FAQ
Ablauf, Motive und Gesetze:Wie kommt es zum Austausch von Gefangenen?
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Der Westen und Russland tauschen 26 Gefangene aus. Wie kommt es zu so einem Deal? Und darf Deutschland Straftäter einfach entlassen? Die wichtigsten Antworten im Überblick.
Es ist wohl der größte Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit Ende des Kalten Krieges. Eine zentrale Figur: Wadim Krassikow, der sogenannte „Tiergartenmörder“.01.08.2024 | 2:00 min
Russland und mehrere westliche Länder haben bei einem großangelegten Gefangenenaustausch 26 Männer und Frauen freigelassen. Im Gegenzug für eine Überstellung des sogenannten Tiergartenmörders aus Deutschland und weiterer neun in den USA, Norwegen, Polen und Slowenien bisher festgehaltener Personen kamen 16 westliche Staatsbürger und russische Oppositionelle frei.
Wie bahnt sich ein Gefangenenaustausch an? Welche Interessen stecken dahinter - und warum darf Deutschland überhaupt einen verurteilten Mörder aus der Haft entlassen?
Die Antworten auf die wichtigsten Fragen im Überblick.
Russland, die USA und Deutschland wickeln den größten Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg ab. Die ZDF-Korrespondenten aus Moskau, Washington und Berlin ordnen die Lage ein.01.08.2024 | 4:31 min
Wie läuft so ein Austausch praktisch ab?
Da alle einander misstrauen, muss nach der Einigung darüber, wer freikommt, ein von den Beteiligten akzeptierter Ort für die Übergabe der Gefangenen gefunden werden. Im Fall des aktuellen Austauschs von Gefangenen ist dies die Türkei.
Die Türkei ist Nato-Mitglied und hatte mit Russland auch schon schwierige Phasen, beispielsweise weil Moskau und Ankara im Syrien-Konflikt über Jahre auf unterschiedlichen Seiten standen. Zuletzt war aber eine Annäherung zu erkennen. Kremlchef Wladimir Putin traf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Anfang Juli zu einem Gespräch am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.
Die Bundesregierung ist beim Gefangenenaustausch mit Russland einen Weg gegangen, der "juristisch eigentlich nicht dafür vorgesehen ist", sagt ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke.01.08.2024 | 2:10 min
Welche Interessen hat Deutschland dabei?
Einerseits humanitäre Interessen, was die Gefangenen angeht, die in Russland und Belarus teils unter menschenunwürdigen Zuständen festgehalten wurden. Aber da sind auch außen- und sicherheitspolitische Interessen zu berücksichtigen. Denn klar ist, dass die USA, ein wichtiger Partner Deutschlands, hier vorankommen wollten.
Darf Deutschland Straftäter einfach "entlassen"?
Ob sich Deutschland an einem solchen Austausch beteiligt, ist in erster Linie eine politische Entscheidung. Eine rechtliche Grundlage dafür, dass ein Gefangener Deutschland verlassen kann, bietet Paragraf 456a der Strafprozessordnung.
ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke zu den juristischen Fragen um den Gefangenenaustausch.01.08.2024 | 1:20 min
Hier heißt es: "Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (…) absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird."
Hier gibt es einen Ermessensspielraum. Die Entscheidung trifft der Generalbundesanwalt. Allerdings hat das Bundesjustizministerium ihm gegenüber ein Weisungsrecht.
Was hat Putin von dem Austausch?
Als ehemaliger Geheimdienstchef will Putin vor allem zeigen, dass Russen, die im Ausland im Interesse Moskaus arbeiten, mit dem Gesetz in Konflikt kommen und in Haft landen, nicht vergessen werden. "Wir lassen unsere Leute nicht im Stich", lautet ein russischer Spruch.
Der Kremlchef nahm den nun vom Westen ausgelieferten "Tiergartenmörder" wiederholt in Schutz. In Russland gilt Wadim K. vielen als Held, weil er aus Sicht des Machtapparats den Tod Dutzender russischer Sicherheitskräfte gerächt hat. Schon einige Russen, denen schwere Taten im Ausland zur Last gelegt werden, haben nach Rückkehr in ihre Heimat Ehrungen und lukrative Posten erhalten.
Nutzt der Gefangenenaustausch Präsident Putin? Armin Coerper in Moskau. 01.08.2024 | 1:51 min
Welche Bedeutung hat der Austausch für die internationalen Beziehungen?
Trotz des beinahe kompletten Abbruchs der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland als Folge des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat es auch in der Vergangenheit etwa Kontakte wie zum Beispiel bei Gefangenenaustauschen gegeben.
Der aus Russland geflohene Oppositionelle Dmitri Gudkow meinte, der Austausch sei ein erster Schritt hin zu Verhandlungen auch über einen Frieden in der Ukraine. Beide Seiten hätten den Krieg inzwischen satt. Sie hätten einander durch die Ruhe des Verhandlungsprozesses und das Dichthalten gezeigt, dass sie sich an Vereinbarungen hielten. Das sei ein wichtiger Vertrauenstest. Für die US-Demokraten sei das ein wichtiger Erfolg im Präsidentenwahlkampf.
Weitere historische Gefangenenübergaben seit dem Kalten Krieg:
Die US-Basketballerin Brittney Griner wurde am Flughafen von Abu Dhabi gegen den in den USA verurteilten russischen Waffenhändler Viktor Bout ausgetauscht. Die heute 33-Jährige war im Februar 2022 bei ihrer Ankunft an einem Moskauer Flughafen festgenommen worden, eine Woche vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. In ihrem Gepäck waren Kartuschen für E-Zigaretten mit geringen Mengen Cannabisöl gefunden worden. Wegen Drogenschmuggels wurde die Sportlerin zu neun Jahren Haft verurteilt.
Wenige Tage nach Griners Freilassung wurde im Rahmen eines großangelegten Gefangenenaustauschs von russischen und ukrainischen Soldaten auch der US-Bürger Suedi Murekezi freigelassen. Er war wegen der Teilnahme an pro-ukrainischen Demonstrationen im Juni 2022 im russisch besetzten Osten der Ukraine inhaftiert worden.
Wenige Tage nach Griners Freilassung wurde im Rahmen eines großangelegten Gefangenenaustauschs von russischen und ukrainischen Soldaten auch der US-Bürger Suedi Murekezi freigelassen. Er war wegen der Teilnahme an pro-ukrainischen Demonstrationen im Juni 2022 im russisch besetzten Osten der Ukraine inhaftiert worden.
Der ehemalige US-Marineinfanteriesoldat Trevor Reed wurde an einem türkischen Flughafen gegen den russischen Piloten Konstantin Jaroschenko ausgetauscht. Reed war 2019 als Student zusammen mit seiner russischen Freundin nach Russland gereist. Dort wurde er festgenommen, weil er in betrunkenem Zustand zwei Polizisten attackiert haben soll, die zu einer Party in Moskau gerufen worden waren. 2021 war Reed zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Im November des Jahres hatte er einen Hungerstreik begonnen.
Jaroschenko war 2010 im westafrikanischen Liberia wegen Drogenschmuggels festgenommen worden. Anschließend wurde er in die USA ausgeliefert und dort zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Jaroschenko war 2010 im westafrikanischen Liberia wegen Drogenschmuggels festgenommen worden. Anschließend wurde er in die USA ausgeliefert und dort zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Am 9. Juli wurden am Flughafen der österreichischen Hauptstadt zehn russische Geheimdienstagenten von den USA an Russland übergeben, das seinerseits vier US-Spione freiließ. Es war damals der größte Gefangenenaustausch seit Ende des Kalten Krieges. Die Übergabe geschah binnen 15 Minuten: Die Flugzeuge mit den Spionen parkten nebeneinander, die Agenten wurden mit Bussen an das jeweils andere Land übergeben und die Maschinen hoben wieder ab.
Unter den von den USA übergebenen Spionen war auch Anna Chapman, die sich seither gekonnt als "Femme fatale" inszenierte und in Russland zum Medienstar aufstieg.
Und auch der Name einer der US-Spione tauchte später wieder auf: Unter den Agenten, die 2010 von Moskau an Washington übergeben wurden, war Sergej Skripal, der 2018 zusammen in England vergiftet wurde und überlebte.
Unter den von den USA übergebenen Spionen war auch Anna Chapman, die sich seither gekonnt als "Femme fatale" inszenierte und in Russland zum Medienstar aufstieg.
Und auch der Name einer der US-Spione tauchte später wieder auf: Unter den Agenten, die 2010 von Moskau an Washington übergeben wurden, war Sergej Skripal, der 2018 zusammen in England vergiftet wurde und überlebte.
Bis zum Ende des Kalten Krieges tauschten die USA und Russland vor allem Spione aus - in der Zeit berühmt geworden ist die "Brücke der Spione", die Glienicker Brücke in Potsdam, die damals West-Berlin mit der DDR verband. Der erste wichtige Gefangenenaustausch dort war der zwischen dem berühmten Sowjet-Spion und KGB-Oberst Rudolf Abel und dem US-Piloten Gary Powers am 10. Februar 1962. Ihre Geschichte wurde 2015 von Steven Spielberg im Film "Bridge of Spies - Der Unterhändler" verfilmt.
Am 11. Juni 1985 fand auf der Glienicker Brücke der laut US-Angaben bisher größte Gefangenenaustausch statt: 25 Gefangene, die in Ostdeutschland und Polen einsaßen, wurden mitsamt ihren Familien gegen vier in den USA verurteilte Agenten aus Osteuropa getauscht.
Als spektakulärste Übergabe gilt jedoch die vom 11. Februar 1986, als der sowjetische Dissident Natan Scharansky gegen das in den USA inhaftierte tschechische Agentenpaar Karl und Hana Köcher sowie drei weitere in Westdeutschland festgehaltenen Spione ausgetauscht wurden.
Am 11. Juni 1985 fand auf der Glienicker Brücke der laut US-Angaben bisher größte Gefangenenaustausch statt: 25 Gefangene, die in Ostdeutschland und Polen einsaßen, wurden mitsamt ihren Familien gegen vier in den USA verurteilte Agenten aus Osteuropa getauscht.
Als spektakulärste Übergabe gilt jedoch die vom 11. Februar 1986, als der sowjetische Dissident Natan Scharansky gegen das in den USA inhaftierte tschechische Agentenpaar Karl und Hana Köcher sowie drei weitere in Westdeutschland festgehaltenen Spione ausgetauscht wurden.
Quelle: ZDF
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Quelle: AFP, dpa