Ukraine-Krieg: Wer hat den Frieden wirklich verhindert?

    Analyse

    Trump übernimmt Kreml-Narrativ:Ukraine: Wer Frieden wirklich verhindert hat

    von Jan Schneider, Nils Metzger
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    Donald Trump gibt der Ukraine Mitschuld am Andauern des Kriegs. Gab es bereits Gelegenheiten für Verhandlungen und Frieden? Wer hat sie verhindert und was ist Putins Propaganda?

    Fotomontage: Trump und Putin
    Hätte es in Russlands Krieg gegen die Ukraine längst einen Frieden geben können? Die Antwort im ZDFheute-Backgroundcheck.24.06.2024 | 18:37 min
    Es ist ein neuer Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen den USA und der Ukraine. Die Gespräche mit Russland in Saudi-Arabien lobte Donald Trump als "sehr gut" und "Russland will etwas tun". Zugleich gab Trump dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj praktisch die Schuld dafür, dass der von Russland im Februar 2022 gestartete Angriffskrieg weiterhin andauert.
    "Ihr hättet es nie anfangen sollen. Ihr hättet einen Deal machen können", sagte Trump bei einer Pressekonferenz in Florida. Es gebe in Kiew "eine Führung, die einen Krieg zugelassen hat, den es nie hätte geben dürfen". Er verwies ebenfalls auf angeblich schlechte Umfragewerte Selenskyjs. Seit Jahren ist es einer der zentralen Inhalte russischer Propaganda, die ukrainische Führung als illegitim und verantwortlich für Russlands Überfall darzustellen. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Kiew warf Selenskyj Trump vor, russische Propaganda übernommen zu haben:

    "Mit allem gebührenen Respekt für Präsident Donald Trump (...) - er lebt in einer Blase der Desinformation.

    Wolodymyr Selenskyj, ukrainischer Präsident

    Was behauptet Russland?

    Während Russland seine Angriffe in der Ukraine ständig fortsetzt, behauptet Putin gleichermaßen, offen für diplomatische Verhandlungen und eine Lösung des Konflikts zu sein. Praktisch laufen die Forderungen aber auf eine Kapitulation Kiews, einen weitreichenden Gebietsverzicht und ausbleibenden Sicherheitsgarantien für die Zeit danach hinaus.
    Sowohl in offiziellen Beschlüssen wie medialen Auftritten machen verschiedene Vertreter der russischen Führung seit Jahren deutlich, dass sie die politische wie auch kulturelle Souveränität der Ukraine nicht anerkennen.
    Steve Witkoff, US-Sondergesandter für den Nahen Osten, Außenminister Marco Rubio, Nationaler Sicherheitsberater Michael Waltz (L-R), Russlands Außenminister Sergej Lawrow und Präsidentenberater Juri Uschakow (R-L) führen bilaterale Gespräche im Diriyah-Palast, Al Basateen-Komplex. Im Hintergrund Prinz Faisal bin Farhan Al Saud, Außenminister von Saudi-Arabien, und der nationale Sicherheitsberater Musaed bin Mohammed Al-Aiban (L-R).
    Beim Treffen zwischen den USA und Russland wurde über die Ukraine gesprochen – aber nicht mit ihr. Das stößt beim ukrainischen Präsidenten auf starke Kritik.19.02.2025 | 2:25 min

    Wie verliefen bisherige Verhandlungen?

    Wie in vielen bewaffneten Konflikten gibt es auch zwischen Russland und der Ukraine weiterhin Gesprächskanäle. Dabei geht es nicht um Frieden, sondern primär um humanitäre Fragen. Während der Belagerung von Mariupol etwa um Korridore zur Evakuierung von Zivilisten. Auch der Austausch von Gefangenen wird weiterhin über solche Kanäle organisiert.
    Auch bei dem zwischen Juli 2022 und Juli 2023 bestehenden Getreide-Abkommen fanden beide Konfliktparteien unter türkischer Vermittlung zusammen. Es ist also falsch, dass beide Seiten gar nicht miteinander reden würden.
    Weitreichende politische Verhandlungen über eine Konfliktbeilegung knüpfte Wladimir Putin bislang stets an Bedingungen, die von Kiew kaum zu akzeptieren sind und einer Aufgabe gleichkämen. Eine geplante Serie an diplomatischen Gesprächen in der Schweiz ab Juni 2024 versuchte Russland mit allen Mitteln zu torpedieren - weil man zum ersten Termin mit 92 Nationen nicht eingeladen war und weil die Anliegen der Ukraine dort zu viel Rückhalt bekamen. Moskau setzt weiter auf die militärische Lösung des Konflikts, diplomatische Initiativen verfolgten mehr das Ziel, Spaltungen unter den Unterstützern der Ukraine zu fördern.
    David Sauer
    Die Amerikaner sprächen nun über "Handel und Wirtschaft, als ob gar nichts gewesen wäre", ohne russische Eingeständnisse, berichten ZDF-Korrespondenten David Sauer und Armin Coerper aus Washington und Moskau.19.02.2025 | 3:34 min

    Woran scheiterten die Verhandlungen von Istanbul 2022?

