Unter Beschuss in der Ukraine: Evakuierungsteam rettet Leben

    Unter Beschuss in der Ukraine:Evakuierungsteam rettet Leben an der Front

    von Arndt Ginzel und Christian Rohde
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    Seit Kriegsbeginn versucht ein Team aus Freiwilligen, an der ukrainischen Frontline bei Marinka Menschen zu retten. ZDF frontal hat Vasyl Pipa begleitet.

    Weißen Engel
    Vasyl Pipa und sein Team helfen Menschen, dem russischen Dauerbeschuss zu entkommen. Bei der Evakuierung der Stadt Marinka im Donbass im Jahr 2022 läuft die Bodycam immer mit.19.02.2024 | 2:31 min
    Unterwegs mit einem Evakuierungsteam, drei Kilometer westlich der Front in einem Dorf bei Marinka in der Ostukraine. Am Steuer der Polizist Vasyl Pipa. Pipa und sein Team sind mit einem gepanzerten Kleinbus fast täglich dahin unterwegs, wo Granaten und Raketen einschlagen.
    Dahin, wo noch Menschen in Kellern ausharren, obwohl die russischen Streitkräfte ganze Straßenzüge in Schutt und Asche legen. Ihre Mission: Menschen retten. Es seien viele aus Marinka in die umliegenden Dörfer geflohen, sagt Pipa, seit die Kleinstadt Ende Dezember 2023 von den Russen erobert wurde.

    Die Menschen wollen nicht weg, trotz des Kriegs.

    Vasyl Pipa

    "White Angel" dokumentieren Kriegsgräuel

    Es ist nicht Pipas erster Einsatz. Am Körper trägt er eine Kamera. Die dokumentiert seit zwei Jahren das Grauen, seit Russland die Ukraine im Februar 2022 überfallen hat. Die Bewohner seiner Heimatstadt haben dem Evakuierungsteam und ihrem weißen Bus einen Namen gegeben - "White Angel", die weißen Engel von Marinka.
    Collage: Ukrainischer Polizist Vasyl Pipa und Kollege Rustam vor brennender Hausruine im Hintergrund
    Als Evakuierungsteam "White Angel" rückt der Polizist Vasyl Pipa täglich mit Kollegen aus, um die Zivilbevölkerung aus der Gefahrenzone zu retten. Es folgt ein blutiger Sommer.20.02.2024 | 29:53 min
    Als im Frühjahr 2022 in Marinka die Tulpen vor den kleinen Häusern blühen, beginnt der russische Beschuss. Pipa und sein Team rasen in ihrem Bus durch die Straßen, sie wurde gerufen zur Evakuierung. "Hausbewohner, Hausbewohner", ruft Pipa über den Zaun am Vorgarten. "Söhnchen, ich komme, mein Söhnchen", keucht eine Frau in blauem Mantel.
    Eine Granate war direkt neben dem Haus eingeschlagen. "Kolya, Kolya ist verletzt", ruft sie. Ihr Mann blutet am Arm. Der Schmerz scheint seine Sinne zu betäuben. Er will noch die Tür des Hauses abschließen, bevor sie einsteigen in den Evakuierungsbus. "Nichts abschließen. Verschwinden wir einfach!", ruft Pipa, in der Nähe schlägt das nächste Geschosse ein.
    Minen reißen Bewohner mitten aus ihrem Alltag
    Tag für Tag evakuieren "White Angel" Menschen aus der Stadt, die lange geglaubt haben, es werde sie nicht treffen, der Krieg werde schon vorbeigehen. So wie Vera Glazunowa, in Russland geboren, seit ihrer Kindheit in Marinka. Als sie ihre Hühner füttert, explodiert eine Mine hinterm Haus.
    Collage: Ukrainischer Polizist Vasyl Pipa rettet verwundeten Mann vor Hausruine im Hintergrund
    Jeden Tag steigt das Risiko für Vasyl Pipa und sein Team. Während einer Feuerpause holen sie in Not geratene Menschen aus ihren Häusern. Doch die Ruhe erweist sich als trügerisch.19.02.2024 | 27:22 min
    "Wenn Raketen fliegen, hört man sie, auch Brandgranaten hört man, Minen sind anders. Sie fliegen lautlos". Sie flüchtet schwer verletzt in ihren Keller. Pipa und sein Team retten sie, bringen die 73-Jährige ins Krankenhaus, weg von der Front.

    Ein Splitter traf mich hier und brach den Knochen, und drang ins Bauchfell ein. Den nächsten Splitter zogen sie aus dem Rücken heraus. Ohne Schmerztabletten komme ich nicht mehr aus.

