Experte zu Atomwaffen-Übungen:Putin will Menschen "Angst machen"
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Russland will die Vorbereitung und den Einsatz nicht-strategischer Atomwaffen üben. Die Bereitschaft der Nuklearstreitkräfte solle getestet werden, ordnete Kremlchef Putin an.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat Atomwaffenübungen angeordnet.
Quelle: imago/ITAR-TASS
Russlands Präsident Wladimir Putin hat das russische Militär nach Angaben des Verteidigungsministeriums angewiesen, Atomwaffenübungen unter Beteiligung der Marine und Soldaten abzuhalten, die nahe der Ukraine stationiert sind.
"Im Zuge der Übung wird eine Reihe von Aktivitäten durchgeführt, um die Vorbereitung und den Einsatz nicht-strategischer Atomwaffen zu üben", erklärte das Ministerium am Montag im Onlinedienst Telegram.
Mit der Übung werde die "Bereitschaft" der Armee aufrecht erhalten, nachdem einige westliche Vertreter "provokative Äußerungen und Drohungen gegen Russland" gemacht hätten, erklärte das Ministerium weiter.
Die russischen Soldaten kontrollieren rund 18 Prozent der Ukraine im Süden und im Osten. Noch immer mangelt es dem ukrainischen Militär an Soldaten und Munition.03.05.2024 | 1:50 min
Das Manöver finde "in der nahen Zukunft" statt. Demnach nehmen Luft- und Seestreitkräfte teil sowie Truppen des südlichen Militärdistrikts, der an die Ukraine grenzt und die besetzten ukrainischen Gebiete umfasst. In der Mitteilung war allerdings keine Rede davon, dass bei dem Manöver auch tatsächlich mit Atomsprengköpfen bestückten Raketen geübt wird.
Militärexperte: Putin "scheint es nötig zu haben"
"Putin lässt mal wieder Übungen im Zusammenhang mit taktischen Atomwaffen ankündigen, um Menschen Angst zu machen", analysiert Militärexperte Nico Lange bei X, dem früheren Twitter. "Er scheint es nötig zu haben. Nach zwei Jahren Angriffskrieg hat er so wenig erreicht, dass er zu Inauguration und Parade zum 9. Mai große Raketen zeigen muss."
Nico Lange auf X
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Taktische Atomwaffen gehen zurück auf die Nato-Nuklearstrategie der späten 60er-Jahre bis zum Ende des Kalten Krieges. Man ging davon aus, dass man diese kleinen Kernwaffen mit vergleichsweise geringer Sprengkraft räumlich begrenzt gegen gegnerische Truppen einsetzen könnte, weil der Wirkungsradius der Waffe begrenzt sei. Die Wirkung taktischer Atomwaffen galt als kontrollierbar.
Die Sowjetunion und auch einige westliche Länder standen diesem Konzept kritisch bis ablehnend gegenüber. Trotzdem fanden taktische Atomwaffen nach dem Prinzip des "Gleichgewichts des Schreckens" in der Abschreckungspolitik Eingang in die Waffenarsenale verschiedener Atommächte. Es gibt allerdings auch taktische Atomwaffen mit sehr großer Sprengkraft.
Strategische Atomwaffen haben in der Regel eine größere Sprengkraft. Sie sind nicht dafür konzipiert, gegnerische Streitkräfte zu bekämpfen, sondern sollen vielmehr ganze Regionen im Gebiet des Gegners verwüsten.
Auch Atomraketen-Silos mit nuklearen Interkontinentalraketen des Gegners waren und sind als Ziele strategischer Atomwaffen vorgesehen. Mit dem Einsatz strategischer Atomwaffen wurde und wird bis heute ein globaler, nuklearer Vernichtungsschlag, der sogenannte all-out war, verbunden.
ZDF-Korrespondent: Russland kontert Äußerungen aus Westen
Die Ankündigung Putins sei "als Replik auf Äußerungen aus dem Westen zu verstehen", ordnet ZDF-Korrespondent Armin Coerper die Entwicklung ein. Dazu zähle etwa, dass Polens Präsident Andrzej Duda vor Kurzem seine Bereitschaft signalisiert habe, "auf polnischem Terrain Atomwaffen der Nato-Staaten zu stationieren".
