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Analyse
G20-Gipfel in Brasilien:Abschied von Biden oder Abschied von Amerika?
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Es ist Joe Bidens letzter G20-Gipfel. Sein weltpolitisches Vermächtnis und Amerikas Bekenntnis zum Multilateralismus sind in Frage gestellt – weil Donald Trump bald übernimmt.
Wir wissen nicht, ob er es offen aussprechen wird, zumindest hinter den Kulissen des G20-Gipfels in Rio. Aber eigentlich müsste Joe Biden sagen: "Amerika ist dann mal weg, viel Glück!" So richtig hatten sie dem US-Präsidenten ja alle nicht geglaubt, als er nach seinem Amtsantritt 2021 versprochen hatte "America is back". Einige, so ist es überliefert, sollen ihn damals gleich gefragt haben: "Für wie lange?"
USA auf der Weltbühne - was Biden geschafft hat
Nun waren es also nur vier Jahre, in denen Biden dennoch einiges in Bewegung gebracht hat, um das Vertrauen der Welt in die USA zurückzugewinnen: der Wiedereintritt in das Pariser Klimaschutzabkommen, der Verbleib in der Weltgesundheitsorganisation, Finanzspritzen für wichtige Einrichtungen und Initiativen der Vereinten Nationen, die Wiederbelebung der Nato und die Schaffung neuer Bündnisse wie das Indopazifische Wirtschaftsforum und die strategische Allianz zwischen Japan, Südkorea und den USA.
Am wichtigsten aber ist wohl die Vorreiterrolle Amerikas bei der "Partnerschaft für Globale Infrastruktur und Investitionen", mit der die G7-Industrienationen gemeinsame, meist länderübergreifende Projekte mit Staaten des Globalen Südens vorantreiben. Die USA haben sich verpflichtet, von den versprochenen 600 Milliarden Dollar bis 2027 allein ein Drittel, also 200 Milliarden Dollar, beizusteuern.
Finanzielle Zusagen an den Globalen Süden - aber kein Vertrauen
Das passt bestens zu der Initiative, die bei den letzten zwei G20-Gipfeln von den Gastgebern Indonesien und Indien gestartet und nun bei den Treffen in Brasilien und im nächsten Jahr in Südafrika massiv ausgebaut werden sollen - eine neue Systematik bei der Kreditvergabe im Gesamtvolumen von rund 200 Milliarden Dollar für Entwicklungsprojekte.
In Rio wird der US-Präsident auch die erwarteten Beschlüsse zur Bekämpfung des Hungers in der Welt mit finanziellen Zusagen flankieren. Die Vereinigten Staaten, das kann man wohl sagen, sehen den Globalen Süden als Partner auf Augenhöhe, und doch ist es Joe Biden nicht gelungen, wirklich das Vertrauen der Schwellen- und Entwicklungsländer zu gewinnen. Denn sein Fokus auf den Wiederaufbau der Industriebasis in den USA erforderte eine protektionistische Politik und eine tiefe Abneigung gegen Handelsabkommen, auf die viele Staaten gehofft hatten.
Chance für Donald Trump
Eigentlich wäre das eine riesige Chance für den neuen Mann im Weißen Haus. Donald Trump, der sich selbst ja als genialer Dealmaker sieht, könnte eine Offensive von bilateralen, lukrativen Handels-Deals starten. Ihm wäre es - anders als Biden - dabei wohl auch nicht wichtig, ob sich seine Partner demokratischen Grundprinzipien, den Menschen- und Bürgerrechten verpflichtet fühlen.
Regierungen in Südamerika, Afrika und Asien hätten sicher großes Interesse. Trump könnte sich 2026, wenn er selbst Gastgeber des G20-Gipfels ist, in den Erfolgen sonnen. Aber alle in Rio rechnen eher mit dem Gegenteil.
Seine "America First"-Politik mit Strafzöllen auf Waren aus aller Welt, mit seiner fremdenfeindlichen, herabwürdigenden Rhetorik - afrikanische Länder bezeichnete er ja mal als "Shithole Countries" - und mit der geplanten Massendeportation von Millionen illegaler Zuwanderer nach Mittel- und Südamerika könnte er alles zerstören, was Joe Biden im Verhältnis zum Globalen Süden mühsam vorangebracht hat. Multilaterale Foren wie der G20 könnten in Frage gestellt werden.
Experte: Trump könnte Weltwirtschaft "zum Absturz bringen"
Der Politikwissenschaftler Max Bergmann vom "Center for Strategic and International Studies" erwartet unter Trump "echtes Chaos", in dem viele Länder die USA nicht als verlässlichen Partner sehen würden.
Wir könnten eine Trump-Administration erleben, die das Weltwirtschaftssystem mit hohen Strafzöllen zum Absturz bringen würde. Russland und China könnten versuchen, die Instabilität für ihre Zwecke zu nutzen.
Max Bergmann, Politikwissenschaftler
Jedes Land gehe dann nur noch seinen eigenen Weg, es fehle an Ordnung und Zusammenhalt im Umgang miteinander. "Es wäre sehr viel schlimmer für die Welt und für die Menschen, die in ihr leben."
Genau das treibt auch die Teilnehmer des G20-Gipfels um. Zwar heißt es aus der deutschen Delegation, man dürfe sich "nicht kirre machen" lassen, aber alle hier in Rio quält die Ungewissheit: Verabschieden sich die USA mit Trumps Comeback aus jeder multilateralen Verantwortung? Falls jemand diese Frage offen ausspricht, könnte Joe Biden ja wirklich sagen: "Amerika ist dann mal weg, viel Glück!"
Quelle: dpa
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