    Vera Glazunowa

    Im Dezember 2023 verlassen die letzten Bewohner Marinka. Die Russen haben den Ort dem Erdboden gleichgemacht, sie annektieren eine tote Stadt.
    Doch Pipa und sein Team machen weiter, die Front ist nur ein paar Kilometer westlich gerückt. In diesen Tagen sind sie unterwegs Richtung Antoniwka. Fast niemand wohnt mehr in der Siedlung. Die Straßen sind aufgeweicht, Schlamm überall, am angrenzenden Feld Bombentrichter um Bombentrichter. Dann eine Schule, oder was davon übrig ist. Vom zweistöckigen Gebäude fehlt das Dach, alle Fenster sind zerborsten. Doch der Keller dient weiter als Unterschlupf für neun Personen.
    Collage: Frau hält die Hände vors Gesicht, während im Hintergrund ein verwundeter Mann auf einer Trage vom "White Angel"-Evakuierungsteam fortgetragen wird
    Vasyl Pipa und sein Evakuierungsteam "White Angel" riskieren ihr Leben, um Tote zu bergen. Im Herbst 2022 endet das zivile Leben in Marinka. Was bleibt, ist ein Schlachtfeld.19.02.2024 | 37:17 min

    Menschen harren in dürftigen Unterkünften aus

    Ein paar Bettgestelle mit alten Matratzen zum Schlafen, ein ausgedienter Schultisch und ein Gaskocher für das bisschen Essen, in einer Ecke Reisig für den Ofen. Ein Mann hackt Holz im Halbdunkel. "Wir haben hier nur gewöhnliche Kerzen für Licht."
    Wichtiger als Licht sei ohnehin, "jetzt im Winter Wärme zu erzeugen." Draußen sind es keine fünf Grad Celsius. Im Keller reicht das Feuer kaum in frostigen Nächten. Gestern sei eine Drohne vorbeigeflogen, erzählt der Mann. "Ich war dabei, Feuerholz zu sammeln, sah sie fliegen und rannte in das Gebäude."
    Im Osten hat sich die Armee aus Awdijiwka vorerst zurückgezogen, denn die Stadt ist von den russischen Soldaten umstellt.
    Die Ukraine gerät immer mehr in die Defensive. Im Osten hat sich die Armee aus Awdijiwka vorerst zurückgezogen. Die Stadt ist von den russischen Soldaten eingekreist.17.02.2024 | 1:34 min
    Wenn die Bomben einschlagen, fliege der Kellerputz von der Decke, sagt eine alte Frau mit Kopftuch und in Wattejacke. "Es ist nicht nur das Geräusch, es ist dann, als ob es im Keller regnet. Wir können die Einschläge fühlen." Trotzdem wollen sie ausharren. Evakuieren? Später vielleicht. Pipa kennt das schon:

    Die Menschen haben sich gewöhnt an dieses Leben, gewöhnt an den Krieg.

    Vasyl Pipa

    Keine Ärzte oder Medikamente in Siedlungen an Frontlinie

    Das Team fährt weiter, es muss Leichen bergen. In einem Schuppen finden sie einen Toten, wahrscheinlich gestorben an Herzversagen. Es gibt keine Ärzte, keinen Notdienst, keine Medikamente in den Siedlungen in der Frontline. Wer trotzdem bleibt und krank wird, den kann der Tod ganz leise holen, ganz ohne Granaten und Splitter.
    Ukraine: Reha-Klinik für Soldaten
    Zwei Jahre Krieg in der Ukraine - wie geht es den verwundeten Soldaten? In Odessa ist ein ehemaliges Krankenhaus zu einer Reha-Einrichtung für Soldaten geworden. 19.02.2024 | 1:43 min
    Die "weißen Engel" packen den Verstorbenen in eine weiße Plane und fahren ihn ins Leichenhaus. Pipa zählt durch. Acht Tote liegen eingepackt in Leichenplanen auf kalten weißen Kacheln.
    Eine letzte Fahrt an den Rand der Stadt, an die Frontlinie zu einem Gehöft etwas abseits. Der alte Mann, auf den sie treffen, sieht geschwächt aus. Drei Beutel und ein Becher mit Tee. Das ist alles, was Ivan Nikolaiewitsch geblieben ist, nachdem zwei russische Granaten neben seinem Haus in Antoniwka eingeschlagen sind. Pipa und sein Team evakuieren den 78-Jährigen aus seinem Heimatdorf. Er hat überlebt, aber das ist auch alles.
    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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