Nach dem INF-Vertrag: US-Waffen in Deutschland stationieren?

    US-Waffen in Deutschland:Zwischen Abschreckung und Eskalationsgefahr

    von Felix Klauser
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    Amerikanische Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden? Die Debatte entzweit insbesondere die SPD. Während Verteidigungsexperten beschwichtigen, warnt Russlands Präsident Putin.

    Tomahawk-Rakete
    US-amerikanische Mittelstreckenraketen, unter anderem vom Typ Tomahawk, sollen in Deutschland stationiert werden.
    Quelle: ZDF

    Es war ein Meilenstein der Abrüstung und ein Wendepunkt im Kalten Krieg: Als Michail Gorbatschow und Ronald Reagan 1987 in Washington den INF-Vertrag unterzeichneten, bewirkten ihre Unterschriften Historisches - und hielten immerhin gut 30 Jahre.
    Gut 30 Jahre in denen sich die USA und Russland auf ein Verbot landgestützter, atomar bestückbarer Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper einigen konnten, in denen der INF-Vertrag maßgeblich zur Sicherheitsarchitektur Europas beitrug.
    NATO 75th anniversary summit
    Berlin und Washington vereinbaren erstmals seit dem Kalten Krieg unter anderem Langstreckenraketen in Deutschland zu stationieren.11.07.2024 | 2:37 min

    USA kündigten den INF-Vertrag

    Das Abkommen untersagte die Produktion, Neuentwicklung und Tests an landgestützten Waffensystemen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern. Außerdem verpflichteten sich die Vertragspartner dazu, die amerikanischen Pershing-II-Raketen und die sowjetischen SS-20 binnen drei Jahren nach Vertragsabschluss zu vernichten.
    Ab 1991 galt der Vertrag als umgesetzt - seit fünf Jahren ist er Geschichte. Denn am 02. August 2019 trat die Kündigung des Vertrages durch die USA in Kraft. Vorausgegangen war eine Vielzahl gegenseitiger Vorwürfe zu Vertragsverletzungen.

    Bereits 2007 drohte Russland mit einem Ausstieg, wegen Bedenken gegen ein neues US-Raketenabwehrsystem, das diese in Rumänien stationierten. Mehrere US-Administrationen warfen dagegen dem Kreml vor, mit der Entwicklung eines Marschflugkörpers gegen die Vereinbarung zu verstoßen. Donald Trump war es, der schließlich die Reißleine zog und den INF-Vertrag kündigte.

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    Sicherheitsexperte Prof. Carlo Masala im Gespräch mit Ilka Brecht08.03.2022 | 3:01 min

    US-Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden?

    Heute, fünf Jahre später, wird über die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland diskutiert: Es geht um Tomahawks (Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern), sogenannte Standard Missiles 6, (mehr als 1.600 Kilometer Reichweite) und Hyperschallraketen, genannt Dark Eagle, die 3.000 Kilometer weit fliegen sollen. Damit handelt es sich um Waffen, die theoretisch auch Moskau erreichen könnten.
    Die Pläne sorgen insbesondere in der Kanzlerpartei für erhitzte Gemüter. Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvorsitzender, warnt:

    Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich.

    Rolf Mützenich (SPD), Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

    SPD-Politiker sieht Risiken
    :Mützenich warnt vor US-Raketen in Deutschland

    Die USA wollen Raketen in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. SPD-Fraktionschef Mützenich sieht mögliche Risiken - und verweist auf Altkanzler Helmut Schmidt.
    Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion
    mit Video

    Kritik aus SPD und Opposition

    Mützenich erhält zunehmend namhafte Unterstützung aus den Reihen seiner Partei. In einem Brief, unterzeichnet unter anderem vom früheren SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans, äußern sich Sozialdemokraten "tief besorgt über die Schlagseite", mit der gegenwärtig über die Stationierung diskutiert werde. Dass die Stationierungspläne nicht ausreichend im Bundestag diskutiert würden, bemängeln auch Abgeordnete der Union.
    Kanzler Olaf Scholz verteidigt zuletzt die Stationierungspläne und auch Verteidigungsminister Boris Pistorius hält Mitte Juli im ZDF heute journal gegen die Kritik:

    Es geht darum, durch konventionelle Abschreckung dafür zu sorgen, dass es nie zu einem Konflikt kommt und dass erst recht kein nuklearer Konflikt entsteht. Das setzt aber eigene Stärke voraus.

    Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister

    SGS Pistorius
    Pistorius äußert sich zu den Plänen der USA, Langstreckenwaffen in Deutschland zu stationieren: "Es geht um Abschreckung, nicht um irgendetwas anderes."11.07.2024 | 7:21 min

    Boris Pistorius: "Fähigkeitslücke" in Deutschland

    Diese eigene Stärke sieht der Verteidigungsminister momentan offenbar nur bedingt vorhanden. Denn Deutschland ist nicht in der Lage, entsprechende Mittelstreckenwaffen herzustellen. Für deren Entwicklung braucht ein Zusammenschluss europäischer Nato-Mitglieder wohl noch fünf bis sieben Jahre.
    Also sollen es die USA richten und die von Verteidigungsminister Pistorius beschriebene "Fähigkeitslücke" in Europa schließen. Noch besitzt die Nato keinen einzigen Mittelstreckenflugkörper in Europa - Russland laut einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) dagegen weit über 500. Sollte die Verlegung der amerikanischen Waffen nach Deutschland tatsächlich erfolgen, läge deren Stückzahl wohl deutlich niedriger.
    Boris Pistorius (r, SPD), Bundesminister der Verteidigung, und Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, beobachten die Nato-Übung «Arctic Defender 2024» auf der Eielson Air Force Base bei Fairbanks im US - Bundesstaat Alaska
    In der Arktis übten Nato-Partner unter deutscher Führung den Ernstfall. Für Pistorius ging es beim Großmanöver auch um Abschreckung. 09.07.2024 | 1:22 min

    Drohungen aus dem Kreml

    So oder so hat Wladimir Putin bereits eine russische Reaktion auf die Pläne angekündigt. Russland werde im Fall einer tatsächlichen Stationierung spiegelbildlich reagieren, kündigte er am Wochenende während des Tags der russischen Marine in Sankt Petersburg an und beklagte einen Rückfall in den Kalten Krieg.
    Allerdings hat Russland laut deutscher Bundeswehr ohnehin nuklearfähige Iskander-Raketen in der Exklave Kaliningrad stationiert. Auch deutsche Städte liegen in Reichweite dieser Mittelstreckenwaffen.
    Präsident Putin hat mit der Androhung eines neuen Kalten Krieges auf die geplante Stationierung von US-Raketen in Deutschland reagiert. Er kündigte vergleichbare Maßnahmen an.
    Präsident Putin hat mit der Androhung eines neuen Kalten Krieges auf die geplante Stationierung von US-Raketen in Deutschland reagiert. Er kündigte vergleichbare Maßnahmen an.28.07.2024 | 0:20 min

    Rüstungsexperten beschwichtigen

    Die Verteidigungsexperten Jonas Schneider und Torben Arnold von der SWP, sehen in der Stationierung US-amerikanischer Waffen in Deutschland dennoch keine großen zusätzlichen Risiken.

    Putin sieht Berlin ohnehin als Gegner. […] Neue US-Flugkörper verschärfen diese Lage nicht signifikant.

    Jonas Schneider und Torben Arnold, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

    Ohnehin ist eine Stationierung erst für das Jahr 2026 geplant - und dieser Vorlauf birgt eine gewisse Unsicherheit. Nicht ausgeschlossen, dass ein künftiger Präsident Donald Trump die Pläne noch vor ihrer Umsetzung wieder kassieren würde.
    Putin ist abgebildet vor einer Karte der Mitgliedsstaaten der Nato.
    Die Nato trifft sich zu ihrem 75-jährigen Bestehen. Hat das Bündnis eine Strategie, um Putins Aggression einzudämmen? ZDFheute live ordnet ein mit Ex-Nato-General Ramms.09.07.2024 | 32:58 min
    Felix Klauser berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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