Tödliche Pushbacks? Aufklärung von Griechenland gefordert

    Griechische Küstenwache belastet:Tödliche Pushbacks? Aufklärung gefordert

    von Maximilian Hübner
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    43 Todesfälle von 2020 bis 2023: BBC-Recherchen zeigen die tödliche Politik der griechischen Küstenwache gegenüber ankommenden Geflüchteten. Berlin will eine lückenlose Aufklärung.

    Flüchtlinge in einem Schlauchboot im Mittelmeer (Archivbild)
    Flüchtlinge in einem Schlauchboot im Mittelmeer (Archivbild)
    Quelle: dpa

    Seit Jahren gibt es an Europas Außengrenzen Berichte über Pushbacks, illegale Deportationen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Grenzpolizisten und Frontex. Im Fokus stehen hierbei immer wieder die See- und Landgrenzen zwischen Griechenland und der Türkei. Nun zeigt eine Recherche des britischen Senders BBC, wie tödlich diese Politik ist.
    Zwischen 2020 und 2023 soll es zu 43 Todesfällen durch die griechische Küstenwache gekommen sein. Für die Recherche hat sich der britische Sender 15 Vorfälle genauer angesehen und mit Augenzeugen gesprochen. Diese berichteten der BBC auch, dass Menschen von der Küstenwache ins offene Meer geworfen worden seien. Neun Menschen sollen so gestorben sein.
    Archiv, 28.02.2020: Griechische Migranten in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer
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    Griechische Küstenwache streitet Vorwürfe ab

    Für den österreichischen Menschenrechtsaktivisten Fayad Mulla ist das keine Überraschung und dennoch eine schockierende Bestätigung vieler Schilderungen von den griechischen Inseln.

    Die Veröffentlichungen zeigen, dass Deportationen und Verbrechen - von Kidnapping bis hin zu Mord - Teil des griechischen und europäischen Grenzschutzes sind. Dass dies weiter geleugnet wird, ist eine Farce.

    Fayad Mulla, Menschenrechtsaktivist

    Die griechische Küstenwache streitet die Vorwürfe ab und betont, die Küstenwache handle verantwortungsbewusst und im Sinne der Menschenrechte. Alle Vorwürfe illegaler Aktivitäten weise man klar zurück.
    Im April 2023 gelang es Fayad Mulla erstmals zu dokumentieren, wie die griechische Küstenwache Menschen von europäischem Boden kidnappt und auf hoher See aussetzt. Auch ZDF frontal berichtete.
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    Ex-Offizier der Küstenwache nennt Vorgehen "internationales Verbrechen"

    Monatelang recherchierte Mulla zu Deportationen durch die Küstenwache. Von einer Klippe aus gelang es ihm dann zu filmen, wie maskierte Männer zwölf Personen aus einem Lieferwagen auf ein Schiff der griechischen Küstenwache verschleppen. Bei den Opfern handelte es sich um Familien, zwei Babys waren unter ihnen. Die griechische Küstenwache setzte sie in einer Rettungsinsel aus und überließ sie ihrem Schicksal. Später rettete die türkische Küstenwache die Menschen aus dem Ägäischen Meer.
    Ein Interview der BBC mit einem ehemaligen Offizier der griechischen Küstenwache zeigt jedoch, hinter den Kulissen ist man sich dem eigenen Vorgehen mehr als bewusst. "Ich verstehe nicht, wieso sie das bei Tageslicht gemacht haben. Das ist klar illegal und ein internationales Verbrechen", sagt der Ex-Polizist nach dem Interview auf Griechisch in einem Telefonat mit einem Kollegen. Ihm ist nicht bewusst, dass die Kamera und Mikrofone weiter aufnehmen. Zuvor hatten ihn die britischen Journalisten mit dem Video von Fayad Mulla konfrontiert.

    Gewalt an der EU-Außengrenze ist Teil der griechischen Politik

    Dass die Gewalt an der EU-Außengrenze Teil der griechischen Politik ist, bestätigte ZDF frontal auf Lesbos indirekt auch Kostas Moutzuris, Gouverneur der nordägäischen Inseln:

    Es ist ein delikates Thema, das Pushback. Wenn man jemanden mitten in der Nacht auf hoher See zurückdrängt, kommt es vielleicht zu Unfällen, zu Vorfällen, vielleicht sinken manche Boote, vielleicht kommen manche ums Leben, aber manchmal ist das notwendig.

    Kostas Moutzuris, Gouverneur der nordägäischen Inseln

    Für den Europaabgeordneten Erik Marquardt (Grüne) sind die Recherchen der BBC nun ein weiterer Beleg dafür, dass die Menschenrechte an Europas Außengrenzen systematisch gebrochen werden. Dass es nicht mehr Empörung gibt, schockiert ihn.

    Es geht hier nicht mehr um unterlassene Hilfeleistung, sondern um aktives Töten. Das muss strafrechtliche und politische Konsequenzen haben.

    Erik Marquardt, Europaabgeordneter

    "Wir erleben seit Jahren eine Abwärtsspirale der Gewalt. Wenn die EU-Kommission nicht endlich tätig wird, sollte die Bundesregierung ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten."

    Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus Berichten?

    Auf ZDF-Anfrage teilt das grüne Außenministerium mit: "Jede Art von Grenzschutz muss unter allen Umständen und jederzeit humanitären Standards gerecht werden, den geltenden völker- und europarechtlichen Bestimmungen entsprechen und die europäischen Grundwerte achten." Das Außenministerium sei angesichts der Berichte besorgt und fordert lückenlose und schnelle Aufklärung. Weitere Konsequenzen wie etwa ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland plane man hingegen derzeit nicht.
    Für den Aktivisten Fayad Mulla reicht das nicht aus: "Es kann nicht sein, dass der Täter - hier die griechische Regierung und Küstenwache - aufgefordert wird, sich selbst zu untersuchen. Die Rechtsstaatlichkeit muss endlich wieder hergestellt werden. Ich fordere daher auch die Beendigung des Frontex-Einsatzes in Griechenland."
    Das Bundesinnenministerium hält jedoch am Frontex-Einsatz auch mit Beteiligung deutscher Polizisten fest. Auf ZDF-Nachfrage, welche Konsequenzen es nun geben werde, heißt es aus dem Innenministerium:

    Die Konsequenz ist, dass wir auch in Zukunft auf die strikte Einhaltung der Grund- und Menschenrechte sowie des europäischen Rechts hinwirken. Und das auf allen Ebenen und in allen Gremien.

    Bundesinnenministerium

    EU setzt auf Abkommen mit Drittstaaten

    Um die Migration zu kontrollieren, will die EU derweil auf Abkommen mit Drittstaaten setzten. Die CDU fordert das britische Ruanda-Modell für Deutschland. In einer internationalen Recherche zeigte ZDF frontal zuletzt, dass die Europäer sich dabei auf das Unrechtsregime des ruandischen Präsidenten Paul Kagame einlassen.
    Ruandas Präsident Paul Kagame
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