Douyin: Zensiert China tibetische Posts auf TikTok?
Interview
"Kultureller Genozid" im Netz:Zensiert China tibetische Posts auf TikTok?
von Elisabeth Schmidt, Peking
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Immer mehr tibetische Nutzer berichten, dass ihre Social-Media-Videos gelöscht werden. Peking betreibe online kulturellen Völkermord der Tibeter, warnen Menschenrechtler.
Der chinesische TikTok-Betreiber ByteDance zählt mehr als 750 Millionen Nutzer jeden Tag. In China ist nur die chinesische TikTok-Variante Douyin erlaubt.
Quelle: epa
Wenn man auf Douyin, dem chinesischen TikTok, nach Inhalten in tibetischer Sprache sucht, spuckt die App nur wenige Suchergebnisse aus. Die meisten Videos sind auf Mandarin, unabhängig, ob die Blogger Han-Chinesen oder Tibeter sind. Doch es finden sich immer mehr Beschwerden, dass Live-Streams und Posts auf Tibetisch gelöscht worden seien. Die Userin BJ161124spricht von völlig willkürlicher Zensur. Sie habe lediglich über belanglose Alltagsdinge auf Tibetisch erzählt:
Tibetische Ärzte ohne Online-Sprechstunde
Laut dem Tibetischen ZentrumfürMenschenrechteund Demokratie mit Sitz im indischen Dharamsala beschwerten sich zuletzt auch einige tibetische Ärzte, die über die Sozialen Medien Online-Sprechstunden per Livestream anbieten. "Viele ernsthaft kranke Patienten kommen zu mir, um Rat zu suchen. Durch das Verbot der tibetischen Sprache bin ich gezwungen, Mandarin zu sprechen. Da sich viele meiner Patienten, vor allem die älteren, Bauern und Nomaden, schwer tun mit Mandarin, können sie mich nicht verstehen," berichtet ein Arzt.
Douyin, das chinesische Tiktok, wurde im September 2016 gegründet und hat mehr als 750 Millionen aktive Nutzer jeden Tag. In China ist die Social-Media-App zu einer lebhaften Geschäftsplattform geworden. Auch viele Tibeter, etwa Geschäftsleute, aber auch Sozialarbeiter, Ärzte und Mönche nutzen diese und andere Social-Media-Apps, um ihre Dienstleistungen und Produkte zu vermarkten. Einige Influencer und Live-Streamer leben ausschließlich von ihrem Online-Content.
Der Blogger Youga Ga kritisiert in einem Video, das auf YouTubehochgeladen wurde und dessen Datierung wir nicht eindeutig überprüfen können, dass Douyingegen seine eigenen Nutzungsbedingungen verstoße. Auch Youga Ga berichtet von gelöschten Livestreams.
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Douyins Regeln mit viel Interpretationsspielraum
Fragt man DouyinsKundenservice, ob es erlaubt sei, auf Tibetisch zu posten, spuckt die App diese Antwort aus: "Wenn der Moderator Tibetisch verwendet, um die tibetische Kultur, Bräuche und andere Inhalte in der Live-Übertragung zu vermitteln oder vorzustellen, wird er nicht gesperrt."
Es besteht also reichlich Interpretationsspielraum für die Zensoren bei der Social-Media-Plattform, die zum ByteDance-Konzern gehört - dem Konzern, der außerhalb Chinas auch Tiktok betreibt. Bytedance werden enge Verbindungen zur Kommunistischen Partei Chinas nachgesagt.
Menschenrechtler fürchten Auslöschung der tibetischen Kultur
Menschenrechtsorganisationen wie die International Campaign for Tibetkritisieren seit Jahren, dass die chinesische Staatsführung die tibetische Kultur systematisch aus dem öffentlichen Raum verdrängen wolle.
Insbesondere bei Livestreams ist das unmittelbare Eingreifen der staatlichen Zensoren schwierig. Die so genannte "Sinisierungspolitik" Pekings - die chinesische Formung oder Unterwerfung - reicht heute aber in fast alle Bereiche des täglichen Lebens.
Das beinhalte etwa die massenhafte Entsendung von Parteikadern in tibetische Dörfer, um sich mit den Tibetern "anzufreunden". Oder die schleichende, aber zielgerichtete Zurückdrängung des Tibetischen und schließlich die Einführung eines Systems von Zwangsinternaten für tibetische Kinder, in denen nur auf Mandarin unterrichtet wird.
So werde jungen Tibetern zum Beispiel in der Schule, aber auch in den scharf zensierten Nachrichten inklusive der sozialen Medien ein völlig verfälschtes Bild ihrer eigenen tibetischen Geschichte präsentiert, erklärt Kai Müller.
Panik vor "separatistischen Kräften" in Tibet
Als der Dalai Lama kürzlich in New York von hochrangigen Vertretern des US-Außenministeriums und des Weißen Hauses empfangen wurde, reagierte das Außenministerium in Peking scharf. Eine Sprecherin nannte den Dalai einen "politischen Exilanten im religiösen Gewand, der separatistische Aktivitäten gegen China betreibt". Die "Dalai-Clique" habe einen "antichinesischen separatistischen Charakter".
Die Panik vor einer Abspaltung Tibets führt bis heute zu einer systematischen Eindämmungspolitik. Menschenrechtsorganisationen sprechen daher von einem "kulturellen Genozid". Dieser scheint sich heute nun in den Sozialen Medien fortzusetzen.
Die Tibet-Politik Pekings beruht auf dem Narrativ, Tibet sei immer schon ein Teil Chinas gewesen. Es wurde von der Kommunistischen Partei Chinas auch als Berechtigung für ihre gewaltsame Eroberung des faktisch unabhängigen Staates Tibet herangezogen. Trotz gewaltsamer Unterdrückung und der fast vollständigen Zerstörung tibetischer Klöster und Tempel in den 1950er Jahren sowie während der Kulturrevolution, gelang es den chinesischen Machthabern nicht, ihr Ziel zu erreichen: Die kulturelle und religiöse Identität der Tibeter auszulöschen.
Von 1987 an kam es in Lhasa zu Demonstrationen und Protesten, denen die chinesischen Behörden schließlich nur noch mit gewaltsamer Niederschlagung und Verhängung des Kriegsrechts zu begegnen wussten - drei Monate vor dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.
Der tibetische Aufstand vom März 2008, bei dem eine bis heute nicht bekannte Anzahl von Tibetern getötet wurde, zeigte, dass sich die nationale Frage nicht erledigt hatte. Als die Tibeter für Freiheit, Menschenrechte und die Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet demonstrierten, reagierten die chinesischen Sicherheitskräfte auf diese überwältigend friedlichen Proteste mit Gewalt und einer Nachrichtensperre. In der Folge kam es über mehrere Jahre hinweg zu bis heute mehr als 150 Selbstverbrennungen von Tibetern.
Die Repressionen gegen Tibeter haben insbesondere nach 2008, also schon unter Präsident Hu Jintao und noch vor Xi Jinping, eine neue Qualität angenommen. Als Reaktion auf die landesweiten Proteste von Tibetern vor den Olympischen Sommerspielen in Peking hat die politische Führung in Peking offensichtlich beschlossen, totalitäre Repressionsmaßnahmen systematisch und umfassend umzusetzen.
Die Zwangsumerziehung in der Uiguren-Region ist laut chinesischer Staatsführung erfolgreich beendet. Unsere Reise nach Xinjiang zeigt: Die Masseninternierungen sind nicht vorbei.
Elisabeth Schmidt, Xinjiang, China
mit Video
Quelle: ZDF
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