Gewalt gegen Politiker: Wenn wütende Bürger angreifen
Gewalt gegen Politiker:Wenn wütende Bürger zu Angreifern werden
von Hilke Petersen, Verena Garrett und Steffanie Riess
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Britische Abgeordnete haben Notruf-Knöpfe installiert. In Mexiko und Südafrika müssen Politiker sogar um ihr Leben fürchten.
Abgeordnete aller Parteien im Unterhaus warnen vor steigender Gewalt: Immer mehr Abgeordnete werden in Briefen oder auf Social Media massiv bedroht.05.04.2024 | 2:16 min
Es ist das neue Normal in Großbritannien: Abgeordnete werden bedroht und beschimpft, digital und in der Realität. Steine fliegen durch Fenster von Wahlkreisbüros. Mitunter werden die gleich angezündet. Wütende Bürger werden zu Angreifern.
Dabei kämen die Täter immer häufiger aus der Mitte der Gesellschaft, glauben Abgeordnete, die ins Visier gerieten. Zuletzt immer häufiger, wenn sie sich seit dem Krieg gegen die radikalislamischenHamas öffentlich auf die Seite Israels gestellt hatten. Die politische Stimmung kocht auch im Vereinigten Königreich hoch, seit es regelmäßig zu großen pro-palästinensischen Demos in London kommt.
Vier Tage nach dem Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Ecke wurde nun auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey in Berlin attackiert. Auch in Dresden kam es erneut zu Angriffen, diesmal gegen eine Grünen-Politikerin.08.05.2024 | 3:44 min
Politische Gewalt nimmt zu
John Woodcock ist Großbritanniens Regierungsberater gegen Politische Gewalt und Belästigung. Er weiß um das ansteigende Level gewalttätiger Drohungen.
36 Millionen Euro hat die Regierung kürzlich bewilligt. Geld, das in Sicherheitsmaßnahmen für Abgeordnete investiert werden soll. Viele haben ihre Häuser oder Büros längst mit einem Notruf-Knopf ausgestattet. Doch darüber reden wollen Volksvertreterinnen und Volksvertreter lieber nicht.
Manche sehen gar das Recht auf freie Meinungsäußerung in Gefahr, die Leib und Leben zu bedrohen scheint. Am meisten betroffen sind weibliche Abgeordnete, People Of Colour und die, die sich für LGBT-Rechte einsetzen. Wer in die Politik geht, muss nochmal auf ganz andere Art Mut zur Auseinandersetzung beweisen, als in früheren Generationen. Die Verrohung politischer Kultur in Großbritannien nimmt zu.
Eine Radikalisierung an den Rändern und ein "staatsverächtlicher Grundton in der politischen Mitte" seien Gründe für zunehmende physische Gewalt, sagt Politikwissenschaftler Korte.05.05.2024 | 2:14 min
Südafrika: Angriffe im Wahlkampf längst Alltag
In Südafrika stehen am 29. Mai die Parlaments- und Provinzwahlen bevor und mit ihnen womöglich das Ende der absoluten Mehrheit für die Regierungspartei ANC (African National Congress). Dementsprechend aufgeheizt ist die Stimmung. Die Gewalt auf Kommunalpolitiker und Wahlkämpfer häuft sich, immer wieder kommt es zu gewalttätigen Übergriffen im ganzen Land.
Das Problem der Gewalt gegen Politiker in Südafrika ist kein Neues: 54 Stadträte und über 100 Ratsmitglieder unterschiedlicher Stadtverwaltungen wurden seit dem Jahr 2000 bei gezielten politischen Morden im Land getötet. Besonders betroffen: Politiker des ANC. Eine Partei, die von Korruption und Machtmissbrauch zerfressen ist. Lokale Medienberichte zeigen, dass die Schützen oft von Parteifreunden angeheuert werden, die Rivalen oder Nachfolger zum Schweigen bringen wollen.
Halbherzige Strafverfolgung
Vor fünf Jahren schon wurde eine gerichtliche Untersuchung politisch motivierter Straftaten und Morde abgeschlossen. Geändert hat sich seitdem nichts. Bisher seien keine Abhilfemaßnahmen getroffen worden, sagen Beobachter. Denn einige politische Entscheidungsträger in Südafrika sollen angeblich Attentäter finanziert haben. Eine strafrechtliche Verfolgung also findet kaum statt.
Die, die überleben schweigen fast immer und trauen sich nicht an die Öffentlichkeit. Die Familien der Verstorbenen ziehen aus Angst lieber um, als die Polizei zu unterstützen. Die Drahtzieher werden in den seltensten Fällen identifiziert und zur Rechenschaft gezogen. Viele kommen wohl aus den obersten Reihen.
Ecuador ist zu weiten Teilen von der Drogenmafia durchdrungen. Es gilt als wichtiges Transitland für Kokain. Drogenbanden terrorisieren Staat und Bevölkerung.08.05.2024 | 6:27 min
Mexiko: Gewalttätigste Wahlen in der Geschichte
Auch in Mexiko ist 2024 ein Superwahljahr: Am 2. Juni finden die größten Wahlen in der Geschichte des Landes statt. Über 20.000 öffentliche Ämter werden neu besetzt - vom Präsidenten, über das komplette Parlament, bis hin zu Bürgermeistern und anderen lokalen Posten.
Gleichzeitig zeichnet sich bereits jetzt ab, dass es auch die gewalttätigsten Wahlen jemals werden könnten. Über 30 Kandidaten wurden bereits ermordet, insgesamt haben mehr als 170 Angriffe auf Politiker stattgefunden.
In Mexiko ist ein weiterer Politiker einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Noé Ramos, ein Kandidat für ein Bürgermeisteramt, sei Sicherheitsbehörden zufolge attackiert worden.20.04.2024 | 0:17 min
Drogenkartelle gegen die Politik
Ein Großteil der Gewalt wird dem organisierten Verbrechen zugeschrieben, welches tief mit der Politik verstrickt ist und in einigen Regionen Mexikos de facto die Staatsmacht ersetzt. So sichern sich die Kartelle ihre Interessen, welche längst nicht mehr auf den Drogenhandel beschränkt sind.Sie durchdringen zahlreiche profitable Zweige der mexikanischen Wirtschaft, wie den Handel mit Avocados und Limetten. Dazu kommen kriminelle Tätigkeiten, wie Erpressung, Kidnapping und Menschenhandel.
Wer nicht in ihrem Interesse handelt oder als Bedrohung angesehen wird, weil er als Kandidat etwa Veränderung in Aussicht stellt, riskiert sein Leben. Die Attentäter werden nur in den seltensten Fällen zur Rechenschaft gezogen. Politische Gewalt in Mexiko ist nicht neu, doch in diesem Wahlkampf hat sie neue Dimensionen erreicht.
Mexiko wird seit Jahrzehnten von Gewalt im Zusammenhang mit der Drogenkriminalität erschüttert. Im Bundesstaat Chiapas fliehen Menschenrechtlern zufolge Tausende vor den Banden.