Politologin: "Europa könnte tatsächlich kaputt gehen"

    Politologin bei "illner":Schwarzer: "Europa könnte kaputt gehen"

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    US-Präsident Biden wackelt. Macron hat sich mit der Neuwahl in Frankreich verspekuliert. Politologin Schwarzer warnt: Europa könnte, wenn es so bleibt, tatsächlich kaputt gehen.

    Der französische Präsident Emmanuel Macron verzieht das Gesicht bei einer Rede.
    Bei der Neuwahl verspekuliert: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
    Quelle: dpa

    US-Präsident Joe Biden wackelt. In Frankreich hat sich Präsident Emmanuel Macron mit der von ihm angesetzten Neuwahl verspekuliert. Nationalisten und Rechtspopulisten an der Macht in Washington und Paris - ein Schrecken für Europa, für die Ukraine und für Deutschland.
    Die Politologin und Außenpolitik-Expertin Daniela Schwarzer warnt im ZDF-Interview: Europa wird, wenn es so bleibt, wie es ist, nicht bestehen können.
    ZDFheute: Der Druck auf US-Präsident Joe Biden, sich als Kandidat zurückzuziehen, ist beträchtlich gewachsen. Welche Konsequenzen hat das für die US-Wahl?
    Daniela Schwarzer: Mittlerweile fordern erste Kongressabgeordnete der Demokraten offen seinen Rückzug. Wenn ein Kandidat solche Schwächen zeigt wie Biden, dann wird das von den Wählerinnen und Wählern auch auf sein Durchhaltevermögen für eine mögliche weitere Präsidentschaft bezogen.
    Zudem verstärkt das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zur Immunität ehemaliger Amtsträger die Angst der Demokraten vor einer Niederlage Bidens: Die Unterscheidung zwischen privatem und offiziellem Handeln macht es schwieriger, einem ehemaligen Präsidenten Straftaten nachzuweisen.
    Und Donald Trump hat selbst angekündigt, dass er sich in den ersten Tagen seiner zweiten Präsidentschaft "wie ein Diktator" verhalten wolle.
    elmar-thevessen
    Nach Joe Bidens schlechtem Auftritt beim TV-Duell gegen Donald Trump wächst der Druck auf den US-Präsidenten auch in den eigenen Reihen. "Joe Biden versucht derzeit alles, um wieder Ruhe herzustellen", so ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen. 03.07.2024 | 3:18 min
    ZDFheute: Welches Szenario könnten die Demokraten nun für ihren Kandidaten entwerfen?
    Schwarzer: Joe Biden müsste sich selbst zurückziehen. Ein Herausdrängen durch die Partei würde die ohnehin sehr schwierige Nominierung eines alternativen Kandidaten noch weiter erschweren, weil ein solches Vorgehen die Partei spalten könnte.

    Daniela Schwarzer
    Quelle: Bertelsmann Stiftung

    ... ist Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung. Sie war von November 2016 bis April 2021 Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sie ist eine ausgewiesene Expertin für europäische Angelegenheiten sowie transatlantische und internationale Beziehungen und blickt auf eine 20-jährige Karriere bei renommierten Think Tanks, Stiftungen und Universitäten zurück.

    ZDFheute: Aus der Europawahl und der ersten Runde der Parlamentswahl sind Frankreichs extreme Rechte um Marine Le Pen als klare Sieger hervorgegangen. Welche Szenarien wären nach dem zweiten Wahlgang möglich?
    Schwarzer: Die Wahrscheinlichkeit, dass Le Pens Partei eine absolute Mehrheit erhält und die Regierung bilden kann, ist gesunken, dank des taktischen Rückzugs vieler gemäßigter Politiker aus der zweiten Runde. Steht nur ein moderater Kandidat gegen einen Rechtsextremen, sinken die Chancen des letzteren, den Wahlkreis zu gewinnen. Es dürfte aber ein Parlament ohne klare Mehrheiten geben.
    Je nach Stärke der Rechtsextremen könnte Emmanuel Macron sie an der Regierung beteiligen, um sie vor der Präsidentschaftswahl 2027 zu 'entzaubern'. Es wäre risikoreich, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass er sagt: Wenn ihr die Rechtsextremen wählt, dann müssen sie jetzt zeigen, ob sie auch regieren oder nur kritisieren können.
    Frankreich, Le Touquet-Paris-Plage: Der französische Präsident Emmanuel Macron verlässt die Wahlkabine zur Stimmabgabe bei den vorgezogenen französischen Parlamentswahlen.
    Nach der 1. Runde der vorgezogenen Parlamentswahl ist die Rechtsaußen-Partei von Marine Le Pen mit 33 Prozent klarer Sieger. Macrons Mitte-Lager kam mit 20 % nur auf Platz 3.01.07.2024 | 1:32 min
    ZDFheute: Wie kann der Zuspruch für demokratische Politiker wieder gestärkt werden?
    Schwarzer: Es ist beeindruckend, wie viele Menschen für Demokratie und eine liberale Gesellschaft auf die Straße gegangen sind und wie viele Unternehmen sich zur Bedeutung von Demokratie und einem starken Europa geäußert haben. Das zeugt von breitem Rückhalt.
    Gleichzeitig müssen die Gründe verstanden werden, warum viele Menschen Parteien unterstützen, die autoritäre und fremdenfeindliche Positionen vertreten, mit Russland kooperieren und die EU schwächen wollen, obwohl Moskau auf unserem Kontinent einen Krieg führt, der die europäische Sicherheitsordnung untergräbt.
    Umfragen zeigen, dass sich bei vielen, die in Frankreich den Rassemblement National gewählt haben oder bei uns die AfD, ein Gefühl findet von Entkoppelt-Sein, davon, Verlierer zu sein bei der grünen oder der digitalen Transformation.
    In Frankreich bewegen viele Wähler in ländlichen Gebieten zudem die fehlende Verkehrsinfrastruktur, das Schließen von Schulen oder öffentlichen Einrichtungen in kleinen Kommunen. Wir müssen unsere Demokratie weiterentwickeln, um das Gefühl der Teilhabe und Gerechtigkeit, gerade in Transformationszeiten, zu stärken.

    "maybrit illner" mit dem Thema "Biden wackelt, Macron zockt – leichtes Spiel für Nationalisten?" - sehen Sie die Sendung an diesem Donnerstag, 4. Juli 2024 um 22:15 Uhr im ZDF.

    Verliert unser Land seine wichtigsten Partner? Hat Joe Biden noch eine Chance? Wie viel Macht bleibt Emmanuel Macron? Wer sichert Europas Souveränität? Und wie kann die politische Mitte Populisten und Nationalisten überhaupt erfolgreich begegnen?

    Bei Maybrit Illner diskutieren die Außenpolitiker Michael Roth (SPD) und Norbert Röttgen (CDU), die Politikwissenschaftlerinnen Constanze Stelzenmüller und Daniela Schwarzer sowie der CNN-Journalist Fred Pleitgen.

    ZDFheute: Welche Antworten sind nun von Frankreich und Deutschland gefordert, um die Demokratie in Europa zu stabilisieren?
    Schwarzer: Falls Frankreich als konstruktiver Partner ausfällt, wächst die Verantwortung Deutschlands. Aus Brüsseler Sicht waren Verhandlungen mit Berlin in den letzten Jahren oft schwierig, auch wegen unterschiedlichen Positionen in der Koalition - und größere Initiativen blieben aus.
    Wir stehen jetzt aber an einer historischen Zäsur:

    Die EU kann tatsächlich kaputt gehen, wie es auch Macron formuliert hat. Wenn sie so bleibt, wie sie ist, wird sie nicht bestehen können.

    Daniela Schwarzer, Politologin

    Berlin muss jetzt gemeinsam mit Partnern - Polen könnte hier künftig eine starke Rolle einnehmen - nach vorne treten und konkrete Vorschläge machen, wie die EU im Inneren und nach Außen gestärkt werden kann.
    02.07.2024, Polen, Warschau: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), verabschiedet sich von Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen, nach der Pressekonferenz nach den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen.
    Die deutschen Minister besuchen Warschau, um die deutsch-polnische Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen zu erneuern. Was dafür jedoch noch fehlt, ist der deutsche Haushalt.02.07.2024 | 2:43 min
    ZDFheute: Was ist konkret zu tun?
    Schwarzer: Wir müssen die Risiken nüchtern in den Blick nehmen, insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Wohlfahrt und Demokratie. Zum Beispiel in der Wirtschaft: Europa muss seine wirtschaftliche Sicherheit, etwa die Rohstoffversorgung oder die Verfügbarkeit kritischer Technologien, stärker in den Blick nehmen und dabei an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen.
    Besonders relevant für Wachstum und Sicherheit sind Digitalisierung, Bildung und Technologie. Hier müssen wir investieren und kritisch hinterfragen, ob die Schuldenbremse angesichts dieser Herausforderungen zeitgemäß ist.
    Mit China und den USA haben wir es jetzt mit zwei großen Spielern zu tun, die Wettbewerber und Partner zugleich sind. In China spielt der Staat eine sehr starke Rolle und wir haben es mit echten Wettbewerbsverzerrungen zu tun.
    Auch die USA greifen zu einer sehr aktiven Industriepolitik, und obwohl wir Partner in der Nato sind, kooperieren wir in vielen sicherheitsrelevanten Wirtschaftsfragen nicht ausreichend.
    Das Interview mit Daniela Schwarzer führte Berit Suhr, Redaktion "maybrit illner".

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