Journalisten im Gazastreifen: Tod nach Drohnenflug

    Krieg im Gazastreifen:Journalisten in Gaza: Tod nach Drohnenflug

    von Maria Retter, Youssr Youssef, Hoda Osman
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    Die Zerstörung im Gazastreifen ist gewaltig - doch wer sie als Journalist mit einer Drohne dokumentiert, kann selbst zur Zielscheibe werden. Eine Rekonstruktion mit 3D-Modellen.

    Gazastreifen
    Gazastreifen: Modellierung des Flüchtlingslagers Dschabaliya.
    Quelle: CESIUM ion

    Trümmer, soweit das Auge reicht. Wo einst Menschen Obst verkauften, Autos rangierten und Kinder spielten, klaffen nun Löcher. Viele Gebäude sind bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Die Fassaden, die noch stehen, sind oft von Schüssen durchsiebt. 
    In Gaza herrscht noch immer Krieg. Ein Krieg, der mit dem brutalen, von der Terrororganisation Hamas orchestrierten Massaker am 7. Oktober 2023 begann. Ein Krieg, der inzwischen über 50.000 Menschen das Leben kostete und mindestens 1,9 Millionen Menschen in Gaza aus ihrem Zuhause vertrieb. Laut den Vereinten Nationen wurden über 90 Prozent aller Gebäude in dem Landstrich zerstört oder beschädigt. 
    Drohnenbilder zeigen die Zerstörung im Gazastreifen.
    Weite Teile des Gazastreifens liegen in Schutt und Asche. Drohnenaufnahmen vom Februar zeigen die massive Zerstörung in Beit Lahiya, einer Stadt im Norden des Gazastreifens.26.03.2025 | 0:59 min

    Palästinensische Journalisten getötet, die Drohne nutzten

    Das wahre Ausmaß der Zerstörung lässt sich wohl am besten von oben begreifen, aus der Vogelperspektive, mit Hilfe von Drohnen. Doch wer in Gaza eine Drohne steigen lässt, riskiert sein Leben: In den vergangenen Monaten wurden mehrfach palästinensische Journalisten getötet, die Drohnen für ihre Arbeit nutzten. Auch in Gaza gehöre deren Einsatz zum professionellen Standard für Journalisten, heißt es beim Committee to Protect Journalists.

    Mehr als 170 Journalisten und Medienschaffende wurden laut dem Committee to Protect Journalists (CPJ) seit Oktober 2023 im Gazastreifen getötet. Ausländischen Berichterstattern verwehrt die israelische Armee regelmäßig den unbegleiteten Zutritt. Die Bilder, die die Weltöffentlichkeit erreichen, kommen daher meist von Menschen vor Ort, von Journalisten wie Mustafa Thuraya. Er war laut Informationen von ZDF frontal der erste Journalist, der im aktuellen Gazakrieg starb, nachdem er eine Drohne steigen ließ.

    Das israelische Militär erklärte dazu, "einen Terroristen" identifiziert und getötet zu haben, der ein Flugobjekt gesteuert habe, das eine "unmittelbare Bedrohung" für die Soldaten dargestellt habe. Allerdings war die Drohne laut Recherchen der Washington Post bereits eine Viertelstunde nicht mehr in der Luft, als die Armee zuschlug, laut einer Analyse von Bellingcat waren zu jenem Zeitpunkt keine israelischen Soldaten in einem Umkreis von fünf Kilometern.

    Insgesamt konnten fünf Fälle rekonstruiert werden, in denen Journalisten kurz vor ihrem Tod mit Drohnen filmten. Mehrere von ihnen arbeiteten für große Nachrichtenagenturen wie Reuters und AFP. Gespräche mit israelischen Quellen, darunter ein ehemaliger Militärstaatsanwalt und ein Reservist, legen nahe: Wer in Gaza eine Drohne steigen lässt, riskiert offenbar, zum legitimen Ziel Israels zu werden. Das israelische Militär erklärt, es greife weder Journalisten noch aus journalistischen Zwecken eingesetzte Objekte gezielt an. "Tragischerweise sind Zivilisten, darunter auch Journalisten, infolge des Konflikts zu Schaden gekommen" teilt die israelische Armee (IDF) auf Nachfrage mit. Die IDF ergreife alle machbaren Maßnahmen, um den Schaden für Zivilisten, einschließlich Journalisten, zu verringern. Manche Medienorganisationen gehen inzwischen so weit, deswegen keine Drohnenaufnahmen von Gaza mehr in Auftrag zu geben.

