Tote Deutsche in Gaza:Bedingungslos an Israels Seite?
von Julia Theres Held und Salim Sadat
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Im Nahost-Konflikt gerät die Bundesregierung immer wieder in den Fokus, weil sie Kritik am Verbündeten Israel scheut. Dabei sind auch deutsche Bürger in Gaza ums Leben gekommen.
Ein Jahr dauert der Krieg in Gaza bereits an, und die internationale Kritik am Vorgehen Israels ist groß. Aus Deutschland dagegen kommt wenig Kritik.15.10.2024 | 10:30 min
Hamza Aljabali kann es noch immer nicht glauben. Auf dem Tisch vor sich hat er alte Fotos ausgebreitet. Fotos, die ihn gemeinsam mit seinem besten Freund zeigen, beide in weißen Kitteln, im Medizinstudium. Junge Männer - hoffnungsvoll der Zukunft entgegenblickend.
"Er war ein guter Arzt", erzählt der 38-Jährige im Gespräch mit ZDF frontal. "Er hatte gerade seine Facharztprüfung abgeschlossen und wollte eine neue Stelle als Anästhesist antreten."
Deutsch-Palästinenser in Gaza getötet
Doch sein bester Freund ist tot. Mit seiner Frau und den vier Kindern war der Deutsch-Palästinenser Youssef Abujadallah im September 2023 nach Gaza gereist. Kurz vor dem Antritt seiner neuen Stelle als Arzt auf einer Dortmunder Intensivstation wollte die Familie Eltern und Geschwister besuchen. Wochen vor dem grausamen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, Wochen bevor der Krieg ausbrach.
Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
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Doch als Israel auf die Angriffe reagiert und die ersten Bomben fallen, steckt die Familie in Gaza fest. Hamza Aljabali liest die letzte Nachricht vor, die ihm der Freund kurz vor seinem Tod geschrieben hatte: "Er hat geschrieben: Hallo Hamza. Du kannst dir nicht vorstellen, was hier passiert, jeden Tag so viele Leichen auf dem Boden. Jeden Tag wird hier und da und da bombardiert."
Hamza Aljabali holt weitere Fotos hervor, zeigt Bilder der Familie, zählt die Namen der Kinder auf. Vom zehnjährigen Salahuddin und dem achtjährigen Mohammed, die in Nordhorn zur Grundschule gegangen sind. "Und das ist Abulrahman, drei Jahre alt, der war noch in der Kita. Und das Omar, neun Monate alt. Sie sind alle tot."
Vor einem Jahr wurde Israel von der Hamas überfallen. Doch von der anfangs viel bekundeten Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft ist in Deutschland wenig übrig geblieben.08.10.2024 | 9:46 min
Völkerrechtler macht Israel schwere Vorwürfe
Satellitenbilder und Videos lassen erahnen, was am 25. Oktober 2023 geschah. Die Bilder zeigen ein zerstörtes Wohngebäude in Nuseirat, im Zentrum des Gazastreifens, in das sich die Familie geflüchtet hatte. Auch ein Aufruf des israelischen Militärs ist im Netz noch immer zu finden, der die Bevölkerung auffordert, aus Kampfgebieten ins Zentrum des Gazastreifens zu fliehen.
Bis zu 40 Menschen seien bei dem israelischen Raketenangriff ums Leben gekommen, sagt der Völkerrechtler Alexander Schwarz vom European Center for Constitutional and Human Rights, der die Familie Abujadallah vertritt und dem israelischen Militär schwere Vorwürfe macht. Es habe sich bei all diesen Personen um Zivilisten gehandelt, so Schwarz. "Das heißt, es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass hier ein militärisches Ziel vorlag."
Orte im Gazastreifen
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Der Luftschlag habe der Hamas gegolten, erklärt dagegen die Botschaft des Staates Israel. Das israelische Militär unternehme große Anstrengungen, um zivile Verluste zu vermeiden. Zivilisten seien niemals selbst Ziel eines Angriffs. Man halte sich an die Regeln des Kriegsvölkerrechts. Belege für eine Hamas-Infrastruktur allerdings liefert die Botschaft auch auf Nachfrage nicht.
Jihia al-Sinwar galt als Drahtzieher des Terrorangriffs vom 7. Oktober 2023 in Israel. Nun erklärte die israelische Regierung den Hamas-Führer für tot.18.10.2024 | 2:39 min
Doch in der Kritik steht nicht allein das israelische Militär. Bei der Familie Abujadallah handele es sich um sechs deutsche Staatsbürger, die bei einem möglicherweise völkerrechtswidrigen Angriff ums Leben gekommen seien, so Alexander Schwarz.
Es gebe daher eine Ermittlungspflicht der Bundesanwaltschaft. Diese aber habe verlautbaren lassen, dass sie sich selbst für nicht zuständig betrachte. "Sie sieht also keine Anhaltspunkte für ein Kriegsverbrechen", sagt Schwarz.
Strafgerichtshof prüft Haftbefehle
Der Vorwurf wiegt schwer. Stimmt es, dass Deutschland nicht ermittelt, weil Israel auf der Anklagebank sitzt? Dass Deutschland lieber wegsieht, obwohl Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch oder auch die UN Israel Kriegsverbrechen vorwerfen?
Nicht nur der Internationale Strafgerichtshof prüft Haftbefehle gegen Mitglieder der israelischen Regierung, unter ihnen Premierminister Benjamin Netanjahu. Auch ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs attestiert der Politik Israels in den besetzten Gebieten im Westjordanland Völkerrechtsbruch.
Auf die Kritik angesprochen, dass Deutschland in Anbetracht dieser Vorwürfe untätig bleibe, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unter anderem in der Sommerpressekonferenz: "Die Kriegsführung muss den Kriterien des internationalen Völkerrechts entsprechen. Dem folgen wir auch unverändert."
Stellt Deutschland Staatsräson über Völkerrecht?
Der Göttinger Völkerrechtler Kai Ambos wirft Deutschland aber vor, die sogenannte Staatsräson über das Völkerrecht zu stellen. "Wir schauen auf Israel aus unserer historisch geprägten Brille, der Täter des Holocaust. Und die Frage ist halt, ob man auf so einer Grundlage eine Außenpolitik machen kann und vor allem, ob die noch vermittelbar ist."
Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson, sagt Berlin. Doch was bedeutet das nach dem Angriff Irans auf Israel? Und wie viel Kritik an Israels Vorgehen ist angemessen?14.04.2024 | 3:46 min
Es könne nicht sein, so Ambos, dass die Staatsräson das Völkerrecht verdrängt. In einem Rechtsstaat müsse das Völkerrecht die Außenpolitik bestimmen.
Scholz: "Prozess hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung"
Bei der Pressekonferenz mit Joe Biden am Freitag wurde Olaf Scholz grundsätzlich: "Unser Ziel bleibt ein glaubwürdiger, politischer Prozess hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Dafür engagieren wir uns mit voller Kraft."
Deutschland habe seinen Freund im Stich gelassen, so empfindet es Hamza Aljabali. Ob aus politischen Motiven oder Desinteresse. Das wisse er nicht. Er hofft nur, dass der Tod der Familie doch noch irgendwann aufgearbeitet wird.
Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.