Russland auf Befehl von Wladimir Putin eine Übung seiner taktischen Nuklearstreitkräfte angekündigt. "Dass der Kreml solche Testes durchführt, ist nichts Neues", so ZDF-Korrespondent Armin Coerper. 06.05.2024 | 2:07 min
Zudem habe auch der britische Außenminister David Cameron in den vergangenen Tagen als erster Vertreter des Westens angekündigt, dass die Ukraine britische Waffen gegen strategische Ziele innerhalb Russlands einsetzen dürfe.
Relevant ist Coerper zufolge insbesondere der avisierte Ort für die Übungen: "Teilnehmen sollen nämlich die südlichen Raketenverbände, also offenbar genau die, die sich in unmittelbarer Nähe zur ukrainischen Grenze befinden."
Russland schürt Angst vor Atomkrieg
Bereits in der Vergangenheit hatte Russland seine Nuklearstreitkräfte ohne Atomsprengköpfe trainieren lassen. So wurden etwa im vergangenen Oktober zu Übungs- und Abschreckungszwecken zwei Interkontinentalraketen und mehrere Marschflugkörper abgefeuert. Seit Kriegsbeginn versuchen russische Vertreter immer wieder, im Westen Angst vor einem Atomkrieg zu schüren und so die internationale Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.
Einen Einblick, wie sehr Russland sein Nukleararsenal als Eckpfeiler seiner Verteidigungspolitik betrachtet, zeigten Dokumente, über die die "Financial Times" im Februar berichtete. In den Geheimpapieren, die der Zeitung vorliegen, wird die Schwelle für den Einsatz taktischer Atomwaffen als sehr viel niedriger angegeben, als Russland dies bisher öffentlich darstellt.
Russland besitzt der Federation of American Scientists (FAS) zufolge mit 5.580 nuklearen Sprengköpfen das größte Atomwaffenarsenal der Welt. Damit könnte Russland die gesamte Welt mehrmals zerstören. Nach der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 einigte Russland sich mit anderen Nachfolgestaaten darauf, das sowjetische Atomwaffenarsenal allein zu übernehmen. Die Ukraine, Belarus und Kasachstan gaben die bei ihnen stationierten Waffen bis 1996 ab.
Im Kalten Krieg besaß die Sowjetunion zeitweise bis zu 40.000 und die USA bis zu 30.000 Atomsprengköpfe. Als verwendungsfähig lagert Russland nach FAS-Angaben rund 4.380 Sprengköpfe für strategische Einsätze auf längeren Strecken beziehungsweise taktische Einsätze auf kürzere Entfernungen. Wesentlich für die Einsatzbereitschaft sind Trägersysteme wie Raketen oder U-Boote. Einsatzbereit sind der FAS zufolge 1.710 Atomsprengköpfe für strategische Zwecke, davon rund 870 auf landgestützten ballistischen Raketen, 640 auf U-Boot-gestützten ballistischen Raketen und möglicherweise 200 für einen Einsatz mit Flugzeugen.
Die letzte Entscheidung über einen Atomwaffeneinsatz trifft in Russland der Präsident, gegenwärtig also Wladimir Putin. Nach der zuletzt 2020 aktualisierten Nukleardoktrin ist dies in zwei Fällen möglich: als Reaktion auf einen Angriff auf Russland mit Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen - oder als Reaktion auf einen Angriff mit konventionellen Waffen, wenn damit die Existenz des russischen Staates bedroht ist. Der sogenannte Atomkoffer befindet sich stets in Begleitung des Präsidenten.
Der Koffer ist ein Kommunikationsgerät, das dem Präsidenten einen direkten Kontakt mit der militärischen Führungsspitze und den Raketentruppen ermöglicht. Damit kann Putin die Befehlskette bis zu den zuständigen Einheiten der Streitkräfte auslösen. Auch die Auslösung eines computergesteuerten Einsatzes ist möglich. Es wird angenommen, dass auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow einen Atomkoffer besitzen. Im Jahr 2019 zeigte der vom Verteidigungsministerium betriebene Fernsehsender Swesda Aufnahmen eines solchen Koffers. Darin befanden sich mehrere Drucktasten, darunter ein weißer "Start"-Knopf und ein roter "Abbruch"-Knopf.
Quelle: Guy Faulconbridge, Reuters
Westliche Länder sind zunehmend besorgt wegen der Rhetorik des Kremls. Staatschef Putin beruft sich häufig auf die russische Nukleardoktrin. Diese sieht einen "strikt defensiven" Einsatz von Atomwaffen im Fall eines Angriffs auf Russland mit Massenvernichtungswaffen oder im Fall einer Aggression mit konventionellen Waffen, die "die Existenz des Staates bedroht".
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.