    Arbeiten unter Lebensgefahr - Modelle der Flüchtlingslager

    Im Rahmen der von der Journalisten-Organisation Forbidden Stories koordinierten Recherche "Gaza Project", an der neben ZDF frontal mehr als 40 Journalistinnen und Rechercheure von insgesamt zwölf Medienhäusern beteiligt waren, hat das Recherchekollektiv Bellingcat eine neuartige Technik für die 3D-Modellierung der Landschaft verwendet. So lässt sich rekonstruieren, was palästinensische Journalisten nur noch unter Lebensgefahr zeigen können. 
    Am 17. Februar 2024 gehen Drohnenaufnahmen des Journalisten Abdallah al-Hajj um die Welt. Sie zeigen das Viertel Al-Shati - oder besser gesagt, das, was noch übrig ist. Al-Hajj arbeitete für die palästinensische Zeitung Al-Quds und als Videojournalist für die Vereinten Nationen (UN). Das palästinensische Hilfswerk der UN teilt das Video von al-Hajj auf X, ehemals Twitter. Millionen Menschen sehen es. 
    Wenige Tage später gerät Al-Hajj ins Visier der israelischen Armee, kurz nachdem er abermals eine Drohne in Al-Shati steigen ließ, so erzählt er es dem Recherche-Konsortium.

    Die Technik, die hier zum Einsatz kam, heißt Photogrammetrie. Während Satellitenbilder oft schwer interpretierbar und in ihrer Auflösung begrenzt sind, ermöglichen die 3D-Modelle den Betrachtern, sich in die Umgebung hineinzuversetzen. Details wie Krater oder die Berge von Schutt, die zurückbleiben, wenn ein Wohnhaus in sich zusammensackt, werden greifbar. Die Modellierung basiert sowohl auf Satellitenbildern des Anbieters Planet, als auch auf Drohnenaufnahmen, die während des zweimonatigen Waffenstillstandes im März entstanden. Das Konsortium entschied sich für die Modellierung von zwei Flüchtlingslagern: Dschabaliya und Al-Shati. Es wurden die Programme Agisoft Metashape und Cesium verwendet.

    IDF bestreitet Vorwurf gezielter Tötungen von Journalisten

    Der Welt zu zeigen, unter welchen Bedingungen die Zivilbevölkerung in Gaza leben müsse, sei extrem wichtig, sagt die UN-Sonderberichterstatterin für freie Meinungsäußerung, Irene Khan. Dass im Krieg Fehler passieren können, sei nachvollziehbar. Dennoch brauche es Aufklärung. Fälle, in denen Journalisten nicht unmittelbar getötet wurden, sondern nachdem sie filmten, müssten untersucht werden.
    Das israelische Militär versichert auf Nachfrage, dass einige der Todesfälle untersucht würden - bislang wurde jedoch keine einzige Ermittlung abgeschlossen. Die Vorwürfe, Journalisten gezielt zu töten, weist die Armee vehement von sich.

    Mit Drohnen filmen - im Gazastreifen lebensgefährlich

    Indes wagen es immer weniger Journalisten, mit Drohnen im Gazastreifen zu filmen. Einer von ihnen ist Mahmoud Islim Al-Basos. Er produzierte Anfang März, während des Waffenstillstandes, die Aufnahmen, die für diese Recherche genutzt wurden. Zu diesem Zeitpunkt und an den dafür genutzten Orten schien das Risiko dafür kalkulierbar. 
    Doch wenige Tage später wurde auch Al-Basos, der unter anderem auch für die Nachrichtenagenturen Reuters und Anadolu tätig war, bei einem israelischen Angriff getötet. Die israelischen Streitkräfte rechtfertigen den Militärschlag, bei dem mindestens sechs weitere Menschen getötet wurden, damit, gegen Terroristen vorgegangen zu sein.
    Ein Sprecher der israelischen Armee erklärte auf X, dass einer der Getöteten am Massaker des 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sei. Die Gruppe hätte beabsichtigt, mit der Drohne israelische Truppen anzugreifen. Belege dafür legte das Militär nicht vor. Auf mehrmalige Nachfrage vonseiten des Konsortiums verwies das israelische Militär auf diese Stellungnahme und wollte sich darüber hinaus nicht äußern.
    *Quelle: Forbidden Stories/Mahmoud Isleem Al-Basos. Photogrammetrie Modelle: Bellingcat/Thomas Bordeaux
    Verwundete aus verschiedenen Gegenden von Gaza-Stadt treffen im Arab High Hospital ein
    Ein Jahr dauert der Krieg in Gaza bereits an, und die internationale Kritik am Vorgehen Israels ist groß. Aus Deutschland dagegen kommt wenig Kritik.15.10.2024 | 10:30 min

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    Quelle: dpa

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