Ostukraine: Wie ein Deutscher zum russischen Soldaten wurde
Krieg in der Ostukraine:Wie ein Deutscher russischer Soldat wurde
von Katja Belousova und Markus Thöß
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Seit 2014 kämpfen auch Deutsche in der Ukraine auf Seiten Russlands. Einer von ihnen ist Nikolaj B. Was treibt Männer wie ihn an? Und welche Gefahr droht nach ihrer Rückkehr?
Die Dokumentation berichtet über deutsche Männer, die für Russland kämpfen – und zeigt, wie gefährlich die Söldner sein können, wenn sie wieder nach Deutschland zurückkehren.15.07.2024 | 28:24 min
Im Sommer 2022 beschließt der Deutsche Nikolaj B., dass er für Russland gegen die Ukraine in den Krieg ziehen will - zum wiederholten Mal. Russische Medien berichten Mitte Juli des Jahres über ihn und schreiben "Ein deutscher Staatsbürger, der 2014 zum Kampf nach Slowjansk kam, wartet darauf, wieder für den Donbass kämpfen zu dürfen."
Die russische Boulevard-Zeitung "Moskowski Komsomolez" trifft B. damals im Zentrum von Donezk. In einem Interview beschreibt er damals die mutmaßliche Stimmung in Deutschland: "Ich muss im Allgemeinen gestehen, dass die Menschen stark zombifiziert werden."
Nikolaj B. - ein Deutscher im Kampf für Russland
Ein Deutscher in Militäruniform, der Kreml-Narrative im vom Russland besetzten Donbass verbreitet: Wie kam es dazu? Und inwiefern stellen Männer wie er heute eine Gefahr für Deutschlands Sicherheit dar? ZDF frontal hat die Spur von Nikolaj B. verfolgt.
Quelle: ZDF
Wie ein Deutscher zum russischen Soldat wurde - dieses und andere Themen sehen Sie am am 16.07.2024 ab 21 Uhr im ZDF.
Sie beginnt in Essen: Dorthin zog der neunjährige B. 2003 als Spätausiedler aus Kasachstan. 2012 brach er die Schule ab, versuchte kurze Zeit später am Berufskolleg einen Schulabschluss nachzuholen - ohne Erfolg. Seine Lehrerin erinnert sich an einen eloquenten, redegewandten Schüler. Ihm hätten "mit Studium, mit Ausbildung, mit einer beruflichen Karriere und mit einem guten Lebensweg natürlich hier oder anderswo durchaus auch alle Türen offenstehen können."
Dabei gibt es vor allem einen Karriereweg, der ihn reizt: "Soweit ich weiß, wollte er sein ganzes Leben lang russischer Offizier sein. Aus irgendeinem Grund war das so", erzählt seine Ex-Frau Eugenia. Bevor er für Russland in den Krieg zieht, lebt B. von Sozialhilfe.
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Teil der Einheit des von Den Haag verurteilten Igor Girkin
2014 verließ der damals 20-Jährige B. Deutschland zum ersten Mal in Richtung Krieg und schloss sich prorussischen Separatisten im Donbass an. Was treibt Männer wie B. zu einem solchen Schritt? Eine mögliche Erklärung bietet Kacper Rekawek vom Internationalen Zentrum für Terrorismusbekämpfung in den Niederlanden: "Vielleicht fehlte ihnen jemand, zu dem sie aufschauen konnten."
B. war dabei, als Separatisten 2014 in die Stadt Slowjansk einmarschierten, erhielt dafür später sogar einen militärischen Orden. Dort gehörte er der Einheit des ehemaligen Geheimdienstoffiziers Igor Girkin an. "Das ist die erste Einheit von 50 Leuten, die reingegangen ist und anfing, Menschen zu töten. Wenn du zu dieser Gruppe gehörst, bist du schon sehr nah dran am Zentrum des Bösen", sagt Rekawek.
Girkin ist einer der Männer, die für den Abschuss der Malaysian Airline Maschine MH17 verantwortlich gemacht werden. Dafür wurde er 2022 in Abwesenheit vom Internationalen Strafgericht in Den Haag zu lebenslanger Haft verurteilt. Es gibt Hinweise darauf, dass auch Nikolaj B. am Absturzort war.
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Posts von der Front mit dem Kampfnamen "Stierlitz"
Es bleibt nicht der letzte Kriegsschauplatz, an dem er für die Interessen des Kreml kämpft. Im Herbst 2015 fliegt B. nach Syrien. Als die Türken dort versehentlich einen russischen SU-24 Jet abschießen, ist B. erneut zur Stelle. Später präsentiert er sogar die geborgene Blackbox im russischen Fernsehen.
Erst danach werden die deutschen Behörden auf ihren Staatsbürger aufmerksam. Sie leiten in Essen ein Ermittlungsverfahren gegen B. ein, durchsuchen seine Wohnung. In der Polizeiakte finden sich Fotos von B. im Kampfanzug. Doch er gibt an, als Journalist tätig gewesen zu sein. Das Fazit der Ermittlungsbehörden damals: "Zu dem Kampfverband 'Donezker Volksrepublik' liegen bisher keine Erkenntnisse vor."
Dabei hat B. unter seinem Kampfnamen "Stierlitz" Erlebnisse von der Front in den sozialen Medien gepostet, auf Schlachtfeldern und an Kontrollposten posiert.
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Kiesewetter: "Großes innen- und sicherheitspolitisches Problem"
Später landet B.s Ermittlungsakte in Stendal, wo er ab 2021 wohnt - es ist seine letzte bekannte Meldeadresse in Deutschland. Ein Verfahren gegen ihn wurde dort jedoch aus Mangel an Beweisen eingestellt, teilt man ZDF frontal auf Anfrage mit. Auffällig ist, dass B. in all den Jahren regelmäßig und ungehindert zwischen Deutschland, der Ostukraine und Russland hin- und hergereist ist - vermutlich mithilfe mehrerer Staatsbürgerschaften. In Deutschland belangt wurde er bislang nicht.
Dabei geht von Söldnern wie ihm eine Bedrohung aus, ist CDU-Politiker Roderich Kiesewetter überzeugt. "Wenn diese 'Kämpfer' zurückkommen aus ihrem völkerrechtswidrigen Einsatz, sind sie in der Regel traumatisiert oder kriminalisiert oder beides. Und das kann oder wird ein großes innen- und sicherheitspolitisches Problem werden", erklärt der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste.
Auch der britische Geheimdienstexperte Joseph Jones erklärt: "In Deutschland hat es schon immer ein hohes Maß an Spionage gegeben, und auch diese Leute, die zurückgekommen sind, könnten sehr wohl russische Agenten sein."
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Bundespolizei spricht von etwa 30 Fällen
Laut Bundespolizei soll es etwa 30 deutsche Söldner im Dienste Putins geben - die Dunkelziffer ist vermutlich höher. Die Behörde teilt auf ZDF-frontal-Anfrage mit: "Wenn Erkenntnisse auf Reiseabsichten extremistischer Personen hindeuten, werden unverzüglich Maßnahmen eingeleitet, um mögliche Ausreisen zu verhindern." Bei Nikolaj B. hat das nicht funktioniert.
Was B. heute macht und wo er sich befindet, ist aktuell unklar. Die letzten Hinweise auf ihn finden sich in einem Video, das ZDF frontal zugespielt wurde, aufgenommen im Dezember 2023 irgendwo in Essen in einer Klinik. Es zeigt Nikolaj B. - offensichtlich vom Krieg gezeichnet.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.