Haiti im Ausnahmezustand: Welche Rolle die USA dabei spielen
Interview
Eskalation auf der Karibikinsel:Haiti-Experte: "USA sind mitverantwortlich"
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Seit Jahren mischen die USA im Karibikstaat Haiti mit. Trotzdem ist die Situation dort instabil, wie auch die aktuelle Eskalation zeigt. Oder gerade deswegen?
Kriminelle Banden greifen in Haiti nach der Macht. Sie haben sich zu einer Armee verbündet, um die Regierung zu stürzen. Kein Bürger ist mehr sicher.13.03.2024 | 6:29 min
In Haiti herrschen Gewalt, Chaos und Anarchie: Kriminelle Banden haben faktisch die Macht auf den Straßen übernommen und die Regierung zum Rücktritt gezwungen. Kaum jemand wagt sich noch nach draußen. Der Karibikstaat kommt seit Jahren nicht zur Ruhe, trotz internationaler Hilfe, vor allem von den USA. Warum die Einmischung der USA in Haiti nicht zu einer stabilen Situation führen konnte - und ob die Vereinigten Staaten die Eskalation sogar begünstigt haben, erklärt Haiti-Experte Jake Johnston.
ZDFheute: In Haiti ist die Gewalt in den letzten Wochen eskaliert. Kriminelle Banden kontrollieren mittlerweile große Teile des Landes. Was meinen Sie, wie geht es jetzt weiter?
Jake Johnston: Es gibt keine schnelle Lösung. Wir können nicht einfach mit den Fingern schnippen und plötzlich hat Haiti eine gut funktionierende Demokratie. Der jetzige Zustand ist auch das Resultat eines systematischen Demokratie-Abbaus durch Akteure in Haiti, mit tatkräftiger Unterstützung der USA. Daher wird es auch viel Mühe kosten, einen funktionierenden Staat wiederherzustellen. Die Beziehung zwischen der haitianischen Bevölkerung und dem Staat muss völlig neu definiert werden. Da muss erst wieder eine Vertrauensbasis geschaffen werden.
... ist Haiti-Experte am Center for Economic and Policy Research in Washington, D.C.. Zudem ist er Autor des neu erschienenen Buches "Aid State: Elite Panic, Disaster Capitalism and the Battle to Control Haiti".
ZDFheute: Was ist der Weg aus der Krise?
Johnston: Letztendlich liegt die Antwort darin, das haitianische Volk seinen eigenen Weg definieren zu lassen. Aber leider hat es sich immer wieder gezeigt, dass in Krisenzeiten Interventionen von außen diesen Pfad für die Haitianer bestimmen und entscheiden, wie der Weg in die Demokratie auszusehen hat. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass das nicht funktioniert. Ich hoffe, das passiert jetzt nicht ein weiteres Mal.
ZDFheute: Die USA haben schon vor der Eskalation Hilfen zugesagt und angekündigt, sie aufzustocken. Welche Rolle spielen die USA in dieser Krise?
Johnston: Die USA sind für die Situation mitverantwortlich. Sie haben jahrelang eine de facto illegitime Regierung gestützt, die sich weigerte, ernsthaft mit der Opposition oder der Zivilgesellschaft zu verhandeln, um einen glaubhaften Weg zur Wiederherstellung der Demokratie zu finden. Die USA sagen immer: "Wir unterstützen eine haitianische Lösung." Aber ihre Taten sprechen eine andere Sprache. Sie haben nicht nur einfach weggesehen, als die Situation immer schlimmer wurde, sondern sie waren aktiv beteiligt.
ZDFheute: Wie sähe eine solche "haitianische Lösung" denn aus?
Johnston: Es gibt jede Menge Haitianer, die gute Ideen für die Zukunft Haitis haben. Sie haben kluge Pläne entwickelt und organisieren sich täglich. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass die Haitianer sich nicht zurücklehnen und das alles einfach passieren lassen. Sie kämpfen jeden Tag und wehren sich, so gut es geht. Als Akteure von außen ist es an uns, Wege zu finden, das zuzulassen und dafür zu sorgen, dass unsere Handlungen diese Dynamik nicht unterdrücken. Dass wir dem Land keine Lösungen aufdrücken - auch wenn es gut gemeint ist.
ZDFheute: Eine internationale Polizeimission unter kenianischer Leitung soll im Land deeskalieren. Allerdings hat Kenia die Entsendung von 1.000 Polizisten zuletzt verschoben. Wie sinnvoll wäre denn die geplante Sicherheitstruppe?
Johnston: Die haitianische Polizei braucht Beistand. Die Polizisten bekommen nicht einmal ihr Gehalt, sie haben nicht die nötige Unterstützung. Aber auch Sicherheit kann man nicht einfach importieren. Auch hier ist es doch so:
Es wird international viel über Unterstützung der Polizei gesprochen. Und welche Form nimmt das dann an? Nicht die einer direkten Mithilfe.
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Jake Johnston
Stattdessen geben die USA Geld an US-Unternehmen, um Trainings [in Haiti, Anm. d. Red.] durchzuführen. Und jetzt sollen über 600 Millionen US-Dollar dafür ausgegeben werden, eine internationale Truppe auszustatten und zu entsenden. Dreimal mehr als der Jahreshaushalt der haitianischen Polizei! Ich denke, wir sollten darüber nachdenken, wo das Geld vielleicht besser angelegt wäre und wie unsere Unterstützung vielleicht effektiver nachhaltige lokale Lösungen herbeiführen kann.
Das Interview führte Steffanie Riess, ZDF-Studio Washington
In Haiti nimmt die Bandengewalt weiter zu, die Sicherheitslage verschärft sich. Die UN zieht deshalb Personal ab. Gleichzeitig ist aber eine "Luftbrücke" für Hilfsgüter geplant.
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