Auslieferung Assanges: Warum der Fall so kompliziert ist

    Interview

    Menschenrechtsanwalt Kaleck:Warum der Fall Assange so kompliziert ist

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    Wikileaks-Gründer Julian Assange wird vorerst nicht an die USA ausgeliefert. Wie geht es jetzt weiter und warum beschäftigt der Fall Assange die britische Justiz schon so lange?

    Menschen demonstrieren vor einem Gericht in London gegen die Auslieferung von Julian Assange
    Der High Court in London hat die Auslieferung von Julian Assange an die USA zunächst verhindert. Das Gericht verlangt unter anderem, dass Assange dort nicht die Todesstrafe droht.26.03.2024 | 1:26 min
    Ein Gericht in Großbritannien hat die Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange an die USA wegen Spionagevorwürfen vorerst blockiert. Assange darf damit nicht unmittelbar ausgeliefert werden - einem Antrag auf Berufung könnte also noch immer stattgegeben werden.
    Im Interview mit ZDFheute spricht der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck von einem "Teilerfolg" für Assange und erklärt, warum der weitere Verlauf des Falls nur schwer vorherzusehen ist.

    ... ist ein Menschenrechtsanwalt sowie Gründer und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin. Wolfgang Kaleck wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Einer breiteren Öffentlichkeit ist Kaleck als Anwalt des Whistleblower Edward Snowden bekannt geworden.

    ZDFheute: Wie bewerten Sie die Entscheidung des Londoner Gerichts? Ist das ein Erfolg für Assange?
    Wolfgang Kaleck: Es ist ein Teilerfolg. Es ist eine nicht enden wollende Prozess-Geschichte, bei der man von Schritt zu Schritt mehr Schwierigkeiten hat, es erstens zu verstehen und zweitens, es Nicht-Juristen zu erklären. Das einzige was die Situation auflösen würde, wäre seine sofortige Freilassung nach Jahren des Freiheitsentzuges und auch schweren Gesundheitsschädigungen aufgrund der Verfahrensfehler.
    Es ist vielleicht ein Schritt vorwärts - vielleicht hat die britische Justiz erkannt, dass auch aufgrund des Protests von Berufsverbänden, von großen Zeitungen wie der New York Times, es hier um das Prinzip der Pressefreiheit geht. Das kann man nur hoffen und das wird sich in der Berufungsverhandlung zeigen.
    Julian Assange (Archivbild vom 19.05.2017)
    2010 veröffentlichte Wikileaks brisantes Material zu Militäreinsätzen in Irak und Afghanistan. Seitdem gilt Julian Assange als Staatsfeind - ihm droht die Auslieferung an die USA.25.06.2024 | 1:13 min
    ZDFheute: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für eine Auslieferung Assanges an die USA?
    Kaleck: Das Risiko ist so lange real, bis die Auslieferung entweder vom Gericht oder von der britischen Regierung abgelehnt wird oder aber die US-Regierung den Auslieferungsantrag zurücknimmt.
    Das muss man sich nochmal vergegenwärtigen: Die US-Regierung könnte den Antrag einfach zurücknehmen und dann wäre die Sache vom Tisch. Das hätte schon vor Jahren passieren müssen, als die Richterin der ersten Instanz aus gesundheitlichen Gründen und gar nicht in die Sache gehend abgelehnt hat, dass er ausgeliefert wird.
    ZDFheute: Wie geht es nun im Fall Assange weiter?
    Kaleck: Wir haben es mit einem einigermaßen undurchsichtigen Instanzentzug zu tun, wo im Prinzip ständig andere Instanzen innerhalb des britischen Justizsystems urteilen - wo man im Prinzip meint, dass alle Argumente bereits ausgetauscht sind, aber das Ganze trotzdem immer wieder nach Oben gebracht wird von den Anwälten zu den oberen Instanzen und dann wieder nach unten verwiesen wird.
    Und dann darf man nicht vergessen: Wenn in England für die Auslieferung entschieden wird, gibt es immer noch die Möglichkeit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und insbesondere die Möglichkeit, dort vorläufige Maßnahmen nach Artikel 39 der Verfahrensordnung zu verhängen. Da reden wir noch gar nicht von einer möglichen Verhandlung in den USA.

    Wenn die Auslieferung jetzt nicht gestoppt wird, sondern es weitergeht, dann zieht sich das noch Jahre lang hin.

    Wolfgang Kaleck

    Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck im Gespräch mit ZDFheute live.
    Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck im Interview bei ZDFheute live im Februar.20.02.2024 | 14:37 min
    ZDFheute: Wird Großbritannien einen Prozess in Straßburg überhaupt anerkennen?
    Kaleck: Das ist die nächste und wichtige Frage. Man muss klarstellen: Großbritannien ist aus der Europäischen Union ausgetreten, aber Großbritannien ist nach wie vor Mitglied des Europarates und hat sich der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterworfen.
    Unter anderem die Türkei aber auch andere Staaten, die in den letzten Jahren und Dekaden verurteilt wurden, erkennen die Urteile von Straßburg an. Es wäre also ein fatales Signal, wenn Großbritannien - das ja für sich beansprucht, ein Rechtsstaat zu sein - die Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte übergeht.
    Das wäre in der jetzigen Situation, wo ja bei vielen internationalen Konflikten, nicht zuletzt dem in der Ukraine, immer wieder das wichtige Argument gemacht wird, dass sich Kriegsführung innerhalb der Regeln des humanitären Völkerrechts zu bewegen hat - dann als wichtiger europäischer Staat das höchste europäische Gericht derartig zu brüskieren wäre natürlich höchst problematisch.
    Elmar Thevessen und Nazan Gökdemir
    Bei einer Auslieferung drohen Julian Assange 175 Jahre Haft. Die Chance, dass er nach einer Verurteilung begnadigt wird, sei aber hoch, so ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen. 21.02.2024 | 3:03 min
    ZDFheute: Nach dem Ruanda-Urteil hat Rishi Sunak klargestellt, man wolle sich nicht mehr von Außen reinreden lassen.
    Kaleck: Das haben schon viele gesagt. Das haben die Schweizer gesagt, das haben die Franzosen gesagt. Das ist Rhetorik. Das dürfen sie, das sollen sie sagen. Es wäre natürlich schöner, wenn sie eine rechtsstaatlichere Einstellung hätten und sagen: "Ja wir erkennen die Autorität des höchsten europäischen Gerichtshofs an." Aber auf der anderen Seite: Sie haben sich ja daran gehalten. Bis jetzt ist kein Flug nach Ruanda gegangen.
    Das Interview führte Michèle Mertes.

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