Frankreich: Bröckelt die Brandmauer nach rechts?

    Analyse

    Tabubruch nach der Europawahl:Frankreich: Bröckelt die Brandmauer nach rechts?

    Anna Feist
    von Anna Feist, Paris
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    Bei der Europawahl waren Frankreichs Rechte erfolgreich. Die Brandmauer zu Le Pens Partei ist brüchig. Können Neuwahlen Macrons Regierung retten?

    Tabubruch in Frankreich
    Der Chef der konservativen Republikaner hat sich als erster Vorsitzender einer traditionellen Partei für ein Bündnis mit den Rechtspopulisten des Rassemblement National ausgesprochen.12.06.2024 | 2:30 min
    Es waren noch nicht einmal 48 Stunden ins Land gegangen, seit das rechte Lager in Frankreich mit fast 40 Prozent der Stimmen bei der Europawahl einen historischen Sieg eingefahren hat und der französische Präsident Macron die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen ankündigte - da gab es schon den nächsten Skandal:

    Rechter Schulterschluss mit Le Pen

    Eric Ciotti, Chef der konservativen Republikaner, "Les Républicains", sucht Dienstagmittag nicht mit dem Lager von Präsident Macron, sondern, mit der Partei von Marine Le Pen den Schulterschluss nach rechts.

    Es gibt den Block der Rechten. Ich hoffe, dass meine politische Familie sich auf diesen Weg macht, viele folgen mir.

    Eric Ciotti, "Les Républicains"

    Er ist damit der erste Vorsitzende einer traditionellen Partei, die sich offen zeigt für ein Bündnis mit den Rechtspopulisten rund um Le Pen. Ausgerechnet "Les Républicains" - also die Partei, die das Erbe von Charles de Gaulle verwaltet - reißt die Brandmauer nach rechts ein. De Gaulle führte vor seiner Zeit als Präsident im Zweiten Weltkrieg den französischen Widerstand gegen Nazi-Deutschland an. Ein Bündnis mit dem Rechten "Rassemblement National", das ursprünglich als "Front National" von einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS gegründet wurde.

    Partei beschließt Ciottio-Ausschluss

    Diesen Tabubruch ließ Ciottis Partei ihm aber auch nicht durchgehen. Nach einer Sitzung des Parteivorstands am Mittwoch in Paris teilte die Generalsekretärin der Républicains (LR), Annie Genevard, den Ausschluss Ciottis mit. "Er hat geheime Verhandlungen geführt, ohne sich mit unserer politischen Familie und den Aktivisten abzustimmen, und bricht damit völlig mit den Statuten und der Linie der LR."
    Thomas Walde aus Paris
    In Frankreich ist kurz vor der angekündigten Neuwahl die Parteienlandschaft in Bewegung. Thomas Walde berichtet aus Paris.11.06.2024 | 1:04 min
    Die Partei werde bei der Parlamentswahl einen unabhängigen Kurs mit eigenen Kandidaten fahren, statt mit den Rechtsnationalen eine ungewisse Allianz einzugehen. Ciotti bezeichnete die Sitzung des Parteivorstands als ungültig. Diese sei unter eklatanter Verletzung der Parteisatzung durchgeführt worden, schrieb Ciotti auf X. Mit Blick auf Le Pen hatte er am Dienstag noch gesagt: "Wir sagen die gleichen Dinge, also hören wir auf, uns eine erfundene Opposition auszudenken."

    Macron zu Rechtsruck: "Die Masken fallen"

    "Die Masken fallen und der Kampf um Werte tritt offen zutage", so kommentiert Macron die vergangenen drei Tage. Er habe Vertrauen in die Wähler, betont Macron, Vertrauen in die Vernunft. Fünfmal seit 1958 wurde das Parlament mit Artikel 12 der Verfassung bereits aufgelöst. Ziel war es immer, die schwindende Macht zu sichern. Es ist ein alter Trick, der schiefgehen kann.
    Thomas Walde: Neuwahlen in Frankreich
    Nach der Niederlage seines Mitte-Lagers bei der Europawahl hat Frankreichs Präsident Macron Neuwahlen angekündigt. Was das für das Land bedeutet, erklärt ZDF-Korrespondent Walde.10.06.2024 | 0:58 min

    Hat sich der Präsident verzockt?

