Tod von Nasrallah: Wie es mit der Hisbollah jetzt weitergeht

Weniger als zwei Wochen ist es her, dass Israel mit den Pager-Explosionen ein neues Kapitel im Kampf gegen die Hisbollah einläutete. Heute ist die libanesische Terrororganisation kaum mehr wiederzuerkennen. Innerhalb kürzester Zeit schaltete Israel einen Großteil der Führungsriege aus, die die Geschicke der Miliz seit Jahrzehnten bestimmt.

Nun hat das israelische Militär auch Hassan Nasrallah, Generalsekretär und populärer Kopf der Hisbollah, beim Luftangriff auf das verborgene Hisbollah-Hauptquartier in Beirut getötet. Am Samstag bestätigte auch die Hisbollah selbst den Tod Nasrallahs.

Schon jetzt steht fest: Es ist ein einschneidender Moment in der Geschichte des Nahost-Konflikts. Seit 1992 stand Nasrallah an der Spitze der Hisbollah - seit sein Vorgänger ebenfalls bei einem israelischen Luftschlag getötet wurde.

Sowohl die politische Partei wie auch die zehntausenden Hisbollah-Kämpfer standen unter seiner Kontrolle. Er war das Gesicht der Organisation - in den Augen ihrer Anhänger, notgedrungen aber auch für den Rest der libanesischen Bevölkerung. Wann immer er eine seiner Reden hielt, starrte ein ganzes Land gebannt auf den Bildschirm, schließlich entschied weniger der libanesische Staat, sondern vielmehr die von Iran finanzierte Miliz die großen Fragen von Krieg und Frieden. Tobias Schneider vom Global Public Policy Institute in Berlin sagt ZDFheute:

Nasrallahs Strahlkraft beruhte auch auf der großen Erzählung vom islamischen Widerstand gegen Israel. Israels Rückzug aus dem Südlibanon 2000 und der blutige Krieg von 2006 zahlten beide positiv auf Nasrallahs Ruf ein, die Partei-Propaganda stellte ihn neben den Märtyrern all dieser zurückliegenden Konflikte ins Zentrum. Damit begründete die Hisbollah auch ihre Sonderrolle im libanesischen System; warum sie als einzige Fraktion nach Ende des Bürgerkriegs weiter ihre Waffen besaß.

Die Angriffe der letzten Tage verdeutlichten, dass Israel die Hisbollah lesen kann wie ein Buch - bis hinein in oberste Führungsebenen konnten Informationen abgefangen und Ziele geortet werden. Die Hisbollah bleibt so deutlich hinter dem militärischen Potenzial zurück, das ihr Analysten noch vor wenigen Wochen zugesprochen haben.

In der vergangenen Nacht gingen die massiven Luftschläge auf Ziele in Beirut weiter. Für die Hisbollah stellt sich damit mehr und mehr die Frage, ob sie in diesem Konflikt überhaupt noch militärisch bestehen kann. Ob das Raum für Verhandlungen über einen Waffenstillstand schafft, etwa unter Einbindung der libanesischen Regierung, ist unklar. Bislang scheint Israels Premier Benjamin Netanjahu in der Schwäche der Hisbollah vielmehr eine Chance zu sehen, die Lage im Nachbarland Libanon nachhaltig zu verändern.

Mittelfristig können sich aus Nasrallahs Tod auch weitreichende Folgen für den Libanon ergeben. Bislang konnte keine der anderen politischen Parteien an der mit Waffengewalt abgesicherten Dominanz der Hisbollah etwas ändern. Als es 2019 große Proteste auch von Schiiten gegen die Korruption der gesamten Parteienlandschaft gab, beteiligte sich Hisbollah an der Niederschlagung. Nun könnte sich Raum für Veränderung ergeben, sofern die Hisbollah ihre verbleibenden Waffen nicht erneut nach innen richtet, um ihre Macht zu erhalten.

Der über Jahrzehnte gewachsene Einfluss der Partei in der schiitischen Gemeinschaft des Libanons werde nicht über Nacht verschwinden, ist sich Schneider sicher. "Die Zukunft der Hisbollah als mächtigster Militärverband in der arabischen Levante ist dagegen ungewiss. In den vergangenen sechs Wochen hat die Miliz nicht nur ihre oberste Führungsrige, sondern auch viele Dutzende ihrer wichtigsten Offiziere und Verwalter, sowie tausende Soldaten in Attentaten und Luftschlägen verloren."

Die Frage einer möglichen Nachfolge ist aktuell völlig ungeklärt. Das liegt auch daran, dass nicht bekannt ist, wer bei dem Luftschlag auf das Hisbollah-Hauptquartier noch getötet wurde.

Ein möglicher Kandidat ist Haschem Safi Al Din, Chef des Hisbollah-Exekutivrats und damit bislang die politische Nummer Zwei hinter Nasrallah. Als Cousin Nasrallahs hätte er einen familiären Bezug und durch sein Studium in der iranischen Gelehrtenhochburg Ghom auch einen theologischen Anspruch auf eine Führungsrolle. Auch Naim Ghassem ist als Nasrallahs Stellvertreter eine mögliche Option. "Nach aktuellem Nachrichtenstand sind die beiden warscheinlichsten Nachfolger, Hashem Safieddine und Naim Ghassem, weiter am leben", sagt Schneider.

Nasrallah war integraler Bestandteil von Irans "Achse des Widerstands" in der ganzen Region. Hisbollah und andere bewaffnete Gruppen werden jedoch oft unterkomplex ausschließlich als verlängerter Arm Teherans dargestellt. Dabei haben sie oft, so auch die Hisbollah, dezidiert nationale Identitäten und Interessen, die nicht immer zu denen des Iran passen.

Um diese Allianz aufrecht zu erhalten, benötigt Iran zwingend populäre Anführer als Symbol dieser Kooperation. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage im Libanon wie im Iran fragen sich aber immer mehr Menschen, warum sie einerseits die enormen finanziellen Mittel für diese Militärallianz aufwenden und umgekehrt, warum sie sich für iranische Interessen in Kriege ziehen lassen sollten. Die Hisbollah-Intervention im syrischen Bürgerkrieg etwa hat viele Menschenleben gefordert und zu zusätzlichen Spannungen im Libanon geführt.

Nach dem Tod des iranischen Generals Ghassem Soleimani 2020 war Nasrallah einer der wenigen verbliebenen Köpfe dieser Kooperation. In den vergangenen Wochen hat Iran weitgehend tatenlos zugesehen, wie einer seiner wichtigsten regionalen Verbündeten von Israel militärisch nach und nach ausgeschaltet wird. Entscheidet sich Iran dagegen, jetzt umfangreich in den Konflikt einzugreifen, könnte das Bündnis mit der Hisbollah anhaltenden Schaden nehmen.