Ukraine-Krieg: Experte bei Friedensverhandlungen skeptisch
Interview
Sicherheitsexperte zu Ukraine:"Phantomdiskussion" um Friedensverhandlungen
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Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj haben sich für eine Friedenskonferenz mit Russland ausgesprochen. Sicherheitsexperte Frank Sauer sieht kaum Chancen für baldige Verhandlungen.
Olaf Scholz (SPD) mit dem ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. (Archivbild)
Quelle: dpa
Die Debatte um eine Friedenslösung für den Ukraine-Krieg geht weiter - zuletzt haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für eine Friedenskonferenz mit Russland ausgesprochen.
Im ZDF-Politiktalk "maybrit illner" geht es am Donnerstagabend um das Thema: "Ukraine will Sieg und Frieden - was will der Westen?" Zu Gast ist unter anderem Sicherheitsexperte Frank Sauer, der im ZDFheute-Interview die Ziele hinter den ukrainischen Angriffen auf Kursk einschätzt, die jüngsten russischen Drohungen bewertet und über die Chancen für Friedensverhandlungen spricht.
ZDFheute: Verläuft die Offensive in Kursk erfolgreich für die Ukraine?
Frank Sauer: Aus militärischer Sicht gab es zwei Ziele. Das eine war, Russland dazu zu zwingen, Truppen aus dem Donbass abzuziehen. Das ist nicht gelungen. Es gab aus anderen Regionen ein paar Truppenverlegungen. Aber man muss sagen, dass das Ziel, eine Entlastung im Donbass zu schaffen, gescheitert ist.
Das zweite militärische Ziel war, eine Pufferzone zu schaffen, damit die Ortschaften auf ukrainischer Seite, die in Artillerie-Reichweite lagen, nicht mehr beschossen werden können. Das ist gelungen.
Trotz der russischen Gegenoffensive habe die Ukraine gezeigt, dass sie die russischen Truppen nicht nur überraschen, sondern auch schlagen könne, so Militärexperte Nico Lange.12.09.2024 | 18:48 min
Alles in allem hat diese Operation von Anfang an den Eindruck gemacht, dass sie unter Zeitdruck geplant wurde. Militärisch würde ich sie als eine extrem durchwachsene Angelegenheit betrachten. Und ich gehe auch davon aus, dass die Gegenangriffe, die Russland ja inzwischen begonnen hat, über kurz oder lang die Ukraine in Kursk stark unter Druck setzen werden.
Quelle: Bundeswehr Universität München
... ist Experte für Sicherheitspolitik an der Universität der Bundeswehr in München. Gemeinsam mit anderen Sicherheitsexpert*innen diskutiert Sauer im Podcast "Sicherheitshalber" die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die Lage in Europa und der Welt.
ZDFheute: Wie ernst nehmen Sie Putins neueste Drohungen gegen den Westen?
Sauer: Ich bin niemand, der die Risiken dieses Kriegs klein redet. Das kann alles noch wirklich schiefgehen. Das muss man immer wieder klar sagen. Einerseits.
Andererseits habe ich den Eindruck, dass wir kollektiv keine sonderlich steile Lernkurve haben, was den Umgang mit Herrn Putin und russischen Drohungen angeht.
Der russische Präsident Putin hat westlichen Staaten im Falle einer Lieferung von Langstreckenwaffen erneut gedroht. Die russische Gegenoffensive in der Region Kursk läuft weiter. 13.09.2024 | 1:35 min
Wenn ich mir angucke, wie oft er uns schon gedroht hat - zum Teil ja noch heftiger als jetzt - und wie dann stets nichts passiert, dann würde ich schon sagen, dass es, in der Mischung aus Entschlossenheit und Besonnenheit, die man an den Tag legen muss, wenn man mit so einer gefährlichen Situation konfrontiert ist, zumindest mal einen Versuch wert wäre, den Spieß umzudrehen.
ZDFheute: Könnte es dieses Jahr noch zu Friedensverhandlungen mit Russland kommen?
Sauer: Es könnte durchaus sein, dass wir alsbald eine Konferenz sehen, an der dann auch Russland teilnimmt. Aber ich will die Erwartungen dämpfen.
Setzt sich Putin an den Verhandlungstisch? Einige Anzeichen deuten darauf hin. Eine bedeutende Rolle dürfte dann der russischen Region Kursk zukommen.12.09.2024 | 5:29 min
Beide Konfliktparteien versprechen sich zur Zeit von Verhandlungen weniger als vom Fortsetzen der Gefechte. Russland sieht sich auf der Gewinnerstraße. Die Ukraine hält verbissen dagegen, weil sie den russischen Diktatfrieden fürchtet. Ich erwarte daher nicht, dass es in naher Zukunft produktive Verhandlungen geben wird.
Im ZDF-Sommerinterview hat Bundeskanzler Olaf Scholz mögliche Verhandlungen über Frieden in der Ukraine in Aussicht gestellt. Kündigt sich damit ein Kurswechsel des Kanzlers an?10.09.2024 | 3:03 min
Natürlich gibt es immer Absprachen jenseits der Öffentlichkeit. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob man in diesen Scholz-Satz nicht doch zu viel "reingeheimnist".
ZDFheute: Wann könnte es denn zu Verhandlungen kommen?
Sauer: Die Bedingungen für Verhandlungen werden auf dem Gefechtsfeld hergestellt. Das ist bitter. Aber so ist es. Es ist im vorliegenden Fall unwahrscheinlich, dass eine der beiden Parteien die andere gänzlich niederringt.
Die Sendung "maybrit illner" mit dem Thema "Ukraine will Sieg und Frieden - was will der Westen?" sehen Sie am Donnerstag, 19. September 2024, um 22:15 Uhr im ZDF und abrufbar in der ZDF-Mediathek.
Es diskutieren die Vorsitzende des EU-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak, Linken-Politiker Gregor Gysi, der langjährige Diplomat Wolfgang Ischinger, Frank Sauer von der Bundeswehruniversität München und die Russland-Expertin Sabine Adler.
Der Krieg wird daher auf dem Gefechtsfeld weitergeführt, bis beide Konfliktparteien sich davon nichts mehr versprechen. Und beendet wird der Krieg dann am Verhandlungstisch.
Aber ich will zu bedenken geben: Das kann dann seinerseits Monate, in manchen Fällen Jahre dauern. Und ein Ende des Krieges wäre noch kein stabiler, nachhaltiger Frieden. Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg.
Russland könnte übrigens jetzt sofort die Kämpfe einstellen, die Ukraine nicht weiter angreifen und in Gespräche eintreten.
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.