    Der Rechtswissenschaftler Armin Steinbach prognostiziert dem Lager um Macron keine guten Chancen bei der Neuwahl. Er argumentiert so: Die Hälfte der Wähler hätten "antieuropäisch", also gegen Macrons Linie, gewählt.

    Die Überraschung, die Macron einpreist, ist, dass jetzt auf einmal alle französischen Wähler zur Vernunft kommen und sich ihm anschließen. Diese Vernunft halte ich für unrealistisch.

    Armin Steinbach, Rechtswissenschaftler

    Stattdessen geht Steinbach von einer relativen Mehrheit für das Lager um Marine Le Pen aus. Denn Macron hat zwar das Parlament aufgelöst, er selbst als Präsident ist aber nicht zurückgetreten. Er bleibt bis 2027 im Amt.

    Die Wähler können sich einreden: Ich kann noch einmal Protest wählen, ich kann noch einmal extrem wählen: Ganz extrem wird es dann doch nicht, weil der Präsident immer noch aus dem Mitte-Lager kommt.

    Armin Steinbach, Rechtswissenschaftler

    Meloni und Krah vor Europaflagge
    Europas Rechtspopulisten wollen die EU schwächen. Mit ihren Feindbildern gewinnen sie Unterstützer, aber sie sind auch zerstritten. Haben die Rechten einen Plan?31.05.2024 | 14:28 min

    Die "lahme Ente" Macron

    Was aber würde eine relative Mehrheit für die Rechten für die Regierung bedeuten?
    Steinbach: "Macron wäre dann die lahme Ente, die entweder mit unterschiedlichen Mehrheiten versucht, im Parlament zu regieren, oder aber tatsächlich Macht an den "Rassemblement National" abgeben müsste". Etwa in der Form, dass die Rechten den Premierminister stellen. Eine sogenannte "Cohabitation".
    Macron, dem schon jetzt die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung fehlt und der deshalb Gesetze immer wieder per Dekret in Kraft setze, obläge dann nur die Verantwortung für Außenpolitik und die Streitkräfte, nicht mehr für das Innere. Steinbach: "Das würde dann ein Siechen, ein Siechtum bis 2027, bis zur nächsten Präsidentschaftswahl."
    Weidel: "Brandmauern werden fallen"
    "Ich glaube, dass der Druck auf Merz viel zu groß wird, dass auch dort die Ost-Landeschefs der CDU ausscheren werden und die Brandmauer zur AfD einreißen werden", so die Co-Parteichefin Alice Weidel (AfD).13.06.2024 | 7:31 min

    Persönlicher Denkzettel für Macron und Scholz

    Könnte das, was dem französischen Nachbarn blüht, auch auf Deutschland abfärben?
    Ja, sagt Steinbach. Es gibt Parallelen: "Beide Regierungsoberhäupter mussten krachende Niederlagen in Kauf nehmen, die den Rückhalt in der Bevölkerung in beiden Ländern, in Deutschland und in Frankreich, infrage stellen." Das seien in beiden Fällen für Macron und für Scholz "persönliche Denkzettel" gewesen.
    Auf dem Bild sind der deutsche Bundeskanzler Scholz und der französische Präsident Macron zu sehen.
    Frankreichs Präsident Macron liebt große Gesten, Bundeskanzler Scholz bedachte Worte. Krieg, Rechtsruck und Inflation spalten Europa. Können diese Männer die EU retten?07.05.2024 | 15:36 min
    Quelle: mit Material von dpa und Reuters

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