    Die vielleicht am weitesten verbreitete Erzählung über gescheiterte Friedensbemühungen in der Ukraine betrifft die Verhandlungen von Istanbul im Frühjahr 2022. Sie werden auch von westlichen Politikern immer wieder herangezogen, um die Verantwortung für das Andauern des Krieges bei der Ukraine und ihren Unterstützern zu suchen. BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht hatte mehrfach auf diese Gespräche verwiesen, bei denen Regierungen aus dem westlichen Ausland angeblich eine Einigung verhindert hätten.

    Waffenstillstand in der Ukraine?
    :Wie Wagenknecht die Realität verzerrt

    Sahra Wagenknecht behauptet, Israels Ex-Premier sei im März kurz davor gewesen, einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg zu erreichen - der Westen hätte das blockiert. Was ist dran?
    von Oliver Klein und Jan Schneider
    Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zu Gast bei "Lanz"
    Faktencheck
    Womöglich bezieht sich auch Trump nun indirekt auf diese Verhandlungen, wenn er sagt, dass die Ukraine einen Deal hätte haben können. Wladimir Putin selbst verbreitet dieses Narrativ seit Jahren. In einem Interview im Februar 2024 sagte Putin, der Krieg hätte schon vor zwei Jahren beendet werden können, hätte der Westen bei den Friedensverhandlungen nicht interveniert.
    Als Beweis, dass der Westen Friedensverhandlungen gestoppt habe, wird ein Treffen des damaligen britischen Premiers Boris Johnson mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 9. April genannt. Johnsons Rat damals: Nichts unterschreiben, weiterkämpfen.
    So schilderte es zumindest der Leiter der ukrainischen Verhandlungsdelegation, David Arachamija, in einem Interview. Aber: Arachamija sagte im selben Gespräch auch, dass die Ukraine - unabhängig von den Einwänden Johnsons - zu dem Zeitpunkt nicht bereit gewesen sei, einem Abkommen zuzustimmen.
    [Sehen Sie oben im Video alle Hintergründe zu den Verhandlungen von Instanbul 2022.]
    Claudia Major | Sicherheitsexpertin Stiftung Wissenschaft und Politik
    Die USA und Russland seien "zu einem Großmachtdenken zurückgekommen", bei dem Europa nur "zuhören und ertragen" müsse, so Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik.19.02.2025 | 5:51 min

    Warum gab es tatsächlich keine Einigung in Istanbul?

    Tatsächlich gab es im Frühling 2022 eine Reihe komplexer Faktoren, die Friedensverhandlungen scheitern ließen:
    • Ukrainische Erfolge auf dem Schlachtfeld: Die Ukraine schaffte es, die Angriffe auf Kiew und Charkiw abzuwehren, und konnte die russischen Truppen erfolgreich zurückdrängen. Russland geriet in die Defensive, stoppte den Vormarsch auf Kiew und konzentrierte sich von diesem Zeitpunkt an auf die Donbass-Region. Die bisherige Strategie der westlichen Verbündeten - mehr Waffenlieferungen für die Ukraine, immer striktere Sanktionen gegen Russland - schien zunächst erfolgreich. Das machte die Ukraine zuversichtlich, keinen für sie allzu schlechten diplomatischen Kompromiss eingehen zu müssen.
    • Das Massaker von Butscha: Am 1. April 2022 wurde bekannt, dass russische Truppen in dem Kiewer Vorort über 300 Zivilistinnen und Zivilisten getötet hatten. In den Tagen darauf fanden Ermittler Massengräber und Anzeichen für Folter an Leichen. Das verschlechterte die Beziehungen beider Länder noch weiter.
    • Grundlegende Probleme mit dem Istanbuler Kommuniqué: Beide Seiten lagen in etlichen Punkten noch weit auseinander, beispielsweise über die von der Ukraine geforderten Sicherheitsgarantien oder die Frage, wie mit der russisch-ukrainischen Grenze in der Ostukraine umgegangen werden sollte. Außerdem war noch offen, wie genau die von Russland verlangte "Entmilitarisierung" der Ukraine aussehen sollte.
    • Mangelndes Vertrauen der Ukraine: Es gab auf ukrainischer Seite eine wachsende Skepsis, wie ernsthaft die Russen überhaupt an einer Lösung interessiert waren. So schien die russische Delegation beispielsweise selbst gar keinen engen Kontakt zu Putin zu haben. Ausgehandelte Kompromisse sollen zudem nach Vorlage im Kreml vom russischen Präsidenten abgelehnt worden sein.
    Eine diplomatische Lösung war aus diesen Gründen im April immer unwahrscheinlicher geworden. Beide Seiten gingen im Mai schließlich ohne Friedensabkommen auseinander. Der finale Bruch kam im September 2022, nachdem Russland vier besetzte ukrainische Gebiete völkerrechtswidrig zu russischem Staatsgebiet erklärte.
    Transparenzhinweis: Dieser Beitrag wurde zuerst am 24.06.2024 veröffentlicht und am 19.2.2025 aufgrund der aktuellen Entwicklungen inhaltlich aktualisiert und mit einem neuen Datum versehen.
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    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump bei einem Wortgefecht im weißen Haus
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    Quelle: Mit Material von dpa

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