Großbritannien: Wieso vielen Städten das Geld ausgeht
Kommunen bankrott:Wieso britischen Städten das Geld ausgeht
von Hilke Petersen, London
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Vielen Städten in Großbritannien fehlt Geld. Deshalb müssen Verwaltungen sparen, auch am öffentlichen Leben. Ein veraltetes System lässt die Mittel der Kommunen schrumpfen.
Nottingham und Birmingham haben Insolvenz angemeldet. Für die Städte bedeutet das, dass wichtige Leistungen wie soziale Dienste zusammengestrichen werden müssen.04.03.2024 | 2:21 min
Nottingham schränkt öffentliches Leben ein
Neun Städte in Großbritannien haben sich bereits in den vergangenen Jahren für bankrott erklärt, darunter Birmingham und Nottingham. Dort sieht die Verwaltung sich gezwungen, Spielplätze und Pflegeheime zu schließen, Bücherei-Öffnungszeiten zu verkürzen, Brunnen werden abgeschaltet. Und für öffentliche Toiletten werden in der 330.000-Einwohner-Stadt künftig alle bezahlen müssen, ebenso für Gartenabfälle. Auch viele Kultureinrichtungen sind bedroht. Das öffentliche Leben in Nottingham dürfte trister werden.
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Einnahmesystem der britischen Kommunen veraltet
Etwa die Hälfte der mehr als 300 britischen Gemeinden gibt an, dass das Geld nicht reicht. 60 befürchten, in Zukunft pleite zu gehen. Sie alle leiden an einem wenig modernen Finanzierungssystem, dass sie abhängig macht. Denn sie haben begrenzten Einfluss auf ihre Einnahmen.
Britische Regierung stellt weniger Geld
Die kommen im Wesentlichen aus drei Quellen: Lokale Unternehmen zahlen eine Art Steuer auf ihre Immobilien. Und die Bürger eine sogenannte Gemeindesteuer auf ihre Wohnimmobilien, die Council Tax. Bedeutet: Reichere Kommunen generieren mehr Geld, die armen weniger. Erhoben wurde der Wert aller Gebäude 1991 - seitdem hat sich nicht viel an der Besteuerung geändert.
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Und schließlich erhalten die Kommunen noch weiteres Geld aus einem nationalen Topf, den die Regierung allerdings seit Jahren zusammenschrumpft: zwischen 2010 und 2018 um fast 50 Prozent. Das hat viele Kommunen an den Rand gebracht.
Kommunen haben kaum Einfluss auf Einnahmen
Wenn sie darüber hinaus versuchen, sich Einnahmen zu verschaffen, indem sie in Projekte investieren und sich dabei verzocken, dann geraten sie schnell in die Pleite. In Nottingham war es der lokale Energieversorger, den die Stadt betreiben wollte. In Birmingham sind es unvorhergesehene Schulden aus einem Equal-Pay-Gesetz, weil Mitarbeiterinnen der Stadt erfolgreich auf rückwirkende Einkommenszahlungen klagten - etwa 890 Millionen Euro.
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Professor Peter Eckersley von der Universität Nottingham kennt die Ursache für die landesweite Misere von Städten und Gemeinden. Es sei vormodern, wie die Kommunen an ihr Geld kämen, ohne darauf selbst großen Einfluss nehmen zu können. Denn die lokalen Steuern dürften sie nur moderat erhöhen.
Lebenswirklichkeit verfehlt enge Vorgaben
Restriktionen gibt es auch für alternative Einnahmequellen, etwa die Erhöhung von Parkgebühren, so Eckersley. Sie dürften dann nur zweckgebunden etwa in Straßenerneuerung investiert werden. Die Lebenswirklichkeit verfehlen die engen Vorgaben: Während der Bedarf überall steigt, schrumpfen die finanziellen Möglichkeiten. So wie seit langem die Mittel, die die Regierung gewährt.
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Wütende Bürger gegen Regierung
Die Einsparungen treiben viele Bürger in Großbritannien um. In Nottingham organisieren sie sich und ihre Kampagnen gegen die drohenden Schließungen im öffentlichen Leben. Sie werfen der von der Labour-Partei geführten Stadtspitze vor, die klammen Kassen schlecht verwaltet zu haben - und Versagen, als es um Investitionen ging.
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Auf einer Bürgerversammlung mobilisieren sie ihre Kräfte, wild entschlossen zu verhindern, dass die Jugendarbeit in Nottingham massiv zusammengespart wird und etwa in den Grundschulen in Zukunft nicht mehr jeder Jahrgang schwimmen geht, sondern nur noch jeder Zweite.
Auch Leon Conway meldet sich zu Wort. Der pensionierte Geschichtslehrer aus Nottingham fürchtet um die grundlegenden Aufgaben der Stadt.
Mitten in der Erkältungssaison legen die Assistenzärzte in Großbritannien ihre Arbeit nieder - und das so lange wie seit Jahrzehnten nicht.
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Und Tom Unterrainer, auch erfahren mit Bürgerkampagnen, weist darauf hin, dass Nottingham nicht allein ist.
Denn drohende Pleiten breiten sich wie eine Epidemie aus in Großbritannien. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden in einem System, das dringend eine Modernisierung bräuchte - um die Städte vor dem Verfall zu bewahren.