Hebamme im Gazastreifen: "Nur die Kräftigsten überleben"
Interview
Hebamme im Gazastreifen :"Ist brutal, nur die Kräftigsten überleben"
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Auf einer Geburtenstation im Krieg: Die Hebamme Anja Bezold war für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" in Rafah im Gazastreifen. Eine Mission, die sie "erschüttert" hat.
Für viele schwangere Frauen spitzt sich die Lage im Gazastreifen zu. (Symbolbild)
Quelle: AFP
Hebamme Anja Bezold erzählt, dass...
...das Krankenhaus, in dem sie arbeitete "übervoll" gewesen sei. Frauen hätten ihre Kinder zum Teil "auf dem Boden im Flur gebären" müssen. ...Frauen selbst bei komplizierten Geburten das Krankenhaus wenige Stunden nach Entbindung verlassen mussten. ...die Frühchen-Station im Krankenhaus "absolut überfüllt" gewesen sei und in jedem Inkubator "drei bis vier Kinder ums Überleben" kämpften.
ZDFheute:In die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens sind seit Beginn der israelischen Militäroffensive mehr als 1,4 Millionen Menschen geflüchtet. Wie haben Sie die Lage dort während Ihrer dreiwöchigen Arbeit wahrgenommen?
Anja Bezold: So viele Menschen auf so engem Raum habe ich nie zuvor gesehen. Es gibt kaum ein Durchkommen. Unfassbar viele Menschen leben auf der Straße, schlafen dort in Zelten oder unter Planen. Der Mangel ist allumfassend, die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal.
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In dem Krankenhaus, in dem ich geholfen habe, sind vor Kriegszeiten circa 20 Babys am Tag zur Welt gekommen; jetzt sind es täglich etwa 100 und davon bis zu 20 Kaiserschnitte.
Das gesamte medizinische Personal arbeitet die ganze Zeit im Ausnahmezustand. Die Leute geben alles, aber kommen nicht hinterher.
...ist eine Hebamme aus Berlin. Die 53-Jährige arbeitet seit 2018 für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" und war seither unter anderem im Jemen, Irak und in Tansania im Einsatz.
ZDFheute: Was war Ihre Aufgabe?
Bezold: Wir haben die Wochenstation übernommen. Wegen mangelnder Kapazitäten musste die Klinik die Frauen zuvor nach natürlichen Geburten direkt entlassen. Nach komplizierten Geburten blieben sie zumindest sechs Stunden zur Überwachung, bevor auch diese Frauen mit ihren Kindern die Klinik verlassen mussten.
ZDFheute: Inwiefern hat sich die Situation durch Ihr Zutun verändert?
Bezold: Wir hatten eine Station mit 26 Betten, die Frauen und ihre Babys kamen zehn Minuten nach der Geburt zu uns. Den teils noch unerfahrenen Schwestern habe ich zum Beispiel gezeigt, wie sie schnell erkennen können, ob es den Babys gut geht.
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Nach einem Kaiserschnitt haben wir die Frauen zumindest 24 Stunden bei uns behalten können und beobachtet. Unsere Mittel waren extrem beschränkt, aber in solchen Situationen können auch einfache Hilfe Leben retten.
ZDFheute:Zum Beispiel?
Bezold: Für die Babys dort ist es überlebenswichtig, dass sie Muttermilch trinken. Wenn ein Baby nicht von der Brust trinkt, bedeutet das in der aktuellen Situation seinen sicheren Tod, weil es im Gazastreifen keine künstliche Babynahrung gibt und vor allem die hygienischen Bedingungen für das Herstellen der Nahrung nicht gegeben sind.
Kommen Bakterien in die Trinkflaschen, kann das beim Baby schlimme Durchfälle und damit die Gefahr des Dehydrierens verursachen.
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ZDFheute: In welchem Zustand kamen die Frauen zu Ihnen?
Bezold:Sie wissen, in was für ein Chaos sie ihre Kinder hineingebären. Viele waren traumatisiert. Sie mussten hochschwanger teils mehrfach den Zufluchtsort wechseln. Es gibt eine unglaublich hohe Zahl von Frühgeburten: Die Frühchen-Station in dem Krankenhaus war absolut überfüllt.
In jedem Inkubator kämpften drei bis vier Kinder ums Überleben. Was ich dort gesehen habe, hat mich wirklich erschüttert. Es ist brutal, nur die Kräftigsten überleben.
ZDFheute: Wie sind Sie damit umgegangen?
Bezold: Ich bin eine professionelle Helferin, kann viel wegstecken. Aber sowas hatte ich in meinen bisherigen Einsätzen in Notgebieten noch nicht erlebt. Umso wichtiger war unsere Arbeit auf der Wochenstation. Dort haben wir versucht, den Frauen zumindest etwas Geborgenheit zu geben in den paar Stunden, die sie bei uns waren.
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ZDFheute: Als erfahrene Hebamme wissen Sie, wie viel Pflege Frauen nach schwierigen Geburten brauchen. Mit welchen Gefühlen haben Sie die Mütter und ihre Neugeborenen in Rafah verabschiedet?
Bezold: Sie in diese extreme Unsicherheit zu entlassen, war wirklich schwer. Viele Kinder und Frauen bekommen in diesem Chaos, in Kälte und Schmutz Infektionen.
Mir ist klar, dass ich in so einem Einsatz nicht alle retten kann. Aber das, was man leisten kann, ist wirklich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
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