliegend, dass sich Kader von Hamas und anderen militanten Organisationen dort verstecken und den Schutz der Hisbollah genießen. Es wäre der erste offene israelische Luftschlag auf dieses Viertel seit dem Libanon-Krieg von 2006.
Wie wurde die Hisbollah im Libanon so mächtig?
In den Dahiya leben über 750.000 Menschen, vor allem Schiiten. Genaue Zahlen, wie viele davon die Hisbollah aktiv unterstützen, wie viele einfach nur qua religiöser Zugehörigkeit dort leben, gibt es nicht. Freie Meinungsäußerung oder öffentliche Kritik an der "Partei Gottes" ist vor allem für einfache Bürger nur mit großen Risiken möglich.
Die Hisbollah ist Terrorgruppe und politische Bewegung zugleich. Ihr Einfluss erklärt sich auch aus ihrer Entstehungszeit. Seit den 1970er Jahren wanderten Tausende verarmte schiitische Familien aus anderen Landesteilen in die Dahiya-Gebiete. Diese Armenviertel und ein wachsendes politisch-religiöses Bewusstsein in Folge der islamischen Revolution im Iran 1979 waren wichtige Keimzellen fürs das Entstehen von Hisbollah und weiterer radikaler Bewegungen.
Anders als andere libanesische Milizgruppen hat sich die Hisbollah unter Verweis auf ihren Kampf gegen Israel stets geweigert, ihre Waffen abzugeben. Viele Beobachter schätzen sie inzwischen kampfstärker ein als die regulären libanesischen Streitkräfte.
Immer wieder wird der Norden Israels mit Raketen aus dem Libanon angegriffen. Die Menschen die dort leben, haben Angst vor der Hisbollah-Miliz, wie ZDF-Korrespondentin Henriette de Maizière berichtet:
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Wie herrscht die Hisbollah in Beiruts südlichen Vororten?
Plakate getöteter Kämpfer, schiitischer Geistlicher und Parteiflaggen hängen in jeder größeren Straße, die in vielen Fällen auch nach "Märtyrern" benannt sind. Vor allem in den ärmeren Teilen der Dahiya ist die Hisbollah omnipräsent, diese Viertel hat sie ganz nach ihren Bedürfnissen geformt. Doch es gibt auch wohlhabendere Gegenden wie Ghobeiry, wo Unternehmer und Hisbollah-Beamte Wohnungen besitzen und eine Art Mittelschicht bilden. Sogar ein großer Golfclub liegt innerhalb der Dahiya. Im Süden grenzt das Gebiet an den internationalen Flughafen, hat also eine hohe strategische Bedeutung.
Wenn sich in der Vergangenheit die Sicherheitslage zuspitzte, riegelten Checkpoints von Armee und Hisbollah die Zufahrtstraßen in die Dahiya ab. Auch in den Vierteln selbst patrouillieren offen oder verdeckt bewaffnete Kämpfer; stets auf der Suche nach vermeintlichen israelischen Spionen. Als Journalist in diesen Gegenden zu recherchieren, ist eingeschränkt möglich - doch schon ein Foto von einem falschen Wohnhaus kann dazu führen, dass man über Tage in einer Hisbollah-Einrichtung festgehalten wird.
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Sozialer und wirtschaftlicher Einfluss auf die Bevölkerung
Gerne spricht die Hisbollah über ihre sozialen und wohltätigen Projekte, ihre Krankenhäuser, Hilfseinrichtungen und Schulen in den Dahiya. Genauso unterhält die Gruppe aber Geheimgefängnisse und ein eigenes Bankensystem. Auch der Hisbollah nahestehende Medienunternehmen wie der Fernsehsender "Al-Manar" oder der Radiosender "Al-Nour" haben dort ihre Büros.
Eine Folge des Libanon-Kriegs von 2006 war der Aufstieg der Hisbollah als Immobiliengigant. Bombardierungen durch Israel verwüsteten damals weite Teile der Vororte. Im Anschluss an den Krieg finanzierte die Hisbollah den rasanten Wiederaufbau von Wohngebäuden, die im Gegenzug jedoch oft in den Besitz von Hisbollah-Firmen übergingen. Seitdem kann sich die Gruppe nochmal besser unter der Zivilbevölkerung verstecken. Eine Militärkampagne wie sie aktuell in Gaza läuft, wäre zwangsläufig mit erheblichen Opfern verbunden.
Was könnte den Hisbollah-Einfluss schwächen?
Es wird vermutlich wenig geben, was der Hisbollah unmittelbar mehr Sympathien in der libanesischen Bevölkerung auch jenseits der schiitischen Community verschaffen würde, als ein großangelegter israelischer Angriff. Mittelfristig könnte das aber angesichts der massiven Wirtschaftskrise des Landes umschlagen - denn für einen Wiederaufbau ist nun kaum Geld da.
Die Spannung in Israels Norden wächst: Die mit der Hamas verbündete Hisbollah-Miliz aus dem Libanon hat heute erneut Raketen Richtung Israel abgefeuert.30.12.2023 | 1:47 min
Die Hisbollah-Expertin Hanin Ghaddar von der Denkfabrik Washington Institute for Near East Policy weist in ihrer Analyse "Hezbollahland" etwa darauf hin, dass verschärfte US-Sanktionen und die Wirtschaftskrise in den vergangenen Jahren zu deutlichen Budget- und Lohnkürzungen innerhalb der Organisation geführt hätten. Ghaddar verweist auch darauf, dass sich die regierungskritischen Proteste im gesamten Libanon 2019 auch gegen bekannte schiitische und mit Hisbollah verbündete Politiker gerichtet hatten.
Dass die Proteste schließlich an Momentum verloren, habe weniger an zurückgewonnenem Vertrauen gelegen, sondern am Schrecken, den die Hisbollah verbreitete. Im Februar 2021 wurde etwa der bekannte Aktivist Lokman Slim ermordet in seinem Auto aufgefunden - eine klare Botschaft an Kritiker der Hisbollah.
Ihre ökonomische Verwundbarkeit kann sie teils durch Geld aus dem Iran auffangen. Hinzu kommt aber, dass die Hisbollah auch ideologisch unter Druck steht. Denn ihre militärische Reaktion auf den aktuellen Gaza-Krieg war bislang vor allem symbolisch - einen großen Krieg scheut sie bislang. Das über Jahrzehnte gepflegte Narrativ vom "islamischen Widerstand" gegen Israel könnte so unglaubwürdig erscheinen.
Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.