Kinder im Gaza-Krieg: Wenn Hilfe nicht helfen darf

    Hürden für Hilfsorganisation:Kinder in Gaza: Wenn Hilfe nicht helfen darf

    Redakteur Peter Böhmer, ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.
    von Peter Böhmer
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    Viele schwer verletzte Kinder werden jedes Jahr vom Friedensdorf International aus Kriegsgebieten zur Behandlung nach Deutschland geholt. Doch bei Kindern aus Gaza gibt es Hürden.

    Palästinensische Kinder vor den Trümmern in Rafah
    Kinder in Rafah: Der Bedarf an medizinischer Hilfe für Zivilisten im Gazastreifen und speziell für Kinder und Jugendliche ist groß. (Archivbild)
    Quelle: Mohammed Salem/Reuters

    Das "Friedensdorf International" ist eine Hilfsorganisation, die nach dem Sechs-Tage-Krieg im Nahen Osten 1967 gegründet wurde. In Oberhausen hat die Organisation ein Heim, hier schliesst sich nach der medizinischen Behandlung in Krankenhäusern in ganz Europa eine bis zu einjährige Reha für Kinder aus Krisenregionen an.
    Momentan sind hier 170 Kinder untergebracht - aus Afghanistan, Angola oder Tadschikistan oder auch aus kurdischen Gebieten. "Wir würden gerne auch Kinder aus Gaza holen", sagt Claudia Peppmülller vom Friedensdorf, "aber das ist derzeit unmöglich". Das verhindert eine komplizierte Mischung aus Bürokratie und politischen Ängsten - in Ägypten und in Deutschland.
    Kinder aus Kriegsgebieten im Friedensdorf in Oberhausen
    Kinder aus Kriegsgebieten im Friedensdorf International in Oberhausen. (Archivbild)
    Quelle: Friedensdorf International

    Schwer verletzte Kinder aus Gaza nach Ägypten

    Zunächst: Der Gazastreifen ist dicht, niemand kommt raus, speziell seitdem die israelische Armee seit Anfang Mai den Grenzübergang Rafah an der Grenze zu Ägypten überwacht. Israel will verhindern, dass über Rafah unter anderem Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt werden könnten.
    Vor der Schliessung kamen etwa 100.000 Menschen raus aus Gaza - aus humanitären Gründen. Oft ging das nur mit viel Geld, viele zahlten horrende Summen an eine ägyptische Reiseagentur. Diese Menschen leben nun in Ägypten, darunter viele schwer verletzte Kinder.
    Und um diese Kinder geht es dem Friedensdorf. Denn in Ägypten fehlt es oft an Medikamenten wie Antibiotika oder Prothesen. Unter den Kindern, sagt Peppmüller, seien auch solche mit nicht durch den Krieg verursachten Indikationen: Krebserkrankungen etwa, Behinderungen, Lungenkrankheiten.
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    Kinder aus dem Gazastreifen können nicht nach Deutschland

    700 solcher Kinder kämen für eine Hilfsaktion infrage, die seien aber von im Schnitt sieben bis acht Familienmitgliedern begleitet - ganze Familien seien also nach Ägypten geflohen. "Das Problem ist die Begleitung der Kinder", sagt Claudia Peppmüller.

    Die Ägypter lassen ein Kind nur mit einer Begleitperson aus dem Land - und danach aber nicht wieder ins Land. Die deutschen Behörden lassen dagegen die Begleitperson nicht ins Land.

    Claudia Peppmüller, Friedensdorf International

    Und so kommt eben kein Kind aus dem Gazastreifen nach Deutschland.

    Bundesregierung: Einreise nur ohne Begleitperson

    Anfrage bei der Bundesregierung. Dort wird mitgeteilt: "Eine Evakuierung nach Deutschland wäre für Kinder unter zwölf Jahren grundsätzlich möglich. Die Projektpartner müssten dabei jedoch sicherstellen, dass eine Einreise zur Behandlung in Deutschland ohne Begleitpersonen mit Ausnahme von medizinischem Personal erfolgen kann."
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    Auf die Frage nach den Gründen, warum eine Begleitperson - etwa Vater oder Mutter - nicht einreisen darf, gibt es keine Antwort. Aber einen Hinweis. Denn es heisst auch, dass das Bundesinnenministerium und das Aussenministerium in Abstimmung darüber stehen, "unter welchen Voraussetzungen in Ausnahmefällen auch eine Einreise von weiblichen Begleitpersonen realisiert werden kann".

    Peppmüller: Begleitpersonen würden Asyl beantragen

    Warum von weiblichen Begleitpersonen? "Die deutschen Behörden befürchten wohl, dass mit den Kindern entweder Terroristen eingeschleust werden könnten, oder die Begleitpersonen Asylanträge stellen", sagt Claudia Peppmüller. Und das sei auch nicht von der Hand zu weisen: "Es ist ja klar, dass die in Deutschland Asyl beantragen würden."
    Schon allein deshalb, weil Ägypten die Kinder nicht mehr ins Land liesse. Denn Ägypten hat selber innenpolitischen Druck durch Hunderttausende Flüchtlinge, etwa aus dem Sudan. Das sei man froh über jeden, der geht.
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    Friedensdorf hofft auf Hilfsprojekt vor Ort

    Sollte etwa einer Mutter eines betroffenen Kindes doch die Einreise nach Deutschland erlaubt werden, müsste Friedensdorf International eine Garantie-Erklärung unterschreiben.

    Wir wären dann für alle Folgekosten verantwortlich, wir müssten bürgen - und wenn dann ein Familiennachzug kommt, ist das ein nicht zu überschauendes finanzielles Risiko für uns.

    Claudia Peppmüller, Friedensdorf International

    Es sei auch offensichtlich, dass die Kinder aus Hamas-Familien kommen. "Für uns ist das aber nicht ausschlaggebend: "Das sind Menschen, die Hilfe brauchen. Und die Kinder können ja nichts für ihre Eltern."
    Was also tun? Das Friedensdorf hat in Kairo nun beim Gesundheitsministerium und dem Sozialministerium vorgesprochen, die Idee: Hilfe direkt vor Ort. Das Angebot blieb bisher ohne jede Resonanz.

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