Nach Donald Trumps Wiederwahl: Nato künftig ohne die USA?
Interview
Nach Wahlsieg von Donald Trump:Ex-Natochef: Nato ohne USA? Unrealistisch!
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Donald Trump kehrt ins Weiße Haus zurück. Was bedeutet das für Europa und die Nato? Fragen an ihren ehemaligen Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
Wiederwahl mit Folgen. Damals drohte Trump noch mit einem Nato-Austrtitt. Wird er der Drohung nachkommen? (Archivbild)
Quelle: epa
Donald Trump geht als Sieger aus der US-Wahl hervor und wird ins weiße Haus zurückkehren. In seiner ersten Amtszeit drohte dieser mit einem Rückzug aus der Nato. Mark Rutte, Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses, gibt sich bisher gelassen angesichts des Wahlergebnisses in den USA.
Anders Fogh Rasmussen war von 2009 bis 2014 Nato-Generalsekretär. Im Interview mit ZDFheute erklärt der Däne, was der Trump-Sieg für die Nato bedeutet, ob ein US-Austritt aus dem Militärbündnis realistisch ist und wie Europa selbst für seine Sicherheit sorgen kann.
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ZDFheute: Was bedeutet das Ergebnis der US-Wahlen für die Nato?
Anders Fogh Rasmussen: Eine Eigenschaft von Donald Trump ist seine Unberechenbarkeit. Deshalb kann man bei ihm nie wissen, was kommt. Aber eine Sache ist klar: Die Europäer müssen viel mehr in Verteidigung investieren. Ich bin der Meinung, dass alle NATO-Verbündeten drei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung investieren sollten statt wie bisher zwei Prozent.
ZDFheute: Denken Sie, dass Europa insgesamt gut genug für die nächsten vier Jahre unter Donald Trump vorbereitet ist?
Rasmussen: Europa ist viel besser vorbereitet als wir es 2016 waren, als Trump zum ersten Mal gewählt wurde. Aber wir müssen noch viel mehr tun. Neben den erwähnten höheren Investitionen in Verteidigung sollten wir auch die Verteidigungszusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union stärken. Wir sollten mehr Mittel für den EU-Verteidigungsfonds bereitstellen. Wir sollten eine schnelle Eingreiftruppe schaffen, die bei Bedarf auch jenseits der europäischen Grenzen tätig werden kann.
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ZDFheute: Was würde es für die Nato-Mitgliedstaaten bedeuten, wenn die USA die Nato verlassen?
Rasmussen: Dass die USA die Nato verlassen, halte ich für ein unrealistisches Szenario. Denn dafür wäre die Zustimmung des US-Kongresses notwendig. Und jedes Mal, wenn ich den Kongress besucht habe, habe ich sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten eine große Unterstützung für die Nato - und übrigens auch für die Ukraine - gespürt. Deshalb halte ich einen Austritt der USA aus der Nato für unrealistisch.
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ZDFheute: Würden Sie sagen, dass die NATO in ihrer jetzigen Form in Gefahr ist?
Rasmussen: Ich würde nicht sagen in Gefahr. Die Nato hat seit ihrer Gründung 1949 Höhen und Tiefen überstanden. Sie wird also überleben; auch eine neue Trump-Regierung. Natürlich ist es eine Herausforderung, dass Trump Zweifel an seinem Engagement für Artikel fünf geäußert hat. Aber ich denke, es liegt vor allem an den Nato-Verbündeten selbst, dafür zu sorgen, dass der Zusammenhalt und die Solidarität innerhalb der Nato erhalten bleiben, indem sie viel mehr in die Verteidigung investieren.
Zu lange haben sich die Europäer auf das verlassen, was ich als Verteidigungsgarantien der Vereinigten Staaten bezeichnet habe. Jetzt ist es an der Zeit, dass Europa einen gerechteren Anteil an der Last trägt.
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ZDFheute: Wäre Europa denn überhaupt in der Lage, sich ohne die Hilfe der USA zu verteidigen?
Rasmussen: Auf kurze Sicht wäre das schwierig, weil wir zu lange von amerikanischen Sicherheitsgarantien abhängig waren. Deshalb ist die Wahl von Trump auch ein Weckruf für die Europäer: Wir müssen sicherstellen, dass Europa auf eigenen Füßen stehen kann - auch wenn es um die Sicherheit geht.
ZDFheute: Was müsste nach dem Sieg von Trump in der Sicherheitsinfrastruktur von Europa passieren?
Rasmussen: Der Sieg von Trump bedeutet, dass wir als Europäer viel mehr tun müssen, um unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten. Das gilt zum Beispiel auch in Bezug auf die Ukraine und hier möchte ich speziell auf Deutschland verweisen: Deutschland ist mit Abstand die größte Volkswirtschaft in Europa und hat daher eine ganz besondere Verantwortung.
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Deshalb müssen wir Bundeskanzler Scholz dazu bringen, seine Meinung zu den Taurus-Lieferungen in die Ukraine zu ändern. Denn die Amerikaner werden jetzt von den Europäern verlangen, dass sie viel mehr tun - was auch fair ist - und gerade Deutschland könnte durch die Lieferung von Langstreckenraketen einen großen Teil beitragen.
Am Interview beteiligt waren Mona Rademacher und Clara Andersen für die ZDF-Studios in Washington und Brüssel.
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Interview
Quelle: ZDF
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