Großbritannien: Wieso vielen Städten das Geld ausgeht

    Kommunen bankrott:Wieso britischen Städten das Geld ausgeht

    von Hilke Petersen, London
    |

    Vielen Städten in Großbritannien fehlt Geld. Deshalb müssen Verwaltungen sparen, auch am öffentlichen Leben. Ein veraltetes System lässt die Mittel der Kommunen schrumpfen.

    Insolvenzwelle in britischen Städten
    Nottingham und Birmingham haben Insolvenz angemeldet. Für die Städte bedeutet das, dass wichtige Leistungen wie soziale Dienste zusammengestrichen werden müssen.04.03.2024 | 2:21 min

    Nottingham schränkt öffentliches Leben ein

    Neun Städte in Großbritannien haben sich bereits in den vergangenen Jahren für bankrott erklärt, darunter Birmingham und Nottingham. Dort sieht die Verwaltung sich gezwungen, Spielplätze und Pflegeheime zu schließen, Bücherei-Öffnungszeiten zu verkürzen, Brunnen werden abgeschaltet. Und für öffentliche Toiletten werden in der 330.000-Einwohner-Stadt künftig alle bezahlen müssen, ebenso für Gartenabfälle. Auch viele Kultureinrichtungen sind bedroht. Das öffentliche Leben in Nottingham dürfte trister werden.
    Erasmus-Austausch
    Die Deutsche Botschaft schlägt Alarm: Der Studentenaustausch zwischen Deutschland und Großbritannien ist nach dem Brexit eingebrochen.19.01.2024 | 2:13 min

    Einnahmesystem der britischen Kommunen veraltet

    Etwa die Hälfte der mehr als 300 britischen Gemeinden gibt an, dass das Geld nicht reicht. 60 befürchten, in Zukunft pleite zu gehen. Sie alle leiden an einem wenig modernen Finanzierungssystem, dass sie abhängig macht. Denn sie haben begrenzten Einfluss auf ihre Einnahmen.

    Britische Regierung stellt weniger Geld

    Die kommen im Wesentlichen aus drei Quellen: Lokale Unternehmen zahlen eine Art Steuer auf ihre Immobilien. Und die Bürger eine sogenannte Gemeindesteuer auf ihre Wohnimmobilien, die Council Tax. Bedeutet: Reichere Kommunen generieren mehr Geld, die armen weniger. Erhoben wurde der Wert aller Gebäude 1991 - seitdem hat sich nicht viel an der Besteuerung geändert.
    Fotomontage: Der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson mit blauem Helm hängt an einem Seil über dem Ärmelkanal und hält britische Flaggen in den Händen, daneben ein das gelbe auslandsjournal-Logo
    Mit Lügen, Feindbildern und radikalen Ideen haben die Populisten die Briten vom Brexit überzeugt. Vier Jahre später ist die Bilanz in Großbritannien düster und das Volk gespalten. 30.01.2024 | 12:33 min
    Und schließlich erhalten die Kommunen noch weiteres Geld aus einem nationalen Topf, den die Regierung allerdings seit Jahren zusammenschrumpft: zwischen 2010 und 2018 um fast 50 Prozent. Das hat viele Kommunen an den Rand gebracht.

    Kommunen haben kaum Einfluss auf Einnahmen

    Wenn sie darüber hinaus versuchen, sich Einnahmen zu verschaffen, indem sie in Projekte investieren und sich dabei verzocken, dann geraten sie schnell in die Pleite. In Nottingham war es der lokale Energieversorger, den die Stadt betreiben wollte. In Birmingham sind es unvorhergesehene Schulden aus einem Equal-Pay-Gesetz, weil Mitarbeiterinnen der Stadt erfolgreich auf rückwirkende Einkommenszahlungen klagten - etwa 890 Millionen Euro.
    Ein Anti-Brexit Unterstützer mit einer EU-Flagge in London.
    Vier Jahre nach dem Brexit fällt die Bilanz der britischen Wirtschaft nüchtern aus. Viele Briten befürchten weitere Handelseinschränkungen und halten den Brexit für einen Fehler.31.01.2024 | 1:33 min
    Professor Peter Eckersley von der Universität Nottingham kennt die Ursache für die landesweite Misere von Städten und Gemeinden. Es sei vormodern, wie die Kommunen an ihr Geld kämen, ohne darauf selbst großen Einfluss nehmen zu können. Denn die lokalen Steuern dürften sie nur moderat erhöhen.

