Analyse
Das Roosevelt-Manöver:Wie Joe Biden Trump besiegen kann
von Elmar Theveßen, Washington D.C. Bidens desaströser Auftritt gegen Trump erschüttert die Demokraten. Offen fordern manche, er solle seine Kandidatur zurückziehen, vielleicht sogar zurücktreten. Andere warnen vor übereilten Entscheidungen.
Wie Joe Biden die US-Wahl noch retten könnte
Quelle: AP
Ja, die Präsidentschaftsdebatte zwischen
Donald Trump und
Joe Biden war eine Horrorshow, deren schnelles Ende man herbeisehnte. Auch für mich stand danach fest: Time to go, Joe - je früher desto besser. Nicht, weil der Präsident sich verhaspelte oder einen Gedankengang nicht sauber zuende brachte. Sondern, weil er nicht einmal die einfachsten Argumente für seine Wiederwahl abrufen konnte.
Man sah an Bidens mal gequältem, mal leerem Gesichtsausdruck, wie er sich mühte, die entsprechenden Schubladen in seinem Gehirn aufzuziehen - vergeblich. Da scheinen die Rufe nach seinem sofortigen Rückzug von der Kandidatur oder gar nach seinem Rücktritt aus dem Präsidentenamt logisch und klug.
Der Schock bei den Demokraten sei nach dem misslungenen TV-Duell von Joe Biden groß, so der ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen. Bidens Geldgeber würden dennoch weitermachen wollen.28.06.2024 | 4:57 min
Kennedys Bereitschaft zum "Königsmord" stürzte Demokraten ins Chaos
Doch die Demokraten könnten jetzt nichts Dümmeres tun, als die gleichen Kurzschlusshandlungen zu begehen wie 1968. Damals hatte Präsident Lyndon B. Johnson die Vorwahl seiner Partei in New Hampshire so deutlich verloren, dass sich ein politisches Schwergewicht, der damalige Senator
Robert Kennedy, aus der Deckung wagte und gegen seinen Parteifreund ins Rennen ging.
Seine Bereitschaft zum "Königsmord" stürzte die Partei ins Chaos, Johnson strich die Segel. Nach monatelangem Streit setzte sich Vizepräsident Hubert Humphrey auf dem Parteitag durch und erlitt bei der Präsidentschaftswahl dann eine krachende Niederlage gegen den Republikaner Richard Nixon.
Nach Bidens schlechtem Auftritt im TV-Duell ist er dennoch zuversichtlich. Bei den Demokraten entstehen allerdings Zweifel, ob Biden noch der richtige Kandidat ist.28.06.2024 | 3:09 min
Trump kann nicht den Hauch eines politischen Konzepts anbieten
Um diesmal ähnliches zu verhindern, sollten die Demokraten die wichtigste Botschaft des Debattenabends verinnerlichen, die wir alle im Sturm der Frustgefühle übersehen haben. Da hat der amtierende Präsident eine monströse Kernschmelze und trotzdem kann sein Widersacher nicht den Hauch eines politischen Konzepts, nicht ein einziges positives Argument anbieten, sondern nur Lügen, Unterstellungen und Rachedrohungen vermischt mit purem Blödsinn. Angesichts dieser unendlichen Leere des trumpschen Wahlprogramms ist offenkundig, dass auch jemand anders als Joe Biden den
Republikaner schlagen könnte - und sogar einfacher als der greise Amtsinhaber. Der hielt sich nur bisher selbst für die einzige Option.
Jetzt aber sollten Barack Obama, Nancy Pelosi, Chuck Schumer und andere führende Demokraten, denen Biden vertraut, ihm eine zweite, viel erfolgversprechendere Option vermitteln: Trump besiegen mit Bidens Hilfe und doch gleichzeitig ohne ihn als Kandidat. Joe Biden würde bis zum Nominierungsparteitag der Demokraten Mitte August in Chicago weiter Wahlkampf machen.
Dass Biden trotz seines Alters angetreten sei, liege an seiner "Hybris", so Politologin Clüver Ashbrook. Die Profilierung eines anderen Kandidaten sei nun kaum noch möglich.28.06.2024 | 24:25 min
Bis dahin zeigen die Umfragen, ob er sich vom Debattendebakel erholt. Bis dahin wissen auch die Meinungsforscher der Partei aus vertraulichen Studien, wer - außer Biden - gute Chancen hätte, Trump zu besiegen. Ich tippe auf die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, den Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, und den Gouverneur von Maryland, Wes Moore.
Biden müsste Parteitag um neues Kandidatenpaar bitten
Und dann kommt Bidens Roosevelt-Moment. Im Sommer 1944 redete Franklin Delano Roosevelt beim Nominierungsparteitag Tacheles. Er werde eine weitere Amtszeit wohl nicht überleben, deshalb sollten die Delegierten einen neuen Vizepräsidentschaftskandidaten finden, der jederzeit übernehmen könnte. Es folgten vier Tage Streit und Chaos, aber eben nur vier Tage. Am Ende war Harry S. Truman nominiert, der nach dem Tod Roosevelts wenige Monate nach dem Amtsantritt ins Präsidentenamt aufrückte.
Biden müsste einen Schritt weiter gehen als das historische Vorbild, seine eigene Kandidatur zurückziehen, den Parteitag um ein neues Kandidatenpaar bitten. Das Drama wäre wieder auf vier Tage begrenzt, die Partei würde zur Einigkeit gezwungen und ginge so dem Dilemma um Kamala Harris aus dem Weg, denn die Vizepräsidentin wäre nicht automatisch als neue Nummer 1 gesetzt.
"Präsident Biden wollte diese Debatte, weil seine Zustimmungswerte sehr schwach sind. Leider ging der Schuss nach hinten los", berichtet Sudha David-Wilp vom German Marshall Fund.28.06.2024 | 6:17 min
Harris zu weit links, um gegen Trump zu gewinnen
Bei einem vorzeitigen Rücktritt Bidens als Präsident vor dem Parteitag könnte man Harris als Amtsinhaberin nicht übergehen. Aber mit ihr an der Spitze, das zeigen alle Umfragen, würde Donald Trump
die Wahl klar gewinnen, weil sie politisch zu weit links verortet ist.
Ein neues, jüngeres Gespann - zum Beispiel die weiße Frau Gretchen Whitmer und der schwarze Mann Wes Moore - hätte allerbeste Chancen gegen einen 78-Jährigen, den zwei Drittel aller Wähler ebenfalls für zu alt halten. Im Vergleich zu Trump könnte Joe Biden dank seines Roosevelt-Manövers geradezu altersweise wirken und dann mit den Jungen im Wahlkampf für die Fortsetzung einer Politik werben, die jetzt schon als erfolgreichste Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik seit Lyndon B. Johnson gilt.
Was für ein Vermächtnis, wenn Joe Biden am 20. Januar 2025 sein Amt an die jüngere Generation übergibt und sich im wohlverdienten Ruhestand darüber freut, dass er Amerika vor Donald Trump gerettet hat. Er muss es nur wollen.
Nach dem ersten TV-Duell im US-Wahljahr schrillen bei den Demokraten die Alarmglocken - doch offenbar nicht bei US-Präsident Joe Biden. Oder? ZDF-Korrespondent Theveßen ordnet ein.