    Lebenswirklichkeit verfehlt enge Vorgaben

    Restriktionen gibt es auch für alternative Einnahmequellen, etwa die Erhöhung von Parkgebühren, so Eckersley. Sie dürften dann nur zweckgebunden etwa in Straßenerneuerung investiert werden. Die Lebenswirklichkeit verfehlen die engen Vorgaben: Während der Bedarf überall steigt, schrumpfen die finanziellen Möglichkeiten. So wie seit langem die Mittel, die die Regierung gewährt.
    Zahnarztkrise in Großbritannien
    Eine Zahnarzt-Praxis in Bristol nimmt neue Patienten auf - etwas, das eher selten passiert. Die potenziellen Patienten stehen Schlange, um sich in der Praxis zu registrieren.13.02.2024 | 2:06 min

    Wütende Bürger gegen Regierung

    Die Einsparungen treiben viele Bürger in Großbritannien um. In Nottingham organisieren sie sich und ihre Kampagnen gegen die drohenden Schließungen im öffentlichen Leben. Sie werfen der von der Labour-Partei geführten Stadtspitze vor, die klammen Kassen schlecht verwaltet zu haben - und Versagen, als es um Investitionen ging.
    Die zentrale Regierung in London klagen sie an, sie im Stich zu lassen, ja auszutrocknen. Fast 14 Jahre sind die Tories an der Macht. So trifft die Wut im Wahljahr beide großen Parteien.

    Nachwahlen in Großbritannien
    :Schlappe für Sunaks Tories - Sitze verloren

    Die britischen Konservativen haben sich bei Nachwahlen zum Unterhaus zwei weitere Schlappen eingefangen. Auf Premier Sunak dürfte der Druck steigen, einen Kurswechsel einzuleiten.
    Rishi Sunak bereitet sich darauf vor, den König von Jordanien in der Downing Street 10 in London, Großbritannien, zu empfangen, 15.02.2024.

    Jugendarbeit in Nottingham gefährdet?

    Auf einer Bürgerversammlung mobilisieren sie ihre Kräfte, wild entschlossen zu verhindern, dass die Jugendarbeit in Nottingham massiv zusammengespart wird und etwa in den Grundschulen in Zukunft nicht mehr jeder Jahrgang schwimmen geht, sondern nur noch jeder Zweite.
    Auch Leon Conway meldet sich zu Wort. Der pensionierte Geschichtslehrer aus Nottingham fürchtet um die grundlegenden Aufgaben der Stadt.

    Abgesehen vom Angriff gegen existenzielle Dienstleistungen, wo es schließlich auch um Leben und Tod gehen könnte, reduzieren sie auch das kulturelle Leben in Nottingham.

    Leon Conway, Geschichtslehrer aus Nottingham

    Und Tom Unterrainer, auch erfahren mit Bürgerkampagnen, weist darauf hin, dass Nottingham nicht allein ist.

    Wer durch dieses Land fährt, der sieht überall, wie schlimm es darum steht. Und wie es sich gänzlich verändert hat in den vergangenen 15 Jahren.

    Tom Unterrainer aus Nottingham

    Denn drohende Pleiten breiten sich wie eine Epidemie aus in Großbritannien. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden in einem System, das dringend eine Modernisierung bräuchte - um die Städte vor dem Verfall zu bewahren.

    Mehr zum Thema